Vorsichtshalber ein Spoiler wegen der Darstellungen
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„Was war das?“ Hermes war zu einem ständigen Gast im Anwesen geworden. Seine Augen legten sich, als er den Tisch umrundete, unangenehm durchdringend auf Helena. Sie saß, die Hände im Schoß zusammengepresst, auf einem Stuhl am Küchentisch und ruckte mit den Schultern.
„Leon hat mir gesagt, dass er mit Adrian gesprochen hat. Die beiden sagen, ich kann aus der Stadt raus, wenn ich will. Ich kann gehen, wenn es nützt. Einer von beiden wird mit Alesha sprechen. Ich muss aber vorher meine Angelegenheiten regeln und meine Schulden bezahlen.“
Hermes warf der Tür einen Blick nach. Der Iorga war, seiner Einschätzung nach, wütend auf ihn gewesen, als er gegangen war.
„Es sind doch bald Wahlen“, gab er zu Bedenken.
Helena hob nicht mal den Blick. Sie war unbeteiligt.
„Ja, na und?“
„Hast du noch Einfluss auf deine Familie und ihre Leute? Wenn du Geld brauchst, rate ich dir dazu, eure Wählerstimmen zu verkaufen.“
Damit brachte er sie dazu, kurz aufzusehen.
„Das ist etwas, das ich mit Adrian bereden muss.“
„Regel deine Angelegenheiten. Dann sehen wir weiter.“
Hermes ging. Es war seine Art, plötzlich aufzutauchen und genauso abrupt ohne Erklärung wieder zu verschwinden. Später kam Lynn zum Anwesen, weil jemand sie herbestellt hatte.
Wie sich herausstellte war es Adrian, der nach längerer Abwesenheit aus Löwenstein zurückkehrte. Er kam mit Tulio Libanez ins Anwesen. Sie sahen aus wie zwei Landstreicher, die sich gut gekleidet, aber vergessen hatten, sich den Reiseschmutz von der Haut zu waschen. Mit laschem Unterarmschwung warf er Lynn einen Beutel mit Goldmünzen vor die Füße.
„Hier. Kannst du das Alesha zukommen lassen? Er soll es in die Geschäfte einfließen lassen. Leon und Vera haben die anderen Teile.“
Vito, der mit im Zimmer war, musste denken, er sähe nicht Recht.
„Wo hast du das ganze Gold her?“
Adrian drehte das Gesicht über die Schulter.
„Geschäfte. Vito.“ Er ging sich umziehen.
Tulio blieb zurück. An Adrians statt stellte er sich den fragenden Betrachtungen.
„Längere Geschichte“, sagte er.
Einige Tage vorher...
Adrian hatte von Löwenstein aus über Antonia Godart Kontakt zu einer Informantin gehalten, an die sie mehr durch glückliche unvorhersehbare Umstände als gezielt gewollt geraten waren. Einer aus der Libanez-Sippschaft, ein fleischlüsterner Kerl namens Agostino, hatte sich mit einem Mädchen eingelassen, das sich, wie der Zufall es wollte, in einen Menschenhändlerring der Gendarraner Subkultur eingeschlafen hatte. Eine naive Bemerkung dem falschen Mann gegenüber hatte dann dazu geführt, dass Adrian von dieser losen Verbindung erfahren hatte.
„Sie sagt, sie redet nicht mit Iorgas“, rezitierte Antonia, die sich in einem ordentlichen Hosenanzug vor Adrian aufgerichtet hatte und wegen des Schnees, den sie von ihm bekommen hatte, noch ein paar Mal schniefte.
Er musterte sie langsam. Seine Brauen standen dunkel über den Augen, so hatte die umsichtige Betrachtung den Charakter einer Untersuchung. Es sah aus als suche er die beste Stelle, ihr unauffälligen, aber langanhaltenden Schmerz zuzufügen. Bis er absurd berührt lächelte.
„Sag ihr, sie bekommt ein halbes Gold. Sie hat nichts zu befürchten. Wenn sie will, soll sie ihre Freundinnen mitbringen. Ich will nur mit ihr sprechen. Keiner wird es erfahren.“
„Willst du selbst mit ihr sprechen?“
„Aber natürlich“, sagte er zuvorkommend. „So wie die Dinge gerade stehen, ist sie eine meiner besten Freundinnen.“
„Adrian willst du die Sache wirklich durchziehen? Es ist ein Geschäft, das Nicolae sicher auch gern machen würde.“
„Und wenn er zuerst davon erfahren hätte, wäre das sein gutes Recht“, folgerte Adrian freundlich und geschäftsmännisch gleichgültig. Es gab eine Trennung zwischen Familie und Konkurrenz. Beides konnte zusammenfallen, je nach Situation musste aber unterschiedlich damit umgegangen werden. „Er hat mir das Recht zugestanden, hier Geschäfte zu machen. Er bekommt seinen Anteil.“ Mehr hatte er nicht zu sagen.
Also legte sich Antonia Godart ins Zeug, das Treffen auszuhandeln. Der Informantin wurde die Wahl des Ortes überlassen, ein zusätzliches Entgegenkommen, vielleicht aber nur ein halbes, denn weil beidseitiges Interesse daran bestand, dass dieses Treffen niemals aufflog, fielen die öffentlichen Plätze und Tavernen von Beginn an unter den Tisch.
Sie trafen das Mädchen südlich von Löwenstein, abends, nahe der Tümpel im Archen-Vorland.
„Das stimmt einen doch misstrauisch“, murmelte Tulio, der Adrian unter anderen begleitete, aber sein Herr antwortete nicht und schritt nur todesernst voran.
Das Mädchen hieß Valentina. Sie war, wie Adrian feststellen musste, eine außerordentliche Schönheit. Ihr Haar sah aus, als könne man daran Gewichte festbinden, es war lang und dunkel, und ihr Mund sprach, so kam es einem zumindest vor, in einem fort unflätige Einladungen, ohne sich überhaupt zu öffnen. Sie hatte zwei ihrer Brüder dabei. Adrian hatte sicherheitshalber drei Männer mitgenommen, Tulio, Agostino, und Ilie. Er war sehr charmant, und sie, als sie ihre Unsicherheit überwunden hatte, nützlich und gesprächig.
„Das sind Elonier“, erzählte sie mit unruhigen Augen, die leer waren und sie einen Teil ihrer Schönheit kosteten. „Sie haben einen Schwall Krytaner aus Kessex gekauft, hauptsächlich Frauen und Jungen im Alter von zehn bis vierzehn. Die Geldübergabe soll übermorgen stattfinden.“
„Bei wem haben sie die Leute gekauft?“
„Das weiß ich nicht.“ Auch ihre Brüder konnten Valentina das Gefühl eines kalten Schauers nicht nehmen. Sie schlang die Arme um sich. „Banditen. Damit hab ich nichts zu tun. Kann ich jetzt mein Geld haben?“
Adrian griff hinter sich. Münzen klimperten, gedämpft von einem Ledersack.
„Wo wird das stattfinden?“
„In einem Haus in der Nähe der Klaueninsel-Portage. Bei Rahel. Er...ich war da nur einmal.“
„Beschreib mir das Haus.“
Sie sagte ihm alles was sie wusste. Das Unwohlsein haftete ihr an wie eine übelriechende Krankheit. Zuletzt nickte Adrian umsichtig und reichte ihr den abgemachten Preis.
„Danke“, murmelte sie, griff den Ledersack und hob den Blick nicht, solange er da war.
Allerdings ging Adrian nicht sofort.
„Dank mir nicht“, bat er.
In dem Moment überwältigen die Libanez jeweils einen ihrer Brüder. Die Männer röchelten unter dem Druck, der im Würgegriff auf ihre Luftröhre wirkte. Einer hustete Bröckchen.
„Nicht zu fassen.“ Tulio ungläubiges Lachen klang, als habe es sich nur versehentlich in den Sumpf verirrt. „Der Arsch ist besoffen.“
Als Valentina zurückwich, aber nur gegen Ilies Brust knallte, neigte Adrian den Kopf und musterte sie mit Bedauern.
„Ich kann Verräter nicht ausstehen“, sagte er mitfühlend.
„Ich hab euch nicht verraten! Ich hab euch doch geholfen!“
„Das stimmt schon“, pflichtete er bei und spannte die Finger. „Aber du hast Rahel verraten. Wer sagt mir, dass du mich nicht auch verrätst?“
Er sah ihr in die Augen, während er ihre Kehle zerdrückte, bis das letzte, was noch an Licht in ihrem Gesicht war, grau wurde.
Die Libanez schnitten Valentinas Brüdern die Blutzufuhr zum Hirn ab, einer fiel früher in Ohnmacht. Tulio lockerte seinen Griff nicht bis er tot war. Der zweite Bruder, ausgerechnet der schmalere von beiden, konnte sich mit einem Pferdetritt nach hinten befreien. Als er Agostino seine Faust ins Gesicht schmetterte, traf ihn Ilies kompromisslose Kugel in den Kopf.
„Sie ist wirklich sehr hübsch“, sagte Adrian zu Agostino, als er ihm ein Taschentuch aus dem Ausschnitt der toten Valentina reichte. „Aber du hast trotzdem keinen guten Geschmack.“
„Warten wir ab, wie die Lindwürmer das sehen.“ Tulio und sein Vetter blieben zum Aufräumen.
Der Rest war relativ einfach. In der verbleibenden Zeit konnten alle notwendigen Vorkehrungen getroffen werden. Adrian kannte das Haus, er hatte nur bislang nicht gewusst, dass die verhasste elonische Bande in dem unscheinbaren Kabuff ihre Geschäfte abwickelte. Und niemand rechnete damit, dass er es wusste.
„Wir gehen rein, bringen alle um, holen uns das Geld und machen uns aus dem Staub“, rekapitulierte er einen vormals wesentlich genauer durchgekauten Plan.
„Wer deckt uns von außen?“, fragte Ilie, der Adrian dabei zusah, wie er seinen Anzug ablegte und durch zweckmäßigere Kleidung ersetzte. Niemand würde sich über die zweifelhafte Ehre freuen, dass Adrian den Eloniern persönlich einen Besuch abstattete. Bei einer Summe von sechzig Goldmünzen war das angebracht, äußerte er gegenüber Nikolaj, der seine Bedenken zur Sprache gebracht hatte.
„Ist trotzdem verdammt gefährlich“, hatte er gesagt. „Man weiß nie, was schiefgeht.“
„Gar nichts wird schiefgehen“, hatte Adrian in altgewohnter, frisch daherkommender Zuversicht gesagt und die Trommel aus dem Revolver klappen lassen, um sie zu füllen.
Er sollte Recht behalten.
… Heute
„Dieser Rahel hat als letzter noch gelebt und kam uns dann so mit, von wegen, er wäre doch ein Freund.“ Tulios dünnes Lächeln verriet bereits wie es weiterging. „Ich glaub Adrian war kurz davor, ihn seine eigene Zunge fressen zu lassen.“
„Und die Frauen und kleinen Jungs?“, fragte Vito.
„Keine Ahnung. Von denen war nie die Rede. Wir waren nur da, um das Gold abzugreifen. Wenn wir uns tiefer einmischen, geraten wir nur in was rein.“
„Was habt ihr mit Rahel gemacht. Ihn erledigt?“
„Offiziell hat er sich mit dem Gold abgesetzt.“
„Und inoffiziell?“
„Tja.“ Tulio lächelte ein Lächeln von Verschmitztheit und Alltäglichkeit. Er schulterte sein Bündel, das er während der Erzählung abgelegt hatte.
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