„Dr. Vior, der Patient spuckt! Er spuckt schrecklich viel! Es sieht nach Stuhl aus!“ Das Gesicht der jungen Pflegerin verzieht sich bei den Worten und Leonore runzelt die Stirn. Statt in ihren Apfel zu beißen, wie sie es eigentlich in ihrer Pause vorgesehen hat, tobt sie wieder nach drinnen in das Hospital. Während sie nebenhergeht, spricht sie klar und ohne jegliche Hektik, auch wenn die Schritte schneller gewählt sind. „Dann legen wir jetzt eine Sonde in den Magen und entlasten so den Magen und Darm, richte alles her, du wirst mir assistieren und lernen.“ Weist sie sie dann noch an.
Statt nach oben zum Patienten, geht sie erstmal ans Waschbecken und schrubbt akribisch ihre Hände. Nebenbei kann sie in den Spiegel sehen und ihre Schatten bewundern. Kopfschüttelnd verlässt sie die Waschecke und besieht sich unten noch einmal die Akte, bevor es sie nach oben zieht. Immerhin dauert das Zusammentragen der Utensilien ein wenig. „Kein Fieber, keine Abwehrspannung, geblähtes Abdomen.“ Fasst sie zusammen was sie heute Morgen noch notiert hat in der Visite, um dann direkt am Bett angekommen die Hand an die Stirn des Mannes zu legen. „Kein Fieber.“ Stellt sie neuerlich fest.
Einige Notizen nimmt sie vor, dann geht alles furchtbar schnell: Den Patienten setzt sie an die Bettkante, lässt ihn einen Schluck trinken, dann schmiert sie den bereiteten Schlauch ein und weist den Patienten mit scharfen Worten an, das Kinn auf der Brust zu lassen und erst zu schlucken, wenn sie es gestattet. Es gelingt, über die Nase schiebt sie den Schlauch vor, an entsprechender Stelle muss er schlucken und der Schlauch rutscht unter Würgen und aufbegehren. Letztlich aber fördert er zu Tage, was quälend an dem Patienten genagt hat. „Wichtig ist das Kinn und das sie an richtiger Stelle schlucken.“ Meint Leonore entschuldigend, denn sie hatte das Erklären einfach außer Acht gelassen. Da sie schon zu einem anderen Patienten gerufen wird, verlässt sie die Szenerie und lässt der Pflegerin das Saubermachen und aufräumen.
Die nächste Szenerie, welche sie betritt, stimmt sie ein wenig traurig. Auch wenn man es ihr nicht ansieht. Statt etwas zu sagen, legt sie der Frau Reimer ihre Hand auf die Schulter. „Sie sollten sich auch mal ausruhen, hm?“ Der Blick der sich ihr zuwendet, wirkt zwar müde, aber entschieden. „Nein, es ist alles gut. Und ja, ich habe genug getrunken und gegessen. Ich bleibe hier, ich will da sein, wenn sie ihren letzten Atemzug tut.“ So schaut Leonore nickend zu der grauen alten Dame auf dem Bett, komplett in weiß untermalt es den Eindruck entsprechend. An die Bettkante setzt sie sich, greift die Hand um den Puls zu tasten und lächelt milde. „Es wird noch dauern...“ Und natürlich bemerkt sie aus den Augenwinkeln heraus das erschrockene Gesicht der Angehörigen. „Kann man denn nichts tun? Ich meine…“ Und Leonore schüttelt entschieden den Kopf. „Nein, wir sorgen dafür dass sie keine Schmerzen hat. Alles andere liegt bei ihr.“ Und rascher als gewollt entzieht sie sich dieser Situation.
Die Tage im Hospital sind lang und mit Arbeit angefüllt. Kaum im Zimmer der Wachstube angekommen, wirft sie die Klammer aus ihrem Haar achtlos auf die Kommode, steigt aus den Stiefeln, schält sich aus dem BH und steigt danach in bequeme Wäsche. Aufs Bett lässt sie sich fallen, während ihr kurz schlecht wird. An den Apfel muss sie denken, rappelt sich nochmal auf dabei und geht zur Tasche um ihn heraus zu holen. Einen saftigen Biss erlaubt sie sich, kaut bedächtig und tigert dabei durch den kleinen Raum.
Statt sich wieder auf das Bett zu werfen, greift sie ihre Mappe und huscht nach unten und zum Feuer des Ofens dort, wo sie die Klappe aufmacht und diverse ungeschickte Briefe dem Feuer übergibt. Es stimmt sie nicht glücklicher, aber sie hat auch nicht mehr das Gefühl daran zu ersticken. Sobald der letzte Brief lodert, schmeißt sie die Klappe zu und rennt wie ein angestochenes Huhn wieder nach oben, schmeißt die Türe hinter sich zu und sperrt sogar ab. Zu ihrer Tasche geht sie, verstaut die Mappe dort und wechselt sie mit einer kleinen Federtasche, mit welche sie sich dann auf das Bett fallen lässt.
Die Hektik des Tages fällt von ihr, als sie sich die Spritze gesetzt hat und die Schnürung des Armes löst. Auf die Seite kippt sie, starrt den Rücken der Türe an und lächelt dann ein wenig seliger. So kann der nächste Tag kommen, an welchem sie sich viel Arbeit anlacht, nur um dann zu erschöpft zu sein um einfach zu schlafen. Eine Spirale, welche Gewohnheit wird.
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