"Männer sind Monster." Mit diesem Satz eröffnete Lynn die heutige Unterrichtsstunde, während sie den nackten Leib des Mädchens vor sich über deren Schulter hinweg im Spiegel betrachtete. Das junge Ding mit ihrem schmutzig-blonden Haar war gerade mal ein oder vielleicht zwei Jahre jünger als sie selbst, zart und zerbrechlich in ihrer Gestalt und von derart scheuem Wesen, dass sie in einer Welt voller Raubtiere nichts anderes als ein Reh darstellen konnte: "Merke dir das gut, denn das ist eine der wenigen Wahrheiten, zu denen du in deinem Leben wieder und wieder zurückgeführt werden wirst. Männer sind Monster."
Das Mädchen stand schüchtern und in sich zusammengesunken, wagte es kaum den Kopf zu heben um bloß nicht dem gnadenlosen und gleichgültigen Blick des Rabenhaars zu begegnen. Sie empfand tiefe Scham ob ihrer Nacktheit und weigerte sich ihre mädchenhaften Rundungen im Spiegel zu beachten. Ausgeliefert fühlte sie sich, und bloßgestellt und nichts davon konnte das andere Mädchen in ihrem Rücken, das all das sah, all das wusste, zu Nachsicht bewegen, als sie ihr nun die Hände auf die schmalen Schultern legte.
"Es ist gut, dass du lernst dich zu verteidigen, aber ganz gleich, wie gut du kämpfen kannst, du wirst immer ein Opfer bleiben, wenn du nicht ein paar grundlegende Dinge begreifst. Sieh dich an." fuhr Lynn fort und als die Blonde vor ihr sich nicht getraute sich zu regen, griff sie ihr etwas schroffer als notwendig ins lange Haar und zerrte ihren Kopf etwas nach hinten: "Ich sagte: Sieh dich an!" Das junge Ding zuckte zusammen und wäre am liebsten jetzt schon eingeknickt. Ihr Herz schlug schneller und die grünblauen Augen füllten sich bereits mit Tränen. Sie hatte Angst und Lynn konnte es ihr nicht verdenken. Doch nehmen konnte sie es ihr auch nicht. Noch nicht. Das die Blonde sich selbst im Spiegel nun in die Augen sah geschah aus purer Verzweiflung und die Ältere, die ihr unterwürfiges Verhalten zum einen zutiefst berührte und zum anderen ungeheuer lästig fand, kämpfte nur mit Mühe den Impuls nieder sie zu Boden zu stoßen und ihr zu sagen, dass sie sich erst wieder mit ihr befassen würde, wenn sie ihrer Beachtung überhaupt wert wäre. Tief atmete sie durch: "Sieh dich an." wiederholte sie nun langsamer, etwas sanfter sogar und auch der Griff in das Haar der Blonden ließ lockerer: "Du bist schön." Es war kein mildtätiges Kompliment, keine beruhigenden Worte. Viel mehr klang es nach einer Feststellung, nach einem unumstößlichen Fakt, der in den bodenlosen Abgrund zwischen ihnen fiel in der Hoffnungen irgendwo dort unten in der Dunkelheit fruchtbaren Boden zu finden und Wurzeln treiben zu können, wenn man das Pflänzchen nur gut genug nährte: "Unbeschreiblich schön..." flüsterte Lynn andächtig mit einer Ehrfurcht, die sie nur für einen flüchtigen Moment empfand und dann schon wieder abgeschüttelt hatte. "Es ist nicht wichtig wie groß deine Brüste sind, oder wie flach dein Bauch ist." Die Hand glitt aus dem Haar zurück auf ihre Schulter und fand dort zur Ruhe: "Ob deine Beine lang und gerade sind oder dein Hintern fest und rund. Vergiss all diese Ideale. Sie sind bestenfalls ein Hindernis, nur dazu gemacht dich klein zu halten und dir stets vor Augen zu führen wie ungenügend du bist. Du. Bist. Schön." Lynn beobachtete das schmale Persönchen im Spiegel, las den Zweifel in ihren Augen wie in einem aufgeschlagenen Buch und konnte doch keine Rücksicht darauf nehmen: "Bevor du diese Lektion nicht begriffen hast, werden alle anderen verschwendete Zeit bleiben. Du bist schön. Und ich werde mir die Zeit nehmen dir zu beweisen, dass es stimmt." Während sie weitersprach gingen ihre Hände an der zarten Gestalt auf Wanderschaft. Beiläufig begannen sie damit die Haltung der Kleinen zu korrigieren, brachten sie dazu gerade zu stehen, die Schultern etwas nach hinten zu nehmen und den Hals etwas zu strecken. Endlos in ihrer Behutsamkeit griff sie das Kinn der Kleinen und richtete es, so dass die Blonde vor ihr nach und nach ganz ohne eigenes Zutun eine stolzere Haltung annahm, die eine Selbstsicherheit suggerierte welche das Mädchen noch gar nicht empfinden konnte: "Ich werde dir zeigen, wie du über dich hinaus wächst. Wie man mit einem Blick, oder einem Lächeln Verunsicherung erzeugt, wie du allein mit einer Geste dein Gegenüber lenken kannst und mit deiner Haltung Macht demonstrierst. All das wirst du brauchen, wenn du dich behaupten willst." sie strich das blonde Haar nach vorn über die Schulter, zupfte Strähnen hinter den Ohren hervor und kämmte sie dann mit den Fingern glatt: "Du wirst lernen die Welt von einem Standpunkt aus zu betrachten, auf dem es nur wenige Ebenbürtige gibt und begreifen, dass es in deinen Händen liegen kann, das Leben anderer zum Scheitern zu verurteilen. Ich werde dir vor Augen führen, dass du es wert bist, dir deine Meister selbst zu wählen, oder dein eigener Meister zu sein und dir die Freiheit schenken diese Entscheidung jeden Tag aufs Neue zu fällen. Du wirst lernen." Ihre Arme griffen um die Kleine herum und legten sich sanft um die nervös zuckenden Finger um sie zu beruhigen: "Du wirst lernen einsam zu sein." sprach Lynn dann leiser weiter: "Denn das bringt es unwideruflich mit sich. Du wirst eine Maske tragen müssen, wie wir alle eine tragen. Nur so kannst du wirklich auf dich Acht geben. Gemeinsam werden wir eine unsichtbare Mauer um dich errichten, an der niemand vorbei kommt, denn wenn, Liebes, wenn du irgendjemanden hindurchlässt, dann wird er dich berauben. Er wird nehmen und nehmen und nehmen, bis nichts mehr übrig bleibt, das es wert wäre beschützt zu werden. Und wenn nichts mehr da ist, dann wird er sich abwenden und sich einem neuen Spielzeug widmen, an dem er seinen Raubbau betreiben kann." Männer sind Monster. Sie sprach es nicht nochmal aus, doch suchte sie im Spiegel nach dem Blick der Blonden und glaubte einen kurzen Augenblick soetwas wie 'Begreifen' darin zu erkennen. Das Schweigen das folgte schien die Kluft zwischen ihnen zu schmälern, schien die beiden Mädchen auf absurde Art und Weise zu Schwestern zu machen, und bevor das geschehen konnte nickte Lynn auf die stolze, blonde Puppe dort im Spiegel: "Sieh dir das genau an, präg es dir ein und übe es. Wenn du mir das nächste Mal unter die Augen trittst und lieber den Boden anstarrst statt mir ins Gesicht zu sehen schlage ich dich grün und blau." Die Blonde schluckte und nickte zaghaft. Zu widersprechen wagte sie nicht, ebensowenig, wie sie zu erwähnen wagte, dass sie sich in dieser Gestalt dort im Spiegel selbst nicht wiederfand: "Zeit, Liebes." sprach Lynn hinter ihr und legte ihr die Hände wieder auf die Schulter. "Du wirst sehen."
Wieder nickte die Blonde nur und versuchte sich soetwas wie Vertrauen abzuringen, doch Lynn zu vertrauen war nicht einfach. In der kurzen Zeit die sie nun schon hier war hatte sie das Schwarzhaar sanft und einfühlsam, grausam und brutal, aufbrausend, warm und im nächsten Moment kalt und unnahbar erlebt. Sie lebte in ständiger Befangenheit, unfähig einzuschätzen, welches Wort oder welche Geste Lynns ewig schwelenden Zorn von Neuem entfachen würde. Und doch war sie durch die unmöglichsten Umstände abhängig von diesem anderen Mädchen geworden. Sie sehnte sich danach ein Band zu flechten, dieser Unantastbaren etwas zu bedeuten und weil Lynn gerade beinahe zugänglich wirkte und den ewig abschätzigen Blick für den Moment abgelegt hatte wagte sie einen Vorstoß: "Warst du auch seine Schülerin?" die Stimme klang ängstlich und brüchig obwohl sie sich um innere Stärke bemühte, doch Lynn schien gerade nichts Verwerfliches darin zu sehen. Beide waren sie zu sehr miteinander beschäftigt, um den Mann zu bemerken, der den Raum hinter ihnen betreten hatte und die Szene beobachtete. "Nein." sprach das Schwarzhaar hinter ihr: "Ich hatte nicht soviel Glück wie du." Die Blonde schluckte unwillkürlich und suchte nun ihrerseits Lynn's Blick, als langsam Gestalt annahm, was nötig gewesen war um dieses Wesen hinter ihr zu formen. Anteilnahme wollte sie ihr schenken, Mitgefühl, und vielleicht die Versicherung nicht allein zu sein: "Du tust mir leid."
Sie begriff gleich darauf, dass sie einen Fehler gemacht hatte, noch bevor das Schweigen zwischen ihnen sich ins Unerträgliche ausdehnen konnte. Die Blicke der beiden ungleichen Mädchen waren ineinander verkeilt und die Kleine bereute und scheute vor sich selbst zurück, als sie zusehen musste, wie jede Milde in den Augen der Schwarzen starb und das Türkis zu gleißendem Eis gefror, an dem man sich nur schneiden oder verbrennen konnte. Der Griff der beiden Hände auf ihren Schultern wurde fester, bis die Blonde das Gefühl hatte ihre Knochen knirschen zu spüren. Es kostete sie Mühe einen Schmerzenslaut zu unterdrücken, während Lynn mit sich selbst rang und dann doch mit einem Ruck von ihr abließ, sich abwandte und ging, vorbei an der Gestalt im Türrahmen ohne dieser auch nur einen Moment ihrer Aufmerksamkeit zu schenken.
Er ließ sie ziehen. Er wusste, wie wenig Sinn es machte, sie jetzt aufhalten zu wollen, was also sollte er anderes tun, als sie ihren Dämonen zu überlassen um die er längst viel zu genau wusste. So ruhten seine Augen nun auf einem schluchzenden, nackten Mädchen, das eilig seine Sachen zusammensuchte und sich mit zitternden Fingern darum bemühte sich wieder anzuziehen. Unentschlossen wankten seine Gefühle zwischen verständnisvoller Nachsicht für diese Kleine und einer unbestimmten Wut, der er keinen Namen geben wollte, und die er immer dann empfand, auf sich und auf jeden anderen, wenn jemand so ungeschickt war Lynn zu nahe zu treten. Unfähig sich für eines von beidem zu entscheiden, wandte er sich ab und ließ die Blonde allein, ebenso unbeachtet wie er gekommen war.
In Lynn tobte unterdessen ein alles verzehrendes Feuer, entfacht von einem jungen, unbedarften Ding, das seine Grenzen nicht kannte und allein mit seiner Naivität ihre Abscheu und ihre Eifersucht erregte. Sie wollte, nein, musste weg hier, fort von diesen grünblauen Augen, die sie zu jedem Zeitpunkt gleichermaßen anzuflehen wie zu verurteilen schienen. Sie nahm sich nicht die Zeit den Sattel zu holen, legte dem schwarzen Hengst, der Donas in so Vielem ähnlich war, nur das Zaumzeug an, schwang sich auf den breiten Rücken und stob davon. Sie ritt ihn hart und rücksichtslos, quer über die Felder, bis hin zu dem See, wo sie sich von dem schwitzenden Rücken gleiten ließ und sich gerade noch die Zeit nahm die Zügel über einen niedrigen Ast zu werfen ehe sie zwischen hoch aufragenden Felsen verschwand. Sie tobte ohne einen einzigen Laut von sich zu geben, schlug sich die Finger an rauhen Baumrinden blutig, trat gegen Felsen, ging nicht nur sinnbildlich regelrecht die Wände hoch in dem fruchtlosen Versuch ihrem Hass irgendein Ventil zu geben, warf energisch mit Steinen um sich und verzweifelte zunehmend an der Herausforderung die unsichtbaren Dämonen nieder zu ringen, die es nur für sie und nur in ihrem Kopf gab.
Er ließ sich Zeit. Sie zu finden fiel ihm nicht schwer und was er nun vorfand war nicht mehr als eine zusammengesunkene Gestalt, die sich auf den Boden gekauert und die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte. Die bebenden Schultern verrieten ihm, dass ihr Kampf noch nicht vorbei war, aber etwas ließ ihn zögern zu ihr zu gehen. Er musste abwägen, sich entscheiden zwischen der Möglichkeit ihr zu geben, was sie zweifellos wollte und zu gehen, sie allein lassen und ihr damit ohne auch nur den kleinsten Finger gerührt zu haben Gewalt anzutun, und der Möglichkeit ihr zu geben, was sie brauchte und sie, ebenso mit Gewalt, näher zu sich selbst zu zwingen.
Lynn bäumte sich auf, als er fest und unnachgiebig die Arme um sie schlang und sie an sich zog. Wild trat sie um sich, stemmte sich mit aller Macht gegen ihn, während er all seine Kraft aufbringen musste um ihre Arme fest an ihren Körper gepresst und sie an sich zu halten. Er ließ ihr keine Möglichkeit sich zu befreien und begegnete ihrer Forderung, er solle sich gefälligst verpissen mit einem sanften, aber entschiedenen: "Nein." Mit Ausdauer ließ er sie kämpfen, nahm stoisch hin, wenn ihre Ellenbogen ihn trafen, ebenso wie er ihre wüsten Beschimpfungen über sich ergehen ließ. Er wusste, dass sie sich wehren musste, wusste, dass sie sich verweigern musste und bekam doch jetzt erst eine Ahnung von dem wirklichen Ausmaß des Schmerzes der sich darunter verbarg, als er am eigenen Leib zu spüren bekam mit welcher Vehemenz sie dagegen aufbegehrte die Aussichtslosigkeit dieses Kampfes zu begreifen.
Er ließ sie wüten bis Schweiß auf seiner Stirn glänzte und die Muskeln in seinem Leib vor Anstrengung zu brennen begannen.
Er blieb bei ihr, als sie sich endlich ergab und vor Erschöpfung zitternd gegen ihn sank um wieder zu Atem zu kommen.
Und er hielt sie sicher in seinen Armen bis ihr nichts anderes mehr übrig blieb als den Kopf in den Nacken zu werfen und zu schreien...
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