„Ruhig!“, drang der warme Bariton seiner Stimme über die wenigen Meter des Paddocks zu ihr herüber und ließ die Adlige erschrocken aufsehen. Cantarella wich nervös einige Schritte zurück, warf den schlanken, schön geformten Kopf hier und da auf und ab und zog am Führstrick, dessen loses Ende um seinen Unterarm gewickelt war. Ein ganzer Teil dieser 'Leine' baumelte herab und wurde von der anderen, starken Hand des Mannes aufgelesen und immer mal wieder leicht, fast neckisch gegen das Hinterteil der Stute geworfen, so dass sie sich in Gang setzte und weiter bewegte.
Geschmeidig wanderte das Pferd im Kreis, wenn es nicht gerade bockte und buckelte. Der sinnliche Schwung ihrer Muskeln spielte im Takt ihrer rhythmischen Hufschläge. Hier und da ein kleiner Sprung, ein Schlag der Hufen nach hinten aus, so dass Samantha erschrocken die Luft anhielt, dann ging es weiter. „Mister Adams... nicht, dass es zu gefährlich ist?“
Ihre Stimme klang selbst in ihren Ohren schrill, während sie dem Stallburschen, nein zweiten Stallmeister, weitere Ratschläge darbrachte, die er vermutlich gar nicht brauchte.
Er hatte offenkundig alles im Griff. Und sie selbst so gar nicht. Mit klopfendem Herzen schob sie sich am dickmastigen hölzernen Zaun entlang, der den Paddock umspannte und warf verstörte Blicke auf das Treiben im Inneren.
Er trug ein lockeres Hemd aus Baumwolle. Sauber und fein geschnitten, also eines der ihm angefertigten. Der Mann kam ja nur in Lumpen und Dreck in dieses Haus. Auch die lederne Hose, die sich eng um seine Schenkel spannte, stammte von ihr. Mit einem errötenden Blick auf eben diese Schenkel, rief sie sich in Erinnerung dem Schneider zu sagen, er solle die Hosen das nächste Mal etwas weiter fertigen. Noch immer beseelte Hitze ihre Wangen, während sie sich Pfosten um Pfosten den Paddock entlang schob und weiterhin sein Treiben bestaunte.
Dies hier hatte nichts mit Zähmung oder Bändigung zu tun. Er brach das Pferd nicht, ihre geliebte, wilde Stute- nein, er tanzte mit ihr.
Cantarella wollte ihm gefallen, dies war offensichtlich. Ihre störrischen Ausbrüche waren lediglich ein Teil ihres Wesens und ihr Sturkopf testete lediglich seine Grenzen aus, während er die Ihren auslotete. Wie ein geschmeidiger Tänzer bewegte er sich mit ihr über die Tanzfläche dieser kleinen, etwas tristen Sandfläche, die hart und kalt umspannt lauerte. Er trieb das Tier an, schnalzte mit der Zunge, ließ dem Zelter mehr Strick und raubte diesen in gleichen Teilen wieder, bis sie ihm folgte und freiwillig mit ihm im Rondell trabte.
Er wickelte den Unterarm frei, auf welchem straffe, nackte Muskeln schweißnass glänzten. Die Ärmel hatte er bis zu den Ellenbogen hochgeschoben und dort zu dicken Wulsten geknotet, damit sie nicht wieder hinab glitten. Raue Schwielen präsentierten sich an den Kuppen, die seine Finger ebenso rau machten. Zügel, Stricke und harte Arbeit hatten diese gebräunten Hände geschult, auf denen sich blonde Härchen neckisch wiegten.
Auch auf den Unterarmen zeigte sich der zarte, schimmernde Flaum. Weich und fast unschuldig, schützten sie seine wettergegerbte Haut vor zu viel Sonne und Wind.
Ihre Wange bettete sich auf eine der rauen Stämme und einen Moment vergaß das Persönchen, dass dort schmutzige Flechte lauerte und vielleicht sogar Krabbeltier, denn die Balken waren nicht lackiert und naturbelassen verblieben. Sie musste Al irgendwann bitten dies zu ändern. Aber nicht jetzt, da sie sich auf die Zehen stemmte und über die Latten hinweg spähte.
Ihre Stute war so wunderschön. Und sie strahlte eine lebhafte, süßliche Freude aus, die sie dem Tier längst nicht mehr zugetraut hätte. Dabei geschah das undenkbare, dass sich Samantha selbst etwas vergaß, wie es schon lange nicht mehr der Fall gewesen war. Ein penibler Schuh, der dazu gewiss nicht geeignet war, setzte sich auf die unterste Strebe des Zauns. Dann glitten die Hände über die oberen Balken und sie zog sich daran hoch, bis sie mit beiden Füßen hoch gestützt am Zaun lehnte. Sie konnte spüren, wie ihr der schneidige Wind unter die vier Unterröcke fuhr, doch das war ihr egal, während sie gebannt dem Tanz, dem spannenden Schauspiel zu spähte.
Cantarella bemerkte ihre heimliche Beobachterin als erste. Und wenngleich sie Samantha schon etwas mehr zugetan war, schien das edle Tier dazu entschlossen, heute keine Nachsicht mit ihr zu zeigen, als sie sich Coles findigen Händen entrissen und den schweren Körper mit einem verspielten Wiehern flankiert gegen das Gatter warf.
Das Fräulein Allington schrie auf. Blitzschnell hatte sie die Hände vom Gatter genommen und war mit hohem Bogen zurück gesegelt, ehe sie unfein, unter aufgebauschten Röcken auf dem allerliebsten Gesäß zum erliegen kam und dumpf aufstöhnte. Hütchen und Frisur gingen bei dem Flug und Aufprall ebenso verloren. Zumindest das Hütchen lag nun vergessen im Gras und die wilden Locken bauschten sich, gleich aus Blut gesponnen, um ihr dunkles Antlitz. Eben jenes erbleichte für einen Moment, als die Welt sich kunterbunt drehte, letztlich aber war es die Stimme des Stallburschen, welche sie die schwarzen Flecken vor den Augen weg blinzeln ließ. „Alles in Ordnung?“
„Ja ich denke schon...“, wollte sie wohl gerade antworten, als sie sich hinauf schob und entdeckte, dass der Kerl nicht mit ihr, sondern dem Pferd gesprochen hatte.
„Alles gut, meine Süße...“ Liebkoste er die Stute mit den süßesten Worten, während seine Dienstherrin im Schlamm saß und die vier Unterröcke sich mit kaltem Wasser vollsogen. Ihr Blick war dementsprechend entgeistert. Er half ihr weder auf, noch erkundigte er sich nach ihrem Befinden!
Letztlich aber, trafen doch diese blauen Augen, kalt wie ein Winterhimmel auf sie, indem er zwischen den Paddockstreben hindurch blinzelte. „Wenn ihr möchtet, dass ich mit ihr Fortschritte mache, solltet ihr sie nicht reizen, meine Dame.“
Samanthas Gesicht blähte sich unter dicken, kindischen Wangen. Gepaart mit der schmollenden Schnute einer Zwölfjährigen und ungläubigen Augen, während sich das Kinn trotzig reckte und einen Funken Stolz wahren wollte. „Vielleicht habt ihr auch einfach schlechte Arbeit geleistet!“, lautete die trotzende Antwort, als sie sich auf die Füße kämpfte und sich wie ein Wirbel aus Rot und grün, herum fuhr und wieder gen Haus stapfte, wo James ihr bereits die Pforte aufhielt und ihr ein Handtuch reichte. Dieser Butler war mehr als gruselig!
Dick war der braune, schlammige Abdruck auf ihrem Hinterteil, als sie wütend und verwirrt in ihr Zimmer stapfte. Bei den Göttern sie liebte dieses Pferd, doch gerade würde sie ihr am liebsten den Hals umdrehen. Nein, lieber dem reservierten, kühlen Herren, der es zähmte. Sie würde ihm ein Kupfer vom Gehalt einstreichen. Ja, ein ganzes Kupfer!
Diesen perfiden Plan geschlossen, schälte sich die Adlige in ihrem Zimmer aus den nassen Sachen. Ein Blick in den Spiegel verriet, dass ihre Wangen noch immer rot waren, und die Augen glasig. Wenn sie sich nun eine Erkältung eingefangen hatte, würde sie IHN umbringen. Jawohl. Mit einer Sticknadel. Langsam und qualvoll.
Die Wahrheit jedoch verdrängend, wand sie sich von ihrem eigenen Antlitz im Silberglas ab und trat missgelaunt ein kleines Stück Kohle zurück in die Glut ihres Kamins.
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