Hausgeister

Der Morgen war noch nicht erwacht und hielt die meisten Bewohner des Hauses im Schlaf. Nur die Ahnung des Tages kroch über die Zinnen der Stadtmauern und fand seinen Meister in den schweren Vorhängen der Fenster, die nicht gewillt waren, die Dunkelheit aus den Räumen und Fluren zu lassen.
So war es nicht mehr als eine kleine Kerze, die mit eben jener Finsternis brach und sie wenige Schritt weit vor sich her trieb, während sie im Rücken der kleinen Kerzenträgerin, unlängst wieder an Kraft gewann und sich verdichtete.
Altes Holz knarzte leise, ungeachtet dessen, ob vom kleinen Gewicht dazu animiert, oder dem Alter und natürlicher Ausdehnung verschuldet. Immer wieder erweckte es für einen sensiblen Geist den Eindruck, als würde das Gemäuer leben- und vielleicht war es auch so, wo die Geschichte des Hauses doch bis zur Entstehung der Stadt selbst zurück ging. Dennoch fühlte es sich nicht unangenehm an, barg das Haus im verborgenen doch reiches Leben. Würde sie gleich abbiegen an der Kreuzung des Flures, dann würde die das erste Schnarchen vernehmen. Gedämpft und konstant, von einer Person die sonst eher das höfliche Schweigen wählte in seiner Wacht. Ob die arme Wache wusste, des Nächtens so stark im Fokus zu weilen, wann immer er schlief und zwei rastlose Geister durchs Haus wanderten?


Eine Tür weiter, dort wartete hinter dem dunklen Holz ein vertrautes, dumpfes Tocken. Es klang unregelmäßig, durchzogen von leisen Seufzern und seltener auch dem Gekicher eines Geistes, der in fernen Träumen gefangen, dass Echo der Erlebnisse, mit der Nacht im Hause teilte. Drei Stunden hatte die junge Frau noch zum schlafen, dann würde sie aufstehen und sich um das Mittagessen kümmern, so wie die Vorbereitungen für den Abend.


Auch eine Tür weiter, war die neugierige Kerzenträgerin zum lauschen verlockt, wenn auch vergebens. Die Kammer stand noch leer und wartete auf seinen Bewohner, ebenso die nächsten. Fern von Leben waren sie allerdings nicht, nutzte ein kleiner Schelm des Hauses die offenen Türen doch aus, um in jedem Raum seine Spuren zu hinterlassen.
Die ersten Nächte war es gar nicht aufgefallen, bis das erste Schühchen völlig zerbissen und zerkratzt, als Trophäe im Salon abgelegt wurde- wo auch eins der Kissen dem pelzigen Hausgeist zum Opfer fiel. Weniger Gram, denn Verwunderung hatte er dafür geerntet, wo die Hausherrin verräterische Spuren gleich beseitigte.
Noch am folgenden Tag klang die Bitte, die Salontür doch stets zu schließen und der Schuh? Der fand nie wieder Nennung.


Nächte darauf, wurden die müden Sinne vom leisen Kratzen und Schaben begrüßt, auf einem frühen Streifzug durchs Haus. Schleichend hatte sie sich der Quelle genähert, den kleinen Tapetenkratzer allerdings nicht auf frischer Tat erwischen können. Nicht mehr als die schwarze Pinselspitze des Schweifes hatte sie hinter der Ecke zur Treppe verschwinden sehen, bevor sie begann, die Tapetenschnipsel einzusammeln, ebenso verstreute Erde aus dem Blumkübel, den sie zuletzt vor die Kratzer zog, damit sie verborgen blieben.


Und auch diese Nacht war der Schelm wieder unterwegs, dicht gefolgt von der Hausherrin, die zumeist schon dann erwachte, wenn andere noch schliefen und nichts mitbekamen von den morgendlichen Spielen zweier Geister. Wo der kleine Schelm nicht in den unbewohnten Kammern entdeckt wurde, lockte es sie tiefer, hinab in die Schankstube, wo nicht mehr als zwei Windlichter in dunklen Gläsern, blinde Schritte vermieden.
Dann endlich sah sie ihn: der tiefe Schatten des Tieres, der um die Ecke bog und dort verschwand.


Schleichend folgte sie auch hier, nahm eine jede Stufe mit bedacht und mied die Stellen des Holzes, die zum knarzen geneigt waren. Die kleine Kerze wurde auf der Treppe abgestellt, bevor sie ums Eck bog und die kleine Namensvetterin bei ihrem Streifzug erwischte. Noch mit dem hellen Pfötchen auf der Arbeitsplatte, ruckte der Kopf herum, damit Blicke sich kreuzen konnten.
Ob ein Tier sich ertappt fühlen konnte? Aiko glaubte es durchaus in den hellen Augen der Schneeleopardin erkennen zu können, deren Pupillen sich erkennbar weiteten und einem jungen Raubtier die kindliche Unschuld anhafteten. Und sie? Sie war zu schwach, um diesem Blick etwas entgegen setzen zu können. Mit dem Zeigefinger vor den Lippen, wurde dem jungen Tier die Lautlosigkeit gemahnt, während sie nicht minder verstohlen wie das Samtpfötchen in die Küche trat. Auf Zehenspitzen gereckt, barg sie die Schale aus dem obersten Kühlfach, wo der Rest der süßen Sahne wartete. Eigentlich hätte sie noch für den ersten Kakao am Morgen reichen sollen, doch nun sollte er als Tribut des Schwesternbundes dienen, die nicht mehr als einen Namen teilten, ihren Platz auf dem Boden, verborgen hinter einem Tresen und eine Schale mit Sahne...~

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