"Die Ehre der Frau ist es, die des Mannes zu wahren. Das ist unsere Aufgabe und unser Stolz, mein Kind."
Die Worte klangen ruhig, von einer samtenen Farbe gezeichnet, die in keinem Ohr jemals unangenehm auffallen sollte und eine Zufriedenheit ausstrahlte, die von jenem Stolz kündete, von der die Mutter sprach. Vor dem großen Wandspiegel saßen sie, auf dem Boden. Die kleine Aisawa lümmelte mit ihren fünf Jahren noch fern jeder Würde, vor der Anmut ihrer Mutter. Sie kniete, entspannt und routieniert, während sie in aller Seelenruhe das Haar der Tochter kämmte.
"Woran erkenne ich die Ehre?" Fragte das Mädchen, dass unlängst begann die Geduld ihrer Mutter zu verinnerlichen, um ihr das kämmen der Haare zu erleichtern. Sie und das unbequeme Gefühl ziepender Strähnen, ließen das junge Ding ruhig ausharren und den Bewegungsdrang in wackelnden Zehen münden, an denen ihre Finger herum zupften.
"Die Ehre zeigt sich mit unterschiedlichen Gesichtern. Doch es ist wichtig, dass du ein jedes respektierst und achtest." Ob der Worte runzelte Aiko die Stirn und sah von ihren Füßen auf, um das Spiegelbild ihrer Mutter zu betrachten. Schon jetzt war sie das große Idol des jungen Geistes, obwohl sie in ihrer Perfektion, stets etwas disharmonisches hatte. Noch konnte Aiko die tief verwurzelte Traurigkeit ihrer Mutter nicht fassen, die den blauen Blick eingenommen hatte und den Worten bittere Ironie anhaftete.
"So, wie ich Shé respektieren muss, auch wenn er nicht nett zu mir ist? Oder Meister Hu Jei , obwohl er mir auf die Finger haut?"
Der Blick der Mutter erweichte unter dem Versuch des Kindes, die Botschaft und den Sinn zu verstehen. Einer der wenigen Momente, in dem die Trauer vertrieben wurde, um der Liebe zum Kinde platz zu schaffen. Die Bürste verließ das Haar mit einem vorsichtigen Streich, noch bevor die schmale Rechte- zu dieser frühen Stunde des Morgens noch fern des Trauringes- sich wärmend auf den Kindsschopf legte.
"Nicht alle Taten sind schön. Nicht selten schmerzen sie uns, doch es ist unsere Aufgabe zu verstehen, warum es zu ihnen kommt. Oft sehen sie nicht, dass sie uns weh tun mein Kind. Und wie müssen abwägen, ob wir von unserem Schmerz sprechen sollten, wenn es sie von ihren Pflichten ablenken könnte, oder wir ihnen nicht unbewusst auch weh tun. Meister Hu Jei- wann haut er dir auf die Finger?" Sanfter klang die Stimme, im Wissen das Kinde damit aufzuwühlen, weil es um seine Fehler ging.
Und das Mädchen wollte nicht darüber reden, dass erkannte sie an den nunmehr gekrümmten Zehen und der zuckenden Nasenspitze, wo Aiko sich doch bemühte keine Schmollschnute zu ziehen, die ihrer Mutter so unliebsam war. "Ich..." setzte sie an und verwarf den Anfang doch wieder. "Er haut mir auf die Finger, wenn ich im Unterricht auf den Nägeln kau." Unsicherer wurde der lebhafte Blick des Kindes, suchte es doch den der Mutter im Spiegel. "Macht er es auch, wenn du mit den anderen zusammen Unterricht hast?" Hakte die Mutter ruhig nach und setzte wieder die Bürste im Haar an zum neuen Streich.
Hier schüttelte das Mädchen den Kopf. "Nein, aber dann schaut er immer so komisch wenn ich es tu. Genauso, wenn Kyo an ihren Aufgabenblättern knüllt. Oder wenn Ren wieder träumt und nur aus dem Fenster schaut." Nachdenklicher wurde die Kindesstimme, als ahne sie schon, dass da mehr lauerte und die Bestätigung sollte sie erhalten, als die Bürste abermals abgelegt wurde, damit die Fingerspitzen der Mutter, sich ans weiche Kinn des Kindes legen konnten und das kleine Köpfchen im sanften Deut, mehr zu sich drehen.
"Die Blicke des Meisters, sie künden von Enttäuschung, Aiko. Er will euch was beibringen, so wenige Stunden des Tages und ihr achtet sein Wissen und seine Wünsche nicht." Es war nicht fair an die junge Schuld zu appellieren, die ein Kind empfinden sollte und tatsächlich füllten sich die Augen mit dem ersten Schimmer nahender Tränen, weil man die Mutter nicht enttäuschen wollte und es ihr leid tat. "Wenn er dir auf die Finger haut, dann tut er das nicht, weil es ihm gefällt Aiko. Er tut es, damit du deine Finger nicht verschandelst, oder dir noch ernsthaft dabei weh tust. Das er es im großen Unterricht nur bei den Blicken belässt, zeigt dir, dass er deine Ehre wahrt und dein Gesicht. Es wäre doch noch schlimmer, haute er dir auf die Finger, wenn alle anderen es sähen- oder?"
Es dauerte wahrlich einige Momente, bis das Mädchen begriff und leise schluchzte, als das schlechte Gewissen sie übermannte. Hier wurde sie mehr in die Arme gezogen, geborgen in der mütterlichen Liebe und Wärme, die keine Grenzen kannte. "Ssh...es ist gut. Wenn du ihm eine Freude machen willst, dann hör auf, auf deinen Nägeln zu kauen. Sei ihm eine gute Schülerin, wie er es verdient hat Aiko. Und sage es auch den anderen. Er hat soviel Wissen für euch, dass nicht mehr kostet, als ein wenig Geduld und Respekt. Gewährt ihm dies, so wie er euch respektiert und Geduld beweist."
Und das Mädchen nickte, im Begriff das erste Gesicht der Ehre zu verstehen, dem noch viele folgen sollten.~
Kommentare 2