Es gab Tage, die begannen grau und endeten schwarz, so, als würden die Götter den Menschen unmissverständliche Botschaften über nahendes Unheil senden wollen. Schon der Morgen in Götterfels und Shaemore wollte einfach nicht richtig hell werden. Immer wieder schob sich eine dicke fette Regenwolke über die Scheibe, die normalerweise für das Spenden von Licht zuständig sein sollte, bereit die gepflasterten Straßen der Hauptstadt mit reinigendem Regen zu überspülen. Auf den ländlichen Feldern außerhalb wurde eiliger gearbeitet, wollte man noch die letzte Ernte einfahren, bevor es zu dem erwarteten Gewitter kommen würde. Ein typischer Beginn für diese wechselhafte Jahreszeit, sollte man meinen.
Erst waren es nur Gerüchte, gewispert hinter vorgehaltener Hand, die von schrecklichen Untaten in den Kessex Hügeln sprachen, welche sich wie eine Nebelwolken in Götterfels und Umland verbreiteten. „Habt ihr gehört? In Kessex sollen die Viecher jetzt sein.“ - „Der Drache wills jetzt endgültig Wissen, der macht sich auf den Weg nach Götterfels.“ - „Ich hab gehört, man hat auch schon in Tonteich eines von den Biestern gesehen. Groß wie ein Baum und blau gepunktet mit riesigen Ohren“ Schon bald jedoch musste man Einsehen, dass es sich hier mit nichten um blosses Gewäsch der Straße handelte, sondern um bare Münze, was in dem doch sehr überraschenden abendlichen Abrücken einiger Seraphen und teilen des Balthasar Klerus seine Spitze fand.
Der Marsch war alles andere als ein Spaß oder eine gemütliche Reise zu einer Frontbesichtigung – zumindest für Mavey war es das keinesfalls. Die Balthasar Klerikerin marschierte strickt und erstaunlich stumm neben ihrem Kollegen her, keinesfalls gewillt irgendeine Kommunikation zu tätigen. Seit der Ankunft der Nachricht in Götterfels fühlte sie ein seltsames Ziehen in ihrer Magengegend, welches einfach nicht nach lassen wollte, sondern mit jedem Schritt den man näher an das Ziel heran setzte unangenehmer wurde und sich mehr Raum verschaffte. „Fort Salma“ - die Gerüstete wusste ganz genau, dass es keinen Weg daran vorbei gab. Zumindest keinen, der Sinn machen würde und Balthasar wusste, was sie alles dafür gegeben hätte, wenn ihr eine Alternative zu dem bereits schon einmal überrannten Ort eingefallen wäre. Schon der Gedanke wieder das Areal zu betreten schnürte ihr die Kehle zu und brachte den sonst so ruhigen Puls zum rasen. Furcht war es, was sich da wie ein ekliges Insekt durch ihre Venen fraß – dessen war sie sich nur allzu bewußt.
„Auf der Heide blüht ein kleines Blüüüümelein – und das heißt Erika...“ die Seraphen ließen sich nicht lumpen, so viel war klar, auch wenn die gesangliche Einlage nicht jeden Geschmack traf. Fast schon fröhlich und festlich, als wäre man gar nicht auf den Weg in einen Kampf, aus dem es womöglich keine Wiederkehr gab, muteten die Lieder an. Manche von ihnen kannte die Klerikerin durchaus, aber zum mitsingen oder mitsummen fehlte ihr die Muße. Im Gedanken ging sie noch einmal alles durch was sie vor der Abreise erledigt hatte, während man kaum noch die Hand vor den eigenen Augen sehen konnte dank der eintretenden Dunkelheit. Der Geruch von verbranntem Teer oder Lampenöl von frisch entzündeten Lichtquellen lag neben Waffenfett und Schweiß in der Luft und hielt offensichtlich sogar die üblichen Verdächtigen davon ab den aufmarschierenden Trupp anzugreifen.
Mit der Rechten griff sie, einem überprüfenden Impuls folgend an einen neu hinzu gefügten Beutel zu ihrer linken. Gut erreichbar und fest verzurrt hing diese kurzfristig angeschaffte Erwerbung an ihrer Hüfte. Mit einem tiefen durchatmen klopfte Mavey rückversichernd und einigermaßen zuversichtlich auf das Leder. Alles in seinem Platz, so wie es sein sollte.
„Es wollt ein Mädel früh aufstehn, dreiviertel Stund vor acht.Wollt in dem Wald spazieren geh'n heidi, heido spazieren geh'n....“ Unglaublich. Wie viele Lieder über Frauen fielen den Soldaten denn noch ein? Erika, Barbara, Heidrun und Kunigunde. Das, was nun gerade sehr enthusiastisch angestimmt wurde, war mindestens das vierte in der letzten halben Stunde. Unzufrieden stapfte sie weiter, stur mit dem vorgelegten Tempo der Kameraden Schritt haltend. Der Schweiß stand ihr bereits nach guten zwei Stunden des Gewaltmarsches durch das zum Teil doch schlammige Gebiet deutlich auf der Stirn, auch wenn sie sich keinesfalls die Blösse gab offen zu zeigen, wie anstrengend das alles wirklich war. Auf Pausen wurde verzichtet. Wer etwas Essen, oder Trinken wollte, oder gar austreten musste, war gezwungen Wege zu finden, das so zu erledigen, dass er in jedem Fall wieder aufschließen konnte. Nicht selten wurden Befehle durch die Landschaft gebellt, wenn sich jemand aus der Formation entfernte und zu lange brauchte um sich den kleinen Geschäften des Lebens zu widmen. Keine Zeit, keine Zeit. In dem Tempo, in dem die kleine, schnell zusammen gewürfelte Truppe sich ohne Rücksicht auf Verluste fort bewegte, würde man in erstaunlich kurzer Zeit das heutige Tagesziel erreichen: Tonteich. Ein zuverlässiger Bote wurde bereits von Götterfels aus voraus geschickt, der die kleine Ortschaft über das Eintreffen der Truppe in Kenntnis setzen sollte, damit nicht wichtige Schlafenszeit durch unnötige Erklärungen und Gespräche vertan wurde. Der Druck auf das Grüppchen war immens. Die Informationen die bisher durchgedrungen waren, hatten nur sehr geringen Gehalt, so dass die einzige Sache, derer man sich zu einhundert Prozent sicher sein konnte die Anwesenheit der Mordrem war.
Während die Klerikerin weiterhin vor sich hin brütend dem Weg folgte, wurde sie jäh aus den Gedanken gerissen, als sich eine dominante, grollende Stimme tief ihren Weg in den Gehörgang der Frau bahnte. Nahezu erschrocken hob sie den Kopf eine Spur zu schnell an, um noch so Tun zu können, als hätte sie regulär und natürlich höchst aufmerksam Sentenzar zugehört. Er wiederholte das Gesagte und sie nickte einfach nur, ohne den Worten einen echten Sinn entnehmen zu können, in der Hoffnung, er nahm ihr die vorgegaukelte Aufmerksamkeit irgendwie ab und würde sie nicht weiter behelligen. Das dumpfe Starren seitens des Kollegen schalt sie Lügen. Mit aufeinander gepressten Lippen und leicht verengten Augen sah sie einfach weg, so symbolisierend, dass ein Gespräch gerade nicht das war, wonach ihr der Sinn stand. Ein Schnauben, dass sehr gut zeigte, was der Mann über dieses abweisende Verhalten dachte war die Antwort. Sie ignorierte es.
Stunden später,tauchten endlich die Lichter der kleinen Stadt an der Grenze zu den Kessex Hügeln auf. Schon als man den Fackelzug näher rücken sah, wurden die Tore geöffnet, um einen schnellen Einlass zu ermöglichen und es so zu keiner Wartezeit kommen zu lassen. Der Geruch von Essen lag in der Luft, sodass jeder der Mitreisende von einer warmen, wenn auch nicht sonderlich einfallsreichen Mahlzeit in Form eines krätigen Eintopfes mit Fleisch und einem Kanten Brot, empfangen wurde. Wie auch die letzten Male wurden die Scheunen und Ställe als Schlafmöglichkeit zur Verfügung gestellt, ebenso wie den Privilegierteren Zimmern in der hiesigen Taverne angeboten wurden. Das ein oder andere Zelt wurde auf dem kleinen Wiesenstück hinter den Scheunen aufgestellt, allerdings alles unter der Prämisse nur keine Zeit zu verschwenden. Die meisten waren müde und benötigten den Schlaf dringend und vielleicht war es auch der Erschöpfung zu verdanken, dass nicht jeder Gedanken auf den morgigen Tag aufwenden konnte und dessen Ungewissheit.
Leichter Nieselregen setzte ein, dessen frischer Geruch ein letzter friedlicher Gruß der nächtlichen Heimat sein sollte. Auf ins Ungewisse.