Es roch nicht mehr nur ausschließlich nach Fisch. Jetzt, am frühen Morgen lag der verführerische Duft der kühlen See in ihrer Nase. Das Salz des Meeres im süßlichen Geleit von zahlreichen anderen Eindrücken, die den Fischduft überschwemmten. So war es durchaus aushaltbar. Und weniger trist als in jener Nacht, als man sie hier her führte und sie in ganz anderen Erwartungen kam, sich in dieses Haus stahl, als sei sie eine kleine, freche Diebin, nur um auf seinen Scherz herein zu fallen und letztlich mit offenem Mund inmitten eines Hauses zu stehen, welches fortan ihnen gehören sollte. Ganz allein ihnen. Nicht zur Miete, wie sie es im göttlichen Felsen taten, sondern ein Haus mit Fundament und Dach, aus festem Stein und kleinen Fenstern, welches ihr niemand mehr wegnehmen konnte.
Direkt am Hafen gebaut, unweit des Fischmarktes, war in der spätsommerlichen Hitze, der gedrungene Geruch in ihre Nase gestiegen und hatte zusätzlich zu einer enttäuschten Erwartung, das Blickfeld der Frau gänzlich getrübt, als sie wohl anders reagierte auf dieses Geschenk, als der Schenker es vielleicht angedacht hatte. Der vermeintliche Raubzug behindert, die Worte gehört, war Khea in den ersten Lidschlägen so geschockt inmitten des Dunkels gestanden, dass sie dem plötzlichen Impuls in Tränen auszubrechen fast nachgegeben hätte. Umso verwirrender und enttäuschender musste ihre Reaktion für ihn gewesen sein. Aber wann reagierte Khea schon mal, wie man es von ihr erwartete?
So stand sie nun vor dem niedrigen Türbogen aus Holz und betrachtete das dunkle Türblatt. Jemand hatte Wäsche unweit ihres Fensters aufgehängt. Wie eine Fahne wimpelte die Unterwäsche im dünnen Luftzug, der die winzige Gasse milde flutete. Ja, es roch kaum noch nach dem Fisch des Marktes, der unweit, eine halbe Straße und ein paar Stufen weiter unten lag und sich in die Stand und Gassenflucht dieses Viertels schmiegte wie eine wollüstige Hure an ihren Freier.
Möwen kreischten über ihrem Kopf und sie trat langsam auf die Tür des Hauses, welches fortan das ihre war, zu. Der Schlüssel, den er ihr gegeben hatte, fand seinen Weg in das kleine Schloss und sie drehte ihn umsichtig, fast vorsichtig, ehe sich das Türblatt nach innen aufstoßen ließ und den Blick auf den kleinen Flur preis gab, der sich in zahlreiche Räume des Häuschens verwinkelte. Es gab genug Platz. Weniger als in ihrer Wohnung in Götterfels, aber mehr als genug, wenn man bedachte, dass hier Löwenstein war und die Menschen hier ohnehin den Großteil ihres Tages auf den Straßen und am Strand verbrachten. In der mittäglichen Hitze des Sommers, wollte gewiss niemand in dunklen Räumen hausen und so wandte sich Khea der räumlichen Behaglichkeit von Lehm, Putz und Holz zu. Sie stieg ein paar Stufen hinauf. Das Schlafzimmer wurde nun bei Tageslicht inspiziert und auch der kleine Raum daneben, der sie einen Moment innehalten ließ.
Während der Blick der Raubvogelaugen auf dem Innenraum ruhte, schlug in weiter Ferne ein Glockenspiel zur Mittagsstunde. Alsbald würde der Wind aus dem Innland die Gassen wieder mit dem Duft von Fisch und frittierten Speisen tränken. Besser sie verließ ihr neues Heim solange und kehrte zu den Portalen zurück um ihm zu sagen, das sie das Haus wirklich, wirklich liebte und wollte und dass er verdammt nochmal endlich aufhören sollte zu schmollen!
Ihr Weg führte sie die Stufen hinab. Als sie aus dem kleinen Eingangsbereich trat, schlug ihr der Geruch des Essens umso stärker in die Nase. Irgendwo, zwei Häuser weiter kochte jemand wohl auch noch eine Wagenladung Kohl. Und wenngleich Khea eine Frau mit starkem Magen war, die ohne Federlesen einem Feind die Eingeweide mit der Klinge zerfetzen konnte (und bei den Göttern, das stank noch schlimmer als Pestilenz!), traf sie der Duft unvorbereitet. Gepaart mit dem Fisch vom Markt, dem Salz der See und der Süße des heute kühlen Sandes, des Brotes, dass der Bäcker zum abkühlen an die Fensterbretter gelehnt hatte und exotischen Früchten.
Der Brei aus zarter Lebendigkeit traf sie wie ein Faustschlag hart im Magen und Khea stolperte einen Schritt vorwärts. Beseelt von lauem Schwindel, der sie in letzter Zeit dann und wann befiel, erbrach sich die Blonde vor den Stufen ihres neuen gemeinsamen Heimes mitsamt eines dumpfen Würgens. Sie klang wie eine gurgelnde Ente, die versuchte eine Kartoffel zu schlucken. Nur dass es bei Khea eher raus, statt rein wollte.
Wenige Momente, dann war es vorbei. Die Gerüche um sie herum nur noch halb so schlimm und die Übelkeit in ihrem Kern getilgt, sofern sie das beurteilen konnte. Doch sie ahnte, dass so ein Anfall gewiss wieder käme, sobald ihr Magen sich wieder mit genug Magensaft gefüllt hätte. Solange er sich noch immer drehte wie ein Brummkreisel aus Kindertagen. „Hm... Kartoffeln von gestern...“, sinnierte die Dunkle angewidert und stieg über den stinkenden Brei hinweg und schlug den Kragen ihres Ledermantels auf. Sie sollte zurück. Scheinbar wurde sie krank- oder so etwas in der Art. Der Regen würde schon fortspülen, was sie da an der Schwelle hinterlassen hatte. Fish and Chips. Und ein kleines Geheimnis nahm sie mit nach Hause.
Kommentare 3