Die schwarze Hand griff nach dem Vorhang des Bettes, begleitet durch den Zorn der Götter, das Blitzen ihrer Augen und den Aufschlag der zur Faust geballten Hand an den Fensterläden ihres Zimmers, so dass die Läden zu zittern begannen und das kleine Mädchen sich Schutz suchend unter der Decke ihres Bettes verstecke. Der spitze Schrei, als auch die Hand nach der Decke griff hielt das Monster nicht davon ab zu ihr ins Laken zu kriechen und still und langsam sich den Weg zu ihr zu bahnen. Mit der Decke über den Kopf, ein Geist bei Nacht, huschte das Mädchen mit nackten Füßen über den kalten Boden, den langen Gang entlang, nur Kerzen erleuchteten ihren Weg. Bei jedem Blick zurück kam ihr der Schatten nach, verfolgte sie und entlockte ihr ein Wimmern. Sie rannte schneller, die Türe der Eltern war nicht mehr weit und der Schutz, der von ihrer geliebten Mutter ausging sollte den Schatten endlich vertreiben. Mit einem erneuten Blitz und das Trommeln dicker Regentropfen an einem Fenster erstickte eine Hand ein erneutes Aufschreien. Er hatte sie erwischt. Der Schatten war zu schnell gewesen und hatte sie gepackt und seine Finger drückten gegen ihren Mund. Der kleine Geist mit dem langen dunklem Haar zappelte und wand sich in dem festen Griff der Bestie, die sie seit Wochen in dunklen Wintertagen aufsuchte.
„Bist du endlich still!“
Die Stimme der Bestie war mahnend und scharf, und doch hatte sie etwas bekanntes. Die Bettdecke wurde von ihrem Kopf gerissen und das kleine Mädchen kniff die Augen zusammen. Sie wollte die Bestie nicht sehen, wollte schreien und toben, doch erneut drückten sich Finger an ihren Mund.
„Calliope. Sei endlich still. Oder willst du wirklich ärger bekommen?“
Sie riss die Augen auf. Woher kannte die Bestie ihren Namen und wieso trug sie die Stimme ihres Bruders?
Cenedor kniete vor ihr und sah sie aus strengen Augen an. Mit seinen 13 Jahren wirkte er des Nachts wie ihr Vater und sie vergas zu atmen. Ihre Augen hefteten sich an seine, hinter denen eine Strenge steckte, die sie erstarren lies.
„Kann ich jetzt loslassen, ohne dass du wieder zu schreien beginnst?“
Sie nickte wild, musste sie ihm doch von der schwarzen Bestie berichten, die ihr so schnell gefolgt war. Als er die Finger langsam von ihrem Mund löste öffnete sie die Lippen, doch kein Ton kam aus ihr raus. Ihre Stimme musste von der Hand mitgenommen worden sein. Ja, ihre Stimme war sicherlich ein Geschenk an seinen Herrn als Beweis, dass er es geschafft hatte sie zu ängstigen.
Cenedor stand auf und verschränke die Arme vor seiner Brust. Wie sie es hasste, wenn er das tat. Sie war keines der Mädchen, die das Essen nicht richtig gemacht oder die Wäsche nicht richtig gewaschen hatten. Er brauchte sie nicht zu mahnen. Ihre Augen funkelten für einen Moment zu ihrem Bruder hoch, viel Trotz lag in dem Blick, der im nächsten Moment verflog, als sein Blick noch strenger wurde.
„Tut mir leid, Bruder. Aber da war die Bestie unter meinem Bett, die raus kam...“
„Still!“ Obwohl er fast flüsterte war seine Stimme scharf und wie schon vorhin kam es ihr so vor, als ob irgendetwas in ihrem Hals wütete und sie vom sprechen abhielt.
„Calliope“ Nun war es doch er, der seufzte und sich zu ihr beugte. Seine starken Arme griffen unter ihre Arme und hoben sie hoch. Sie konnte seine Wärme plötzlich nah an sich spüren und wusste, das die Beste nun keine Chance mehr hatte. Sie schloss die Augen, als er die Türe öffnete und wieder in die Richtung ihres Zimmers ging. „Aber die Bestie“ murmelte sie noch in das Haar ihres Bruders, dass ihm mittlerweile bis zu den Schultern reichte.
„Es gibt keine Bestie. Es ist der Regen, die Blitze... Donner und lausiege Schatten, die dir ein Schauspiel vorgaukeln. Und ich verlange von dir, dass du das endlich verstehst. Du bist fünf Jahre alt. Mutter und Vater werden dir bald die Möglichkeit geben im Tempel bei den Priestern zu lernen. Möchtest du sie enttäuschen, in dem man dich nach kurze Zeit wieder nach hause bringt, weil du dich vor dem Regen fürchtest?“
„Ich möchte nicht in den Tempel.“
Cenedor setzte sie auf dem Bett ab und sah sie wieder streng an.
„Du möchtest dich gegen den Willen unserer Eltern stellen?“
Der Kopf des Mädchen schüttelte sich so, dass die Haare ihr ins Gesicht vielen und ihren traurigen Blick verdeckten. Doch auch wenn er sie nicht sehen konnte, so wusste Cenedor immer, wie sie fühlte. Sie konnte seinen Blick ebenfalls spüren, wie er auf ihr lag, nachdenklich, völlig ruhig und undeutbar, wie es ihr Vater auch immer tat. Er seufzte erneut und drückte ihren Kopf an seine Lippen.
„Schlaf jetzt!“
Die Bestie hatte sich verzogen und auch die Hand war nicht mehr zu sehen, wie immer, wenn ihr Bruder bei ihr war. Er würde es niemals zulassen, dass sie sich an ihr vergreifen würde. Niemals.