Ceo finden. Das war ihr Antrieb, als sie an diesem Tag in's Salma-Viertel bog und den Weg zu Arian's Haus einschlug. Eskortiert von ihren beiden grauen Hunden Baskar und Bregan lief sie über das Pflaster und zählte im Stillen die Steine, wie sie es seit Jahren tat, wenn sie diese Straßen entlang lief und freute sich im Stillen darüber den ein oder anderen Stein wiederzuerkennen, als wäre er ein Freund, ein guter Bekannter wenigstens, auch wenn sie, Pflastersteine waren wortkarg, eine sehr einseitige Liebe für einander empfanden. Das Haus war schon lange Teil ihres Lebens. Früher schon, als es Alrik gehört hatte, dem Babier, dann als es nach seinem Tod in ihren Besitz übergegangen war und nun immernoch, obwohl sie es dem Söldner zur Verfügung gestellt hatte, der seine Familie darin leben lassen sollte. Es war anders gekommen. Aber das tat es in Götterfels ja immer.
Lynn klopfte, wartete, klopfte nochmal, doch im Inneren des Hauses rührte sich nichts. Einen Moment überlegte sie ihren Ersatz-Schlüssel zu zücken, den sie immernoch hatte, auch wenn Arian das sicherlich höchstens ahnte, doch dann entschied sie sich dagegen. Arian, diese Gewissheit war unumstößlich, würde sie nicht warten lassen. Also ließ sie von der Tür und schlug einen anderen Weg ein. Schließlich gab es da immernoch den toten Briefkasten. Wenn Arian nicht in der Stadt war, dann würde sie dort erfahren wo sie ihn finden konnte.
Das Büro in Löwenstein war klein und unscheinbar. Mit seinen winzigen Maßen fügte es sich nahtlos in das Stadtbild ein und schon durch das Fenster konnte sie ihn dort am Schreibtisch sitzen sehen. Die Tür war für Menschen gemacht. Weder Charr, noch Norn schienen willkommen zu sein und der Klopfer, ein Möwenkopf, wäre für Asura viel zu hoch. Aber auch Lynn hielt sich mit diesem nicht auf. Selbst das Schild mit den beiden Möwen über der Tür erhielt kaum mehr als einen kurzen Blick. Sie drückte die Klinke und trat ein. Ein leiser Befehl hieß einen der beiden Hunde bei der Tür auf sie zu warten, damit er weitere Gäste angemessen begrüßen konnte. Sie wollte ungestört mit dem Söldner sprechen.
Auch ohne den ausgerollten Teppich auf dem Boden würden ihre Schritte kaum einen Laut verursachen, aber so konnte ein Beobachter schnell eine einfache Erklärung dafür finden. Nur gab es hier keine Beobachter. Abgesehen natürlich von Arian, der bei ihrem Eintreten aufsah, aufstand und um den Tisch herum kam, ihr entgegen trat, und das Schriftsück, das zu schreiben er eben in Begriff gewesen war für den Moment vergaß.
"Hallo Lynn. Wie geht es dir? Entschuldige, dass ich gestern so schnell weg musste. Ich habe mich noch um einiges kümmern müssen." So, wie er sich im Stillen darüber amüsierte, dass sie nichtmal angeklopft hatte, ja viel mehr eintrat als wäre es ihr Büro, so schmunzelte sie ungesehen und nur in ihren Gedanken darüber, dass er sich rechtfertigte, obwohl sie gar keine Erklärung verlangt hatte. Viel mehr entbot sie ihm ein müdes Lächeln und legte die Hand auf dem Kopf des anderen grauen Hundes ab, der sie bis zum Schreibtisch begleitet hatte und sich nun zutraulich gegen ihren Schenkel lehnte. "Es ist alles soweit in Ordnung. Und bei dir? Hast du dich wieder gefangen? Du warst komisch gestern." Arian nickte und atmete kurz durch. "Sophie hat mir erzählt, dass sie von einem der Varathor's angesprochen wurde. Das hat mich ein wenig beschäftigt. Tut mir leid." Er entschuldigte sich schon wieder und fuhr dann fort: "Dennoch ein schöner Abend, wie ich fand. Auch wenn ich wenig davon hatte. Darf ich dir etwas anbieten?"
Kurz sah er sich um. Zu dem Whiskey-Glas auf seinem Schreibtisch bis hin zu dem Teeservice in einem Schrank dahinter. "Whiskey." entschied Lynn und ließ sich auf einem der gemütlichen Stühle nieder. Bregan legte seinen Kopf zutraulich auf Lynn's Schoß ohne die Augen von dem hühnenhaften Mann zu nehmen. "Oder hast du Mariani?" Sie glaubte es nicht, aber sie hoffte. Der Koka-Wein, vor etwas mehr als einem Jahr noch eine verbotene Besonderheit, hatte mitlerweile einen sicheren Platz in ihrem Tagesablauf gefunden. Sie seufzte innerlich, als Arian verneinte. Die speziellen Dinge hatte er, wie er sagte, woanders gelagert, also musste sie sich mit Whiskey zufrieden geben, aber immerhin den goss er ihr ein und Lynn nutzte die Gelegenheit um sich dem eigentlichen Thema zuzuwenden. "Sie hat mir davon erzählt, ja." kam sie auf Sophie zurück: "Caius Varathor. Was soll ich sagen, Arian? Du hast versprochen sie nirgendwo reinzuziehen. Und jetzt steckt sie unvermittelt mitten drin."
Der Mann schob das Glas in ihre Richtung als er es gefüllt hatte und nahm nun selbst endlich Platz: "Ich werde mich darum kümmern." versicherte er: "Ich werde es beenden und ein Treffen vorschlagen. Auf neutralem Boden. Und dann ... sehen wir weiter. Sophie wird nichts mehr von ihm hören. Ich beende es. Auf die eine oder andere Weise." Einen Moment fiel sein Blick auf das Schreiben vor ihm, was Lynn veranlasste sich über den Tisch zu lehnen und danach zu greifen, so selbstverständlich, als ginge sie das Thema etwas an. "Auf die eine oder andere Weise..." wiederholte sie leise. "Geht es Ceo wenigstens gut?"
Das Mädchen ließ von dem Schriftstück ab und sah Arian über das Papier hinweg an. Es war die von ihm angesprochene und an Caius adressierte Einladung zu dem Treffen, der Feder eines voreiligen Mannes entsprungen, der noch nicht genug über die Hintergründe wusste. Das machte sie wertlos, doch das ahnte Arian noch nicht. Er ahnte auch nicht, dass Lynn Ceo's Aufenthalt bei ihm lediglich riet, doch dachte er ebenso wenig daran, vor ihr ein Geheimnis daraus zu machen. Auf ihre Frage ging er gar nicht erst ein. Er hatte begriffen, warum sie hier war. "Sie wird nicht zurück wollen, Lynn. Ich bin fertig mit ihr." Sie ließ sich Zeit damit das Papier wieder vor Arian auf dem Schreibtisch zu positionieren. "Bist du dir da sicher? Es wird womöglich nichtmehr so einfach, die Sache unter der Hand zu regeln. Caius hat die Ministeriellen eingeschaltet. Und die Seraphen. Sie ermitteln gegen die Familie. Und sie ermitteln gegen mich."
Inwieweit das stimmte wusste sie nichteinmal mit Gewissheit. Aber darauf kam es auch nicht an. Es ging darum Schaden zu begrenzen. Oder ihn womöglich ganz abzuwehren, bevor er jenen entstanden war, die Lynn am Herzen lagen. Dabei nahm sie Arian nicht zwingend aus. Sie sah zu wie diese Information von ihm verarbeitet wurde und setzte nach. "Natürlich ist Ceo nur ein Vorwand. Aber die Dinge liegen, wie sie liegen. Ceo's Verschwinden hat ihnen gegeben, wonach sie sich seit Jahren die Finger lecken."
Lynn griff nach dem Glas und trank einen Schluck. Der Whiskey brannte im Rachen und half ihr dabei die aufkeimende Ungeduld niederzuringen, als Arian sich in seinem Stuhl etwas vorlehnte: "Du willst mir sagen, dass das Verschwinden einer Gärtnerin, die noch gesehen wurde, wie sie frei herumlief, mit mindestens 20 Tavernengästen die das bestätigen können, ein gerechter Grund für Ermittlungen ist? Dünn. Sehr dünn, Lynn. Aber wir beide wissen ja, dass man wegen einer Gärtnerin nicht so ein Aufhebens macht." Jetzt trank er selbst einen Schluck, stellte das Glas danach auf den Tisch zurück und ließ die Hände in seinen Schoß fallen. "Sie ist freiwillig bei mir." Sein lapidarer Ton wurde von einem Schulterzucken begleitet. "Niemand wird etwas dagegen tun können, wenn es ihr freier Wunsch ist bei mir zu bleiben."
Über den Tisch hinweg betrachtete er das junge Gesicht. Lynn wirkte müde. Das tat sie öfter in letzter Zeit. "Diskutier nicht mit mir, Arian. Bitte." Die Stimme war leiser geworden, als erschöpfe er sie nur noch mehr. "Du ahnst nicht, was dieses Gespräch, das wir gerade führen, mich schon gekostet hat. Du weißt sovieles nicht." Die Augen des Mädchens glitten von ihm ab und legten sich unbestimmt auf eine Stelle hinter ihm an der Wand. "Die Ministeriellen haben jemanden von uns entführt. Sie haben sie gefoltert. Wir haben sie seither nicht wiedergesehen." Lynn lächelte matt die Wand an: "Ich mochte Mila. Sie ist, ...oder war, ich glaube nicht, dass sie noch lebt, eine Libanez. Und die sind eng mit den Iorga's verwoben. Das geht bis ganz nach oben, Arian. Und das macht diese Unterhaltung hier zu einem Zugeständnis. Nicht von mir an dich." Ihre Augen legten sich abermals auf das Antlitz des Söldner's, der ernster geworden war und ihr entgegen sah wie ein Soldat, der von einem Leutnant seinen Einsatzbefehl erwartet: "Das ist meine Chance, dich zu schützen." schloss sie und hatte kein schlechtes Gewissen dabei.
Sie log nicht. Sie flunkerte vielleicht ein wenig. Verschwieg, dass Mila's Schicksal sie deutlich vor Ceo's Verschwinden ereilt hatte, verschwieg, dass es nicht die Minsteriellen gewesen waren, die Mila's Leben frühzeitig beendet hatten und vertraute dabei darauf, dass seine Diskretion es war, die ihr Flunkern vor dem Auffliegen bewahren würde. Er musste davon ausgehen, dass sie geheimes Wissen mit ihm teilte und in gewisser Weise tat sie das auch. Sie nutzte es, nicht zu seinem Schaden, für ihre Zwecke und überließ es seiner Vorstellungskraft zu den Schlüssen zu kommen, zu denen sie ihn gezielt hatte führen wollen. Seine Gesichtszüge waren mitlerweile versteinert bis er mit einem festen, entschiedenen Nicken sein Begreifen und seine Loyalität gleichermaßen zusicherte.
"Ich nehme an, du hast einen Plan." es war nicht wirklich eine Frage und er war auch nicht wirklich überrascht, als Lynn schlicht ebenso nickte und sich nun ihrerseits zu ihm lehnte um ihn eindringlich anzusehen. "Du hast sie mir angeboten, für ein paar Tage in meinen Diensten. Also gib sie mir und wenn du sie gut genug dressiert hast bringe ich sie dir hinterher wieder zurück." Dann griff sie abermals nach dem Schreiben vor ihm, nahm es an sich und riss es langsam in der Mitte entzwei: "Und über das hier reden wir vorerst nichtmehr."
Als er schlicht abermals nickte, ohne auch nur einen Gedanken an Widerworte zu hegen, ließ sie sich zurück in die Lehne fallen. "Ich stehe natürlich zu meinem Wort, Lynn." und es klang, als kostete es ihn nicht viel. "Aber ich brauche sie unversehrt. Ich habe noch viel mit ihr vor und es hat mich Mühe gekostet sie soweit zu bringen. Hinterlasst mir also keinen Scherbenhaufen." Das war seine Gegenforderung und vielleicht fiel ihm auf, dass sie gar nicht wirklich darauf einging, sondern sich stattdessen, das Schreiben noch auf dem Schoß, mit beiden Händen durch das Gesicht fuhr. Es schien, als fiele ihr eine schwere Last von den Schultern und, auch wenn er nicht ahnen konnte, dass es es sein und nicht ihr Kopf war, den sie hier gerade aus der Schlinge zog, es kam eben dieser Empfindung ziemlich nahe. "Hast du gedacht, ich weigere mich sie herauszugeben?"
Ja. Aber das sagte sie nicht. Es war nicht sein Verschulden, dass sie es nicht gewohnt war, dass Dinge so einfach laufen konnten. Ihm brachte sie ein "Nein." entgegen und führte erst danach aus, während sie die Briefhälften zerknüllte: "...aber es war eine lange schlaflose Nacht. Mit viel Zeit sich auszumalen, was alles schief gehen könnte. Ich mache mir Sorgen. Um alle beteiligten." Schroffer Ernst klang in seinem "Ich hoffe doch, ich gehöre nicht dazu." ebenso mit, wie in der Art und Weise, mit der er sein Whiskeyglas daraufhin leerte und es auf den Tisch sinken ließ. "Sei um Mitternacht in der Sackgasse, dort wirst du sie mitnehmen können. Ich weiß, wie ich sie ungesehen nach Götterfels bringe." Es klang entschieden und Lynn hatte keinen Grund daran etwas zu bemängeln.
"Hmhm, ich werde da sein. ...und natürlich gehörst du dazu. Wäre es nicht so, wärst du nur ein Bauer auf einem Spielbrett. Und ich keine Freundin." Aber das wollte er nicht hören. "Normalerweise bin ich dafür da, dass sich meine Freunde keine Gedanken machen müssen. Ich habe auch Leute, Lynn, Technologien. Sag mir, was du neben Ceo sonst noch brauchst und du wirst es erhalten. Egal, was es ist. Mach nicht immer alles alleine!" Es war ein Dialog, den sie so, oder so ähnlich schon öfter geführt hatten. Lynn schmunzelte matt auf, denn sie antwortete, wie sie es immer tat: "Ich komme schon klar." und sie war überzeugt, dass es stimmte.
"Trotzdem." gab er nicht sofort nach und betrachtete dabei ihre müde Erscheinung. "Wenn ich irgendetwas tun kann, sag es bitte. Wenn Freunde sich nicht gegenseitig helfen dürfen, wozu sind sie es dann? Mein ist deins. Das wird immer so bleiben." Ein 'Das weißt du doch.' klang ungesprochen und mit einer Fürsorge mit, die Lynn für einen Augenblick zum Schweigen brachte. Manchmal fragte sie sich, womit sie seine Loyalität verdient hatte. Vielleicht dadurch, weil sie sie, wie heute, nur dann einforderte, wenn sie ihrer wirklich bedurfte. "Pass du mir nur gut auf Sophie auf, Arian. Und geh mehr mit ihr raus, sie ist noch nicht soweit."
Ein herbes, aber nicht sehr lautes Lachen folgte. Endlich lockerte sich die Stimmung etwas und der Klang schob zwingendere, unschönere Gedanken beiseite. Das Thema wandelte sich in ein deutlich angenehmeres und es gipfelte darin, dass Arian ihr versicherte, seine Freundinnen nur dann an die Leine zu legen, wenn sie es wollten, womit er bei Lynn das ein oder andere unanständige, und vor allem unerwünschte Bild heraufbeschwor. "Eng sie nur nicht ein." gab sie ihm mit auf dem Weg, obwohl sie es war, die sich erhob: "Wir werden nie erfahren, wie schön sie wirklich ist, wenn wir sie daran hindern ihre Flügel aufzuspannen, soweit sie nur kann. Bis Mitternacht, Arian." Ein leiser Befehl an die Hunde und schon war der Söldner wieder allein.
Zurück im iorgaschen Anwesen wirkte sie erfrischter. Das lag zum einen an dem Spaziergang am Strand für den sie sich die Zeit genommen hatte und zum anderen an dem Gläschen Mariani, das sie hier genoss. Mit beidem belohnte sie sich gleichermaßen für einen erfolgreichen Tag. Sie ließ Helena eine Nachricht zukommen, in dem sie sie über Ceo's neuen Verbleib unterrichtete. Sie konnte nicht umhin zufrieden zu sein.
Und heute Nacht, wenn alles klappte, würde sie sich Ceo's Version der Geschichte anhören und sich dann überlegen, wie man den besten Nutzen aus all diesen Umständen ziehen konnte.
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