Archie konnte es einfach nicht recht fassen als er in das Gesicht des jungen Dinges sah, dass da mit schmutzigem Gesicht vor ihm stand. Tränen hatten saubere Streifen in dem Ruß hinterlassen der zu großzügigen Teilen die helle Haut bedeckte und sogar jetzt noch erfolgreich die Röte der Wangen zu kaschieren wusste die da aus Verlegenheit und Heulen geboren worden war. Es lag nicht daran, dass an der spitzen Nase immer wieder eine kleine Rotzeblase entstand wenn das Mädchen schubweise versuchte zwischen den Tränen Luft zu holen. Es lag auch nicht daran, dass er zwischen genau diesen Schüben aus Luft holen und Tränenkeuchen kaum ein Wort von dem verstand was sie ihm gerade zu sagen versuchte. Es lag nicht einmal an dem neuen Brandfleck der die Decke seiner Kajüte verzierte, oder den im Krug schwimmenden Resten seiner angeschwelten Vorhänge, dem betreten dreinblickenden Lausbuben in der Ecke der versuchte sich unsichtbar zu machen, oder aber den möhrenroten Haaren auf dem Kopf der Delinquentin. Nein, nichts davon als einzelnes brachte Archie aus der Fassung. Es war das Gesamtbild das sich ihm hier ergab.
Und so schnitt er dieses stottrige Gesabbel schließlich mit einer entnervten Geste mitten im Satz ab, so harsch das gleich beide Kinder ihn erschrocken ansahen und tatsächlich für einen Moment verstummten. Nur noch dieses abgehackte Luft holen und das Schniefen einer verstopften, vom Tränenfluss zugeschwollenen Nase waren zu vernehmen. Archibald Jones, auch bekannt als Sechsfinger-Archie, war noch nie jemand gewesen der sich von einem Hindernis lange aufhalten hatte lassen, und ganz bestimmt auch nicht von einem pubertierendem Mädchen. In solchen Momenten war es seine geliebte Meerschaumpfeife die ihn zurück in die Routine brachte, einem Anker gleich mit dem er seine Gedanken auf einen bestimmten Punkt konzentrieren konnte. Wie von selber trugen seine schweren Schritte ihn hinüber zu diesem Gebilde zu dem die Bezeichnung "Thron" wohl besser gepasst hätte als Stuhl. Dieses schwere Ding aus dunklem Holz mit dem bordeauxroten Samtbezug, dass er in irgendeiner seiner ungezählten Wetten gewonnen hatte. Es kümmerte ihn inzwischen nicht mehr, das Glücksspiel war irgendwann mehr zu einer Routine geworden als zu diesem Reiz, dieser Herausforderung, die es vor Jahren noch für ihn dargestellt hatte.
Erst als er sich schweigend hingesetzt hatte, damit begonnen hatte seine Pfeife zu stopfen deren Kopf einer barbusigen Sirene nachempfunden war, deren fischiger Leib in den Pfeifenhals überging, erst da erhob er wieder ruhig seine basslastige Stimme um ohne einen Blick zu dem dunkelhaarigen Jungen hinüber zu sprechen: "Cillian. Raus hier." Eine Aufforderung die der Kapitän nicht ein zweites Mal wiederholen musste, denn der junge Bursche gab bereits Fersengeld und schmetterte hinter sich hörbar die Türe zu. Archie blieb zurück mit dem Mädchen, dessen Geschluchze inzwischen abgeklungen war auf ein erträgliches Maß. Er war nie ein Mann vieler Worte gewesen, nur ein Mann der richtigen Worte. Entsprechend fiel auch jetzt wieder nur sehr knapp ein einzelnes Wort, in einem Tonfall vermittelt das er eine komplette und vor allem aber verständliche Antwort erwartete: "Also?"
Es benötigte dennoch einen Moment, in dem das Mädchen mit ihren Handrücken über die hellen Augen strich um Reste von Tränenflüssigkeit fortzuwischen. Der alte Trotz setzte sich durch, Scham darüber das man sich so eine Blöße gegeben hatte, geweint hatte. Das schmale Kinn wurde nun entsprechend auf eine beinahe herausfordernde Weise in seine Richtung gestreckt, ein Anblick der einen seiner Mundwinkel nach oben zucken ließ. "Die Männer hab'n sich lustich gemacht. Hab'n mich 'ne olle Hexe genannt. Grauschopf...meint'n 'ch wär 'ne Omma." Trotz der großen Geste mit der sie den Kampfesgeist wohl hatte demonstrieren wollen war ihre Stimme immer noch kratzig und leise, als sie von den Frotzeleien der Mannschaft zu berichten begann. "Also bin 'ch zu Reez, hab ihm mir 's von sein'm Haarfärbemittel, ehm...geborgt." Das kurze Stocken, der Seitenblick zu Archie reichte aus um zu wissen das "geborgt" eigentlich bedeutete, dass sie in seine Kajüte eingedrungen war und sich ohne Wissen des Asuras einfach genommen hatte. Das Ergebnis sah er ja auf ihrem leuchtend roten Kopf, der wohl auch gut als Signalfackel hergehalten hätte. Eigentlich war es schon Strafe genug, dass sie statt ihres silberweißen Haares nun für eine Weile wohl mit dieser Farbe würde herumlaufen müssen. Mehr als genug neues Futter womit die Mannschaft sie aufziehen konnte und sicher war ihr das selber auch deutlich bewusst.
Archie musste sie nicht auffordern weiter zu sprechen, er entzündete lediglich ein Schwefelholz, hielt die kleine Flamme an das Tabakkraut in seinem Pfeifenkopf und zog die Glut mit paffenden Geräuschen tiefer hinein. "Ab'r 's hat nich richtich geklappt. Statt so 'm richtig'n Rot wurd'n die...scheiß Archie, schau doch bloß! Cillian hat mich geseh'n un so gelacht 's er sich fast eingepisst hat. Dann hab'n wir gestritt'n un uns geprüg'lt un dabei die Kerze runt'rgeriss'n." Das erklärte die angebrannten Vorhänge und den neuen Fleck an der Decke. Und dem Schweigen nach das nun wieder eintrat war das auch ungefähr der Zeitpunkt gewesen zu dem er wieder hier hereingekommen war. Das Mädchen hatte sich größtenteils wieder gefangen, sie wusste es würde irgendeine Strafe geben, neben ihrem roten Haar, und sie wollte sie wohl nur noch hören und sich dann wie Cillian schnell verziehen.
Nur...so schnell schien Archie sie nicht gehen lassen zu wollen. Immer noch lagen seine dunklen Augen auf der Gestalt des Mädchens vor sich und wurde inzwischen widerwillig erwidert. Trotzdem ließ er sich Zeit, allein schon um das junge Ding zappeln zu lassen wie einen Fisch am Haken. Er, und natürlich auch sie selber, wussten beide nur zu gut das er sie nicht einfach so damit durchkommen lassen würde und auch nicht konnte. "Was habe ich dir beigebracht, Äffchen?" Eine Frage die sie wohl überraschte, so wie er ihre schmalen Augenbrauen hochrucken sah. "Meinst du 's eine ma wo du mir drei Orang'n inne Hand gedrückt hast, damit 'ch jonglier'n lern? Du meint'st zu 'm Aff'n gehör'n 'n paar Tricks." Der Tonfall in dem sie das sagte machte mehr als deutlich klar, dass sie selber wusste das es ihm nicht um diese eine spezielle Lektion gegangen war und er musste sich deutlich beherrschen um nicht einfach aufzulachen. Dieses Kind...
"Ich habe dir gesagt, dass man sich immer nur für andere Menschen verstellt. Nicht vor sich selber. Deine silbernen Haare gehören zu dir, wie mein sechster Finger zu mir." Dieser sechste Finger an der linken Hand, der ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte. Wo viele Männer seiner Branche eher über zu wenige Gliedmaßen verfügten, weil sie im Laufe der Jahre nach und nach abhanden gekommen waren, da konnte er direkt mit einem überschüssigen aufwarten. Und inzwischen ging sogar das Gerücht um, der Finger sei ein Geschenk Lyssas gewesen, die seine Spielerfinger damit gesegnet hätte. Sein Glücksfinger. "Lass die Leute reden. Lach mit ihnen. Aber sei mit dir selber immer im Reinen. Eine Maske kann nur so gut sein wie ihr Träger. Und gerade eben siehst du aus wie ein verdammtes Streichholz." Für Archies Verhältnisse glichen diese Sätze beinahe schon einer Rede und sie sorgten dafür das die schmutzigen Wangen mit den Tränenspuren doch nochmals rot aufflammten.
"Na los, hau ab. Und leg dir ein dickeres Fell zu. Wenn dich sowas schon zum heulen bringt, kann ich dich auf meinem Schiff nicht brauchen." Dass er damit nicht nur an ihr Ehrgefühl, sondern auch direkt wieder den Kampfesgeist appellierte wusste er nur zu gut und er sah die Reaktion sofort, als sie ihre Hände zu Fäusten ballten und ihren dürren Körper anspannte. Auch das knappe Nicken, die zu einem Strich zusammengepressten Lippen konnte er ausmachen. Ihr Gesicht war für ihn noch nie schwer zu lesen gewesen und wieder musste er schmunzeln als sie sich nun so ruckartig herum wandte und die Türe anstrebte.
Sie hatte die Klinke bereits in der Hand, als Archie hinter ihr nochmal ruhig die Stimme erhob:
"Ach und Kay? Ich denke zwei Wochen in der Kombüse sind angemessen. Melde dich beim Smutje und nimm Cillian direkt mit."
Strafe musste sein und nichts stellte eine größere Strafe dar als der Möwe ihre Freiheit an Deck zu nehmen und sie zu den Kartoffeln zu sperren. Eine Aufgabe die sie inzwischen fast schon meisterlich beherrschte so oft wie sie dort unten hockte und helfen musste. Erst als die Türe hinter dem Mädchen wieder verschlossen worden war, gönnte sich Archibald Jones den Genuss leise aufzulachen. Entweder würde das Kind ihn eines Tages in den Wahnsinn treiben, oder seinen Posten übernehmen. Und irgendwie konnte er mit beiden Vorstellungen ganz gut leben.
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