„Was steht heute an, Vel?“
Neben ihrem Schreibtisch am Fenster hob sie, in Gedanken schwelgend, die dampfende Teetasse an die Lippen und blickte hinunter, auf das vom Reif überzogene Kopfsteinpflaster der Rurik-Pforte. Durch zarte Eiskristalle hindurch, die eine frostige Nacht auf den unteren Kaskadensprossen des Fensters zurückgelassen hatte, erschienen die Hauswände der gegenüberliegenden Straßenseite im frühmorgendlichen rosarot der aufgehenden Sonne.
Vel Antaine, seines Zeichens erster Buttler und Sekretär des Hauses, stand in ihrer Türe, den linken Handrücken auf das Steißbein gelegt, die rechte Hand ein ledergebundenes Buch vor dem Bauch haltend, das Kinn stolz angehoben und die Schultern nach hinten gestrafft. Auf ihre Frage hin öffnete er den kalender, den er immer bei sich zu tragen pflegte, blätterte auf den aktuellen Tag.
„Um 10 Uhr erwartet ihr Graf von Hohenheim. Ihr wollt ihn davon überzeugen Eure Ladyschafft, dass es angebracht wäre seine Cousine im nächsten Jahr auf dem Lilienball in die Gesellschaft einzuführen. Um 12 Uhr Mittagessen mit Lady Di Saverio bei Alfredos. Um 13:30 Uhr steht eine Anprobe des Ballkleides für den Winterball auf dem Plan bei Herrn Tuchmeister, um 15 Uh….“
Da wurde er jäh unterbrochen, als sie sich mit offenem Mund vom Fenster abwandte, ihm zu.
„Eine Anprobe?...Gleich nach dem Essen? Ist das dein Ernst Vel?“
Sie klingt zornig. Mit der Laune steht es heute nicht zum Besten.
„Das geht auf gar keinen Fall. Diese Termine müssen unbedingt getauscht werden.“
„Eure ladyschafft, die Schneiderei hat zwischen 12 und 13 Uhr Mittagspause.“
Gibt da der Sekretär in freundlich-sachlichem Ton zu bedenken.
Hinfort wischend hebt sie die linke Hand ohne sich vom Fenster abzuwenden.
„Das ist mir egal! Herr Tuchmeister muss früher zur Anprobe kommen! Und Alessa… die muss ihren Hunger eben einfach noch bis 13 Uhr im Zaum halten. Schick ihr eine Nachricht und ein paar Pralinen… oh und lass den Tischbei Alfredos um eine Stunde verschieben!“
„Sehr wohl Eure Ladyschafft!“
Man hörte leise den Bleistift über das Papier fahren, während er sich Notizen machte.
Sie schnaubte, schüttelte den Kopf über so viel Unfähigkeit und wendete sich wieder dem Fenster zu. Der würzige, mild-bittere Duft der Cantamischung und die schöne Säure von Zitrone, stiegen ihr mit den Dämpfen ins Gesicht. Sie schloss die Augen und genoss den warmen Dampf auf ihren Wangen, neigte das Gesicht sogar ein wenig über die Tasse.
„Und am Nachmittag?“
„Um 15 Uhr habt ihr Besichtigungstermine. Der Makler hat 4 mögliche Ladenlokale ausfindig gemacht, die als Verkaufsräume für die Pelzmanufaktur im nächsten Jahr in Frage kommen. Um 17 Uhr seid ihr mit Miss Finnegan verabredet um Wintertagsgeschenke zu erstehen.“
Da verdüsterte sich ihr Blick um deutlich sichtbare Nuancen.
„Wo du Wintertagsgeschenke erwähnst. Ich habe mich um entschieden. Die Geschenke für die Palas-Damen sollen nicht, wie ursprünglich entschieden, von Fräulein Yarim kommen. Es war einfach eine Frechheit, wie sie mich gestern vor allen Damen des Palas-Clubs herabgesetzt hat. Dabei habe ich ihr noch die Möglichkeit gegeben
ihre Produkte vor potentiellen Kundinnen vorzustellen. So etwas undankbares!“
Leicht geriet sie nun wieder bei dem Gedanken an den gestrigen Palas-Abend in Rage. Die Stimmlage wurde schriller und die Worte kamen fast ein wenig wie ausgespuckt über ihre Lippen.
„Weißt du was ich denke Vel….“
Ihm war klar, dass die Frage nur rhetorisch gemeint sein konnte und die Antwort gleich von ihr selbst folgen würde. So schwieg er und überließ
ihr ihr die wirkungsverstärkende Pause.
„…sie hat das geplant. Sie war von Anfang an darauf aus mir zu schaden. Erst hat sie meiner Farm Steine in den Weg gelegt und jetzt das. Sie wollte sich vermutlich an mir rächen. Dieses Biest. Nach außen hin stellt sie sich als das Opfer da und hast du gesehen wie alle darauf reingefallen sind. Wie sie sich alle um sie geschart haben um sie zu trösten.“
Ein hysterisches freudloses Auflachen folgte, als sie das Haar nach hinten warf und an die Decke blickte.
„Ich bin sicher, dass sie geplant hatte mich vorzuführen. Sie ist durchtrieben Vel. Noch viel mehr als Elizabeth. Oh die kann sich auf was gefasst machen. Da verbreitet sie munter ich hätte mich mit Wolsey verlobt und bleibt steif und fest dabei, auch nachdem ich ihr gesagt habe, dass es nicht stimmt.“
Sie ließ den Kopf von einer Schulter zur anderen rollen und zurück.
"Nimm sie von der Geschenkeliste, Vel. Ich werde später behaupten, dass meinem Sekretär ein unglücklicher Fehler unterlaufen ist.“
„Eure ladyschafft. Mit Verlaub, ich denke nicht…“
Sie ließ ihn nicht ausreden und wurde etwas herrischer im Tonfall.
„Ich bezahle dich nicht fürs Denken Vel. Glaubst du etwa, dass sie mir etwas schenken würde? Sie hat mir noch nie etwas geschenkt. Also nimm sie von der Liste oh und Helena Iorga auch. Die spricht ja schon seit Monaten kein richtiges Wort mehr mit mir. Wie sie sich versteift hat, als sich sie umarmt habe, als hätte ich ihr diese seltsame Tropenkrankheit vermacht unter der sie gelitten hat.“
„Natürlich Eure ladyschafft.“
Er macht sich Notizen und erlaubt sich kein eigenes Urteil.
Sie stellte ihre Tasse auf die Schreibtischkante des mit Intarsien reich verzierten, auf Hochglanz polierten Prunkstückes, ging um die stark nach außen gewölbten Tischbeine herum und setzte sich. Sie zog behutsam die messingbeschlagene Schublade auf und entnahm ihr geschäftig eine dicke Ledermappe, die sie auf dem Tisch öffnete.
„Ich habe von einem neuen Laden auf der Balthasarhochstraße, der Düfte und Cremes verkauft. Bitte erkundige dich nach den Öffnungszeiten. Ich denke ich werde dort etwas für die Damen finden. Das sind alle Termine für heute?“
„Ehem, nein.“ Er räuspert sich, hebt eine Augenbraue und senkt seine Stimme höflich. „Hier steht noch ein Termin, den nicht ich eingetragen habe, Milady - 20 Uhr Mechaniker - steht im Kalender. Diesen Mechaniker habt ihr schon häufiger in letzter Zeit konsultiert. Gibt es Probleme in der Manufaktur?“
„Nein, nein!“ Da wandelte sich ihr Blick, wurde weicher, sogar etwas verträumt. „Das hat schon seine Richtigkeit Vel. Sage Neftyr, dass er sich heute Abend bereithalten soll. Er wird mich begleiten!“
Weitere erklärende Worte wurden nicht gesprochen, allerdings auch nicht erwartet. Er machte sich Notizen.
„Wie ihr wünscht Milady.“
Sie blickte auf die Standuhr im Flur hinter Vel und begann dann die Papiere in der Mappe zu sortieren.
„Ich habe noch etwas Zeit bis Hohenheim hier eintrifft. Ich muss noch ein paar Rechnungen für die Brücke prüfen und begleichen. Sag Elise sie soll das blau-goldene Kleid mit den weißen Perlen am Ausschnitt für mich rauslegen und mir ein Bad einlassen.“
„Sehr wohl Milady.“
Er räuspert sich und hat wohl noch etwas zu sagen. Sie blickt über die Schulter und wedelt ungeduldig mit der Hand.
"Was ist denn noch Vel?"
"Herr Levi Iorga war hier und hat einen sehr hübschen Türkranz gebracht. Soll ich ihn anbringen."
Da kommt ein Lächeln über ihre Lippen, der Tag ist nicht mehr ganz so frostig.
"Aber selbstverständlich Vel, wieso hängt er noch nicht!"
Nun aber ist ihre Geduld erschöpft und sie winkt ihn hinaus.
"Ich werde ihn sofort anbringen."
Mit einer demutvollen Verneigung tritt er rückwärts aus Ihren Gemächern und schließt die Türe.
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