Es schepperte und klirrte schrill, als ein ganzes Service durch einen gezielten Wisch mit dem Arm zu Boden ging. Durch die Fenster fiel gedämpftes Nachmittagslicht, das fast schon den Abend einläutete, es war windstill und noch einmal ein bisschen schön gewesen heute, aber in der Stube sah es aus, als hätte ein Sturm durch die Stadt gefegt, die Möbel in den Häusern entwurzelt und die Einrichtung auseinanderbrechen lassen. Dabei war es nur Helena gewesen. Sie hatte gewütet und geschrien, beteuert, nichts zu fühlen und dabei mit allem um sich geworfen, was ihr in die Hände geraten war, und ihr Bruder Leon sowie auch ihr Vetter Adrian hatten nichts, nichts tun können, als machtlos beizustehen und mit offenem Munde anzusehen, wie sie skurril überdreht, mit heftigen Bewegungen peitschend den Raum vereinnahmt und verheert hatte.
„Jetzt beruhige dich aber mal!“, hatte Leon irgendwann scharf gesprochen und war nicht gegen den baumrindendicken Trotz seiner jüngeren Schwester angekommen, die siedend heiß und gleichzeitig kalt wie der durchfrorenste Winter eine Vase ergriffen und nach einem Bildnis ihres Onkels geworfen hatte.
„Nein!“, hatte sie dabei gekreischt, im Furor weiß erstrahlend; dann hatte sie eine nebenstehende Karaffe ergriffen und hinterher geschmissen.
Adrian sagte gar nichts. Sein Kiefer war gespannt und sein Gesicht gewiss nicht so souverän wie gewöhnlich, denn Unglaube saß wie ein gebannter Zuschauer in seinem Blick. Er sah sich außer Stande, einzuspringen.
„Helena!“ Wieder war es Leon, der Einhalt verlangte, gleichsam wagte er sich nicht näher als sechs Schritt an sie heran, denn immer noch wirbelte sie wie eine Windhose durch das Wohnzimmer.
„Es ist nicht immer 'Helena! Helena!'“, rief sie zurück. Sie war außer Atem von den anstrengenden Bewegungen, die sie immer noch mit viel Verve und Energie ausführte, nun zum Beispiel, als sie das Bild, das immer noch in seinem Rahmen an der Wand hing, abnahm und in rhythmisch grauenhaften Schlägen gegen die Tischkante schlug, bis die Leinwand riss, der geleimte Rahmen in seine Einzelteile barst. „Wie viel noch? Mir wird alles weggenommen! Erst mein Mann! Jetzt Victor! Was kommt als nächstes? Wer kommt als nächstes? Du Leon?!“
„Genau genommen war er nie dein M-“ Adrian wich zur Seite, als ein Stück des Bilderrahmens präzise auf ihn zuschleuderte. Er erschrak, aber den Muskeln nach, die in seinem Gesicht zuckten, rang er bei aller fassungsloser Verzweiflung auch ein Lachen nieder.
„Wir haben uns die Sache so nicht ausgesucht“, sprach wieder Leon, der genauso ratlos war und überdies unentschlossen, ob er streng und ärgerlich sein sollte oder ob es ihm ein Anliegen war, seine Schwester in den Arm zu nehmen. „Aber jetzt ist es so und wir machen das Beste daraus. Wir waren uns doch einig, dass Alesha eine gute Wahl ist.“
„Es geht nicht um Alesha! Ich habe nichts gegen Alesha!“
Eine Tasse kam unbeschadet auf dem Boden auf. Als Helena es sah, trat sie dagegen. Am Sockel des Schranks zersprang das Porzellan.
„Victor ist nicht aus der Welt. Er selbst hat-“
„Er selbst hat keine Ahnung mehr, was er tut! Er ist nicht mehr derselbe Mensch. Er hat sich in einen Waschlappen verwandelt. Ich lasse sie aus dem Weg räumen! Sie ist nicht mehr wichtig, sie hat schon geworfen.“
„Nein, Helena, das wirst du nicht.“
„Ha! Leon! Ha! Sag du mir nicht, was ich tun soll. Du sitzt nur in Shaemoor herum und kaufst Mohnfelder. Ich bleibe hier mit deinem Laden zurück, mit dem du dich schmückst.“ In ihrer Wut konzentrierte sie ihren ungerechten Zorn auf den Älteren, doch damit war auch in ihm ein übler Funke entfacht, der in seinen Augen glimmte und sie stumm warnte, diesen Pfad, den sie dabei war, zu beschreiten, nicht weiterzugehen. Sie erkannte es, und so oft sie auch blind war für Warnungen dieser Art – tatsächlich war sie eine der Wenigen, die sich von Leons schneidenem Anblick nicht einschüchtern ließen – diesmal erkannte sie, dass sie einen Schritt weit über das Ziel hinaus gemacht hatte. Um davon abzulenken griff sie nach einer Flasche, zog sie weit bis über den Kopf.
„Nicht die!“, rief Adrian den Mund erschrocken verziehend. „Die ist ein Geschenk von Libanez. Vierzig Jahre alt.“
Helena hielt inne. Dann schürzten ihre Lippen sich und sie stellte die Flasche zurück. Eine Sekunde danach zerplatzte jene an der Wand, die daneben gestanden hatte.
„Ich habe beide verloren! Und immer wenn das passiert, verbietet ihr mir, mich zu wehren. Ihr quält mich! Warum quält ihr mich so? Ich reguliere und bestimme über diese Familie. Warum behandelt ihr mich wie ein Mädchen, das nicht für sich selbst bestimmen darf?“
„Auch wenn unser Verbot weh tut, Helena“, sagte Adrian eindringlich und ruhig, „wir wollen nur dein Bestes.“
Helena stieß einen überheblichen, zynischen Laut aus.
„Ihr seid verrückt!“
Sie griff ein Gedeck dünner Keramikteller, doch ehe sie an der Wand zerknallten, wechselten die Männer einen Blick. Der stumme Austausch war genug und das Mädchen in ihrer verzehrenden Tobsucht prüfte sie nicht; sie stießen gleichzeitig vor und packten Helena an beiden Seiten, die aufschrie, ächzte, zappelte, um sich schlagen wollte und dann im doppelten Griff zusammenbrach.
„Es ist nicht fair...“
„Nein“, murmelte Leon in ihre weißgoldenen Löckchen, die unschuldig auf ihrem Kopf lagen. „Ist es nicht.“ Er küsste ihren Schopf und hielt sie fest, als sie sich wie ein Leichensack sinken ließ.
„Sie soll sterben. Sie hat ihn uns weggenommen. Sie soll sterben..“
Die Männer sahen einander an und es fiel ihnen schwer, nicht ergriffen zu sein von der Traurigkeit, die plötzlich zäh und undurchdringlich dort auslief, wo eben noch inbrünstige Wut geschäumt hatte.
„Victor hat mein Leben ruiniert.“
„Das hat er nicht“, besänftigte Adrian. Er zog Helena hinauf und übergab sie an ihren Bruder.
„Du wirst sehen“, sagte dieser. „Es ist zu unser aller Besten. Und wenn sie sich in der Stadt zeigt, wird sie schon auf ihren Platz verwiesen werden.“
Adrian warf Leon einen langen Blick von der Seite zu, doch er sprach nicht. Sein Vetter war fähig, etwas zu erkennen, das niemals gesprochen und dennoch gesagt worden war.
„Versprich mir, dass du auf Adrian hörst, Helena. Er ist dein Boss.“
„Ich weiß.“
„Versprich es.“
Sie begann zu weinen.
Adrian rieb sich mit der Zunge über die Zähne, er war ärgerlich.
„Ich sage Veruca, sie soll kommen und Helena trösten. Ähnlichkeit verbindet.“ Seine Worte waren verständnisvoll.
Aber da weinte Helena bereits nicht mehr. Sie hatte plötzlich damit begonnen und sofort wieder aufgehört und stand nun gefühlsverwirrt inmitten der Vernichtung.
„Ist schon gut.“ Die Männer waren überrascht, denn sie hatten nicht damit gerechnet, ihre feine Stimme so schnell erstarkt zu erleben. „Ich hole Vito. Er soll aufräumen. Es ist jetzt genug mit dem Geheul. Schaut mich nicht so an. Es gibt Arbeit zu erledigen.“
Sie schniefte, richtete sich das Haar wie ein Krönchen und stolzierte aus dem Trümmerraum.
Sekunden zogen dahin, dann klang ein einzelnes verlorenes Scheppern aus Richtung der Diele und Leon erinnerte sich, seine Kaffetasse auf dem Küchentisch zurückgelassen zu haben. Er stöhnte und rieb sich über die Stirn. Adrian lachte ratlos.
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