Goldener Käfig, Teil 3: Der Anfang
Ebonfalke, 47. Tag der Stecklinge , 1304 NE
Die tagelang andauernde, unbarmherzige Hitze hatte auch den letzten kühlen Ort der Zuflucht im Haus verdrängt. An diesem Tag aber war es überhaupt nicht richtig hell geworden. Der Himmel sah düster und bedrohlich aus und kündigte einen langersehnten, abkühlenden Wolkenbruch an.
Ihr Martyrium hatte schon im Morgengrauen begonnen und dauerte bereits über 14 Stunden. Ihre quälenden Schreie, die vielen rastlos hin- und her eilenden Schritte und das kleinmütige Raunen der Dienerschaft, vertrieben ihn. Als er den Fuß vor die Türe setzte, zuckten grelle Blitze am Horizont als stünde jeden Moment die Götterdämmerung bevor. Trotzdem führten ihn seine entschlossenen Schritte unbeirrt an den einzigen Ort, der für ihn am ehesten dem Schoß einer Familie nahe kam.
Eine Melange aus dichtem Zigarrenqualm, herbem Männerschweiß, billigem Frauenodeur, scharf-süßem Brandwein und süffigem Bier kroch ihm langsam und stechend die Nasenflügel empor, als er die Offiziers-Schenke betrat. Jeder Soldat, vom kleinen Unteroffizier bis hinauf zum hochdekorierten General, war hier willkommen. Höhere Ränge waren tatsächlich jedoch eine Seltenheit und Ehefrauen suchte man hier ganz vergeblich. Es waren vereinzelt Huren, die sich unter den Männern verdingten.
Sein Eintreffen sorgte für unruhiges Stühlerücken und Gemurmel und etwa 30 Mann, die verteilt an Tischen in der gemütlichen Schankstube saßen, hoben ihre Blicke zur Türe. Viele der unter ihm stehenden Soldaten erhoben sich, während er sich den Weg durch den Raum, zwischen den eng zusammengestellten Tischen hindurch bahnte und verneigten sich oder Salutierten sogar. Nur einige wenige waren zu Betrunken um ihm den verdienten Respekt zu zollen.
Er setzte sich nirgends dazu, sondern zog einen der Stühle etwas abseits der anderen Gäste an ein Fenster und setzte sich. Man brachte ihm Brandy und Zigarren, lies ihn aber sonst für sich sein. Er schwenkte die goldene Flüssigkeit gemächlich im Glas, sah zum Fenster und stieß kleine dichte Rauchwölkchen aus den weit geblähten Nüstern. Das Bleiglasfenster war beschlagen, von den Ausdünstungen vieler warmer Leiber auf zu engem Raum. Er beugte sich vor und wischte mit dem Ärmel den Beschlag eines der bleigeteilten Fensterchen fort. Ein Mann mittleren Alters blickte ihm unnachgiebig daraus entgegen. Er hatte auf unzähligen Schlachtfeldern gekämpft, so viele Kammeraden fallen sehen, so viele Feinde selbst dahingemetzelt, dass er es längst nicht mehr in Zahlen auszudrücken vermochte. Schwarz-graue, störrische Brauen saßen tief über seinen eisernen Augenlichtern und verliehen seinem Blick Strenge. Ein schwarzer, voller Bart, durchzogen von einzelnen grauen Strähnen, umrandete schmale entschlossene Lippen. Er war kein hässlicher Mann, aber er war auch kein sanfter Mann, der etwas darum gab zu gefallen. Noch vor wenigen Jahren war das anders gewesen, aber das schien weit zurückzuliegen. Während er hinaus in die schwarze Nacht stierte, Brandy trank, Zigarren rauchte und seinen Gedanken nachhing, vergingen die Stunden in denen es immer noch nicht regnete.
Er war gleichmütig ihrem Martyrium gegenüber und dem Ausgang, den es für sie nehmen konnte, ebenso. Er hatte nicht einen Fuß in das Zimmer der unglücksseligen gesetzt, nicht mit den Ärzten gesprochen, die ihn über die ernstliche Lage in Kenntnis setzen wollten, nicht gesehen, wie sie im Schweiße ihres Angesichts um ihr Leben und das ihres ungeborenen Kindes kämpfte, hatte ihr nicht trostspendend die Hand gehalten. Für seine rechtlich angetraute empfand er nur Verachtung. Seine einzige Liebe lag fernab jeglichen Sonnenlichts, tief in einer Gruft begraben und würde sein Herz nie wieder frei geben. Es war ein Fehler gewesen, zu glauben, dass eine neue Frau etwas daran ändern könnte. Sie hätte seinem Kind eine Mutter sein sollen, stattdessen setzte sie ein eigenes Balg in die Welt, einen Bastard. Seine Gedanken trieben Zorn durch seine Adern, pumpten ihn bis zu den Schläfen hinauf, bis seine Faust plötzlich gegen den hölzernen Fensterrahmen donnerte und alle bleiverbundenen Scheiben zum Erzittern brachte. Zu spät erst ward er sich seines offenen Ausbruches bewusst. Zögerlich blickte er sich um, hielt Ausschau nach Zeugen und stellte fest, dass der Schankraum sich über die Stunden gelehrt hatte. Nur noch ein Trunkenbold hing leblos über einem der Tische und die Schankwirtin kehrte hinter der Theke. Keiner der beiden starrte ihn an oder zweifelte mit Blicken an seinem Geisteszustand. Schwerfällig raffte er sich auf, strich seinen Waffenrock glatt, ließ ein paar Münzen klimpernd auf einem der Tische zurück und verließ die Offiziers-Schenke. Er hatte gerade einen Straßenzug zurückgelegt und noch fünf vor sich, da entluden sich endlich die Gewittergeplagten Wolken über der Feste und über ihm. Es war kein leichter Sommerregen, es waren Wassermassen, die der Himmel einfach über ihm ausschüttete, als hätte er die einzelnen Tropfen Jahrelang nur für ihn aufgespart.
Nass vom Scheitel bis zu den Solen kam er in seinem Haus an. Es war ruhig hier, beinahe totenstill. Er hörte nur seine eigenen schweren Schritte, die nasse Pfützen auf dem schwarzen Marmorboden der Eingangshalle hinterließen. Er stieg die breite Treppe empor und durchquerte den langen Ostgang bis zu seinen Gemächern. Im Flackernden Schein einiger im Zimmer verteilter Kerzen zog er sich die nassen Sachen aus und ein trockenes längeres, weißes Leinenhemd über, für dem kurzen Rest der Nacht.
Er bemerkte erst, dass sie im Rahmen der offenen Türe stand, als ihre heisere, gemarterte Stimme sich entfaltete. Sie hatte einen Hang zu melodramatischen Auftritten, aber das hier übertraf alles je dagewesene. Sie trug immer noch das lange dünne Nachthemd, das ihr von Schweiß, Fruchtwasser und Blut getränkt am Leib klebte. Ihr langes, goldenes Haar hing ihr platt und verschwitzt hinter den Ohren über die Schultern. Ihr Leib war ausgemergelt und ihre großen himmelblauen Augen stachen aus ihren tief eingefallenen, dunklen Augenhöhlen hervor. Sie sah mehr tot als lebendig aus und hielt sich nur mit allerletzter Kraft auf den dünnen Beinen, die unter ihr zitterten.
„Du bist zurück.“ Das sprechen fiel ihr schwer nach all der Anstrengung.
„Du lebst noch.“ Stellte er im gleichgültigem Tonfall fest.
„Du hast einen stattlichen Sohn, einen Stammhalter…. Und eine wunderschöne Tochter. Willst du sie nicht begrüßen?“
Er machte keine Anstalten zu ihr zu eilen um sie zu stützen, sondern ging zu seinem Schreibtisch und drehte ihr den Rücken zu. Geschäftig begann er Papiere zu sortieren.
„Zwillinge?“
„Ja.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Rauschen so schwach und farblos.
„Unsere Abmachung war eindeutig!“ Seine hingegen fest und unbeugsam. „Wenn es ein Stammhalter wird, dann nehme ich die Vaterschaft an, für ein Bastardmädchen habe ich keine Verwendung.“
Trotz Schwäche hört man nun deutlich die Schärfe in ihrer Antwort. „Wenn du die Tochter nicht nimmst, dann wird auch ihr Bruder nicht dein Sohn sein. Überleg dir das gut.“
Eine Weile lang war die Stille, die seine verzögerte Antwort einnahm, Raumfüllend. Ein langgezogener Atemstoß verließ seine Lungen als er sich zu ihr umdrehte, sah sie den blanken, ungeschönten Hass in seinen Augen lodern. „Glaubst du, du tust dem Kind damit einen Gefallen? Sie wird noch sehr viele Enttäuschungen hinnehmen müssen. Und jetzt geh, lass mir meinen Sohn bringen!“
„Ich sehe eine Regung in deinen Augen, auch wenn sie nicht wohlwollend ist, so ist es immer hin nicht die Gleichgültigkeit die ich sonst darin sehe. Ich bin guter Hoffnung, dass diese Entscheidung richtig war.“ Mit diesen letzten kraftlosen aber nicht schwachen Worten, wendete sie sich ab und schleppte sich mühevoll zurück in ihre Gemach.
Schlimmer als Hass ist nur die Gleichgültigkeit
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