Gemütlich lehnte sie sich in dem bequemen Ohrensessel zurück und genoss die aufkeimende Behaglichkeit. Sie hatte den Abend in einer heißen Wanne voll ausgekostet und fühlte sich jetzt in dem frischen Bademantel angenehm ermattet. Das Zimmer wurde von einer Vielzahl Kerzen erhellt, die dem Mädchen, dass auf einem Kissen vor ihr kniete, Licht spenden sollten.
Jessica war blond wie die meisten ihrer Dienstmädchen. Zwar mühte Lynn sich steht's darum, Alesha's Augen zuliebe, auf Vielfalt zu achten, doch umgab sie sich gern mit dem Ruch von Unschuld, den man dieser Haarfarbe zu gern andichtete, obwohl gerade das Rabenhaar besser als manch anderer wissen musste wie konsequent Blond und Unschuld einander ausschließen konnten. Aber Jessica war keine Iorga, nur schlicht irgendein Mädchen, dass sie schon vor einer kleinen Weile aus der Obhut des Waisenhauses geholt und unter ihre Fittiche genommen hatte. Es hatte eine Weile gedauert, doch nach und nach hatte das Rabenhaar sich für das Hausmädchen erwärmt. Sie empfand sogar eine gewisse Liebe für die Blonde. Eben eine, wie man sie auch für ein zahmes Hündchen empfinden würde, um dessen Abhängigkeit man wusste und das man jederzeit in aller Beiläufigkeit von sich stoßen konnte, wenn es schnappte.
Jessica war gerade fertig damit Lynn's linkes Bein mit einem Handtuch abzutupfen und einzuölen und wandte sich nun dem rechten zu, stellte sich den Fuß auf die Schenkel damit sie die bloße Haut gewissenhaft einschäumen konnte, ehe sie die scharfe Rasierklinge am Oberschenkel ansetzte. Sie arbeitete sorgfältig. Sie wusste längst, wie sehr Lynn vermeidbare Makel verabscheute.
"Wie geht es Sophie und Elias?" erkundigte sich die Dunkle nach der Nichte und dem Neffen ihrer stummen Köchin und nahm damit den trägen Plausch wieder auf, den sie bis eben mit dem Mädchen geführt hatte: "Wie laufen ihre Lehrstunden? Kommt der Lehrer mit ihnen zurecht?"
"Ja. Oh ja..." Jessica zog die Klinge Mal um Mal langsam aufwärts und wischte den Schaum zwischenher immer wieder an einem Tuch ab: "Er kümmert sich gut um die beiden, wenn er sie mal aus dem Hasenstall bekommt." Kurz hob sie den Blick um das trockene Lächeln auf Lynn's Lippen aufzufangen und fuhr fort: "Sie sind den Jungen ganz verfallen."
"Den Hasen? Wirklich?" Lynn nahm einen Schluck aus dem Weinglas: "Ich werde Damon sagen, dass Jeff noch einen Stall dazustellen soll. Dann sollen sie sich beide einen aussuchen. Aber nur, solange sie sich auch selbst um die Tiere kümmern." mahnte sie gleich darauf und ließ das satte Rot im Glas kreisen. Sie mochte es großzügig zu sein: "Und Miri? Findet sie sich unter den Mädchen zurecht? Machen sie es ihr schwer?"
"Es ist nicht ganz einfach." gab Jessica zurück: "Sie verstehen nicht, warum gerade sie so eine Sonderposition innehat." abermals, diesmal aber verstohlener, sah die Blonde kurz auf, doch Lynn zerschlug ihre Hoffnungen auf eine Erklärungen mit einem einfachen: "Hmhm." das keine Fragen beantwortete. Seit dem Tag vor dem Spiegel in Gendaran waren Monate vergangen und in das Reh, das Miri damals gewesen war, kam langsam Veränderung. Sie, Lynn und Alesha, hatten Pläne mit dem Mädchen, hatten es zu einem Projekt erklärt, für das es ausser Neugierde keine Veranlassung gab,welches aber langsam die ersten Früchte trug. Zeit wurde es, denn Lynn verlor langsam die Geduld mit dem Mädchen. Nachsicht, zu der sie sich zwang, und die sie eigentlich gar nicht übrig hatte: "Wer macht es ihr denn so schwer?" hakte sie nach und war sich sicher die Antwort schon zu kennen, bevor die Vermutung mit der Nennung eines einzelnen Namens seitens Jessica bereits bestätigt wurde.
"Megan..." wiederholte sie leise und ließ es klingen wie ein "Die schon wieder..." das sie nicht aussprach: "Megan fängt an, mir auf die Nerven zu gehen." sie trank einen nächsten Schluck, während Jessica sich nun ihrer Wade zuwandte und sich dabei so tief über Lynn's Bein beugte, dass diese den Atem auf der klammen Haut spüren konnte, als sie nun sprach: "Der Hausherr scheint ihre Liebäugelei kaum wahrzunehmen." Das Hausmädchen wählte die Worte mit Bedacht und wurde abermals mit einem "Hmhm." belohnt. "Er scheint überhaupt nicht viele andere wahr zu nehmen." setzte Jessica nach und schlug damit einen schwesterlichen Tonfall an, den Lynn jedoch ungehört an sich abprallen ließ
"Das wirkt am Anfang immer so, Jessica." gab sie desillusioniert zurück und musste dann doch widerwillig grinsen: "Aber wenigstens können wir wohl sicher sein, dass ihm unsere Köchinnen nicht gefallen." Die Mädchen teilten ein leises, verstohlenes Lachen, in dem nur eine von beiden wusste, wie gefährlich das Wissen war, dass der Blonden anvertraut wurde. Jessica war eine bequeme Vertraute. Nach und nach hatte sie ihre Fähigkeit bewiesen immer verantwortungsvollere Aufgaben nach Lynn's Wünschen zu erfüllen und sich damit einen einzigartigen Platz im Haus gesichert, der sie ohne einen eigenen Posten über die anderen erhob. Sie war bequem, weil sie umsichtig war, loyal und sich ihrer Abhängigkeit stets bewusst. Ihre Position stand und fiel mit Lynn's Wohlwollen und Lynn legte Wert darauf, dass das Hausmädchen sich dessen hintergründig immer bewusst blieb. Sie legte jedoch auch Wert darauf, dass Jessica niemals bewusst wurde, dass sie mit all ihrem Wissen stets ersetzbar blieb. Und auch ersetzt werden würde, wenn die simple Bequemlichkeit sich in ihr Gegenteil vekehrte. Jessica ahnte auch nicht, dass ersetzt in ihrem Fall bedeutete, dass sie keine Gelegenheit erhalten würde all die pikanten Details, die sie zweifellos wusste jemals an jemand anderen weiter zu tragen.
Das Lachen zwischen den Beiden war schon eine Weile verklungen und Lynn hing ihren Gedanken nach, während die Blonde nun auch dieses Bein abtupfte und einen Flakon mit Öl entkorkte um die Haut damit einzureiben. Mitlerweile hatte sie eine gewisse Routine darin und sie trieb das Gespräch nicht aus einem eigenen Wunsch heraus voran während Lynn abermals einen Schluck aus dem bauchigen Glas nahm und versuchte zu ergründen, welcher Ursache der schale Geschmack auf ihrer Zunge entsprang. Ihre zumeist pragmatischen und zielstrebigen Gedankengänge rieben sich an Ecken und Kanten, die sie noch nicht benennen konnte.
Einer plötzlichen Eingebung folgend neigte sie dann den Kopf das erste Mal und ließt die Augen auf dem blonden Schopf vor sich ruhen: "Machst du dir Sorgen wegen Miri?" fragte sie plötzlich und das innere Unwohlsein in ihr wuchs an und begann Formen anzunehmen: "Das musst du nicht." wiederholte sie dann Worte, die sie vor gar nicht langer Zeit selbst aus einem anderen Mund gehört hatte: "Sie wird dich nicht ersetzen." milde klangen ihre Worte, beruhigend, liebevoll sogar . Sie wusste, dass Jessica sich nach dieser Sicherheit sehnte, dass sie geschätzt und gebraucht werden wollte, gewollt sein wollte, weil das alles war, was das Mädchen hatte und sie sich an den Strohhalm klammerte ein neues zu Hause gefunden zu haben. Ein anderes gab es für sie nicht.
Lynn's kalter Verstand jedoch hatte unterdessen längst mit grausamer Präzision begonnen Parallele um Parallele zwischen sich und diesem Mädchen zu ziehen, und als sie mit ansah, wie Jessica nun den Kopf hob um dankbar und treu zu ihr aufzusehen wurde ihr schlagartig schlecht. Bitter hallte bösartiger Spott über die eigene Naivität in ihren Ohren und ohne Jessica wissen zu lassen, dass sie gar nichts falsch gemacht hatte entzog sie ihr jetzt das Bein. "Du kannst gehen." entließ sie sie schroff und duldete keinen Widerspruch. Von einer Sekunde auf die andere verabschaute sie das Mädchen. Verabscheute sie für das Zögern, für die Sorge in ihrem Blick, von der Lynn zu wissen glaubte, dass sie nicht Jessica selbst galt, und sie verabscheute sie dafür, dass sie sich in stummem Einverständnis erhob und sie allein ließ. Ihre Abscheu galt Jessica allumfassend, glaubte sie doch für einen Moment sich selbst aus den Augen einer anderen zu betrachten. Mochten die Dimensionen auch gänzlich andere sein, in dieser Sekunde war Lynn sich sicher etwas begriffen zu haben, dass die ganze Zeit soviel näher gelegen hatte, als die Möglichkeit, dass was sie gerade lebte könnte wahr sein.
"Ich bin ein Dienstmädchen." sprach sie leise und in der Klarheit plötzlicher Erkenntnis in die Stille des Raumes hinein und ihre hübsch polierten Fingernägel gruben sich rücksichtslos in die nachgiebige Polsterung der Armlehne. Ein Dienstmädchen. Ein treues Hündchen, dass man sich nahe holte, solange es nützlich war. Ersetzbar... "Ein Dienstmädchen..." wiederholte sie tonlos und die Worte brannten in ihrer Kehle nicht weniger als in den viel zu trockenen Augen. Sekunden vergingen in denen Lynn das Atmen vergaß und in denen das unauslöschbare Gefühl verraten worden zu sein derart überhand nahm, bis es nur noch mit den einzigen Waffen in Ketten gelegt werden konnte, die Lynn gegen die aufkeimende Betroffenheit aufzubringen vermochte.
Zorn und eine gar nicht geringe Portion Selbstverachtung ließen die Schatten im Raum scharfkantig über die Wände tanzen. Regungslos starrte sie ins Nichts, bis sich auf mitlerweile blassen Lippen ein freudloses Lächeln abzuzeichnen begann. Ihre Sicht verschwamm, als sie mit schlafwandlerischer Sicherheit nach dem kleinen Döschen auf dem Beistelltisch griff. Das weiße Pülverchen würde es erträglicher machen. Wenigstens, dieser Gedanke umklammerte sie mit all seiner zerstörerischen Ironie, konnte sie sich jetzt wieder sicher sein, was sie wert war...
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