"Ich kann seine Hälfte haben!"
Ihr Sopran klang hell ins Dunkel des Flurs, als sie beschwingt die Tür hinter sich zuschlug.
"Du wirst es nicht glauben", begann sie noch im Flug, im Gehen striff sie sich die feinen Handschuhe vor den Fingern. Den Becher aus dem Meridian stellte sie mit einem Bodensatz Rotwein auf dem Esstisch ab, noch bevor sie Licht in der Küche entfachte. "Ich packe gleich meine Sachen und falle bei Leon ein. Glaubst du, er ist noch wach?"
Niemand antwortete ihr. Anya ließ sich davon nicht beirren, als würde sie das auch nicht erwarten. Sie warf die Kapuze von den blassen Locken und die Mantille von den Schultern. Alles zusammen brachte sie in den Flur. Für einen Moment brach ein Sonnenstrahl die Finsternis ihres Hauses, als sie Leben hineinbrachte, hin und her huschend, wie so oft am Abend.
"Helena hat gesagt, wir teilen sie uns. Und wenn ich länger dabei bleibe, dann kann ich mehr kaufen. Ist das nicht toll?"
Wieder in der Küche, blickte sie scheinbar ziellos in den Vorratsschrank, fischte eine halbe Handvoll Maiskräcker aus einer Schale und leerte sie knuspernd, bevor sie diese auf die Küchenzeile stellte. Eine halbe Scheibe Käse noch, dann schwirrte sie nach oben ins Schlafzimmer. Im Nu hatte sie einen Kerzenhalter geräuschlos entzündet und stellte ihn an die Kommode, setzte sich vor den Spiegel und ordnete mit schnellen Bewegungen ihr Haar.
"Deswegen werde ich heute Nacht fort sein. Das ist doch in Ordnung, oder?" Ein Blick nach links. Sie lächelte sanft. "Entschuldige. Aber wenn ich es hier zu etwas bringen will, dann muss ich mich ranhalten. Ich hab dir doch erzählt, wie die Kinder ackern. Und ich in meinem Alter muss das nun auch."
Sie sah sich im Spiegel, eine Frau von einstiger Schönheit, ja sogar von erhaltener Schönheit, die ihr in den alt gewordenen Gliedern irgendwo steckengeblieben war und stets an das junge Blumenmädchen erinnerte, das sie einst gewesen war. Hohe Wangenknochen, wie sie die Töchter ihrer Familie hatten, helles, gesundes Haar. Nur ihre Augen waren grau wie die Kluften, die sie bevorzugt trug, grau wie eine Wolke am unbeständigen Herbsthimmel. Gerade lag in ihnen forsche, lächelnde Entschlossenheit, Hoffnung und Zuneigung.
Sie flocht sich einen Zopf, ohne genau hinzusehen.
"Ehrlich? Ich bin ein bisschen nervös. Was ist, wenn er 'nein' sagt? Ich bin nicht die Beste im Verhandeln. Das war ich nie. Glaubst du, ich schaffe das? Wäre das nicht toll?"
Sie stand auf, trat zum Schrank und öffnete die linke Flügeltür; Wechselte den steifen Rock gegen eine enge Hose und ein kompaktes Wams mit Stützstäben, zog einen praktischen Mantel hervor. Dann zögerte sie und blickte die rechte Flügeltür an.
"Wirklich? So ganz allein?"
Und langsam öffnete sie sie, blickte hinein und bewegte sich eine ganze Weile lang gar nicht. In einer Bewegung, die mit dem bloßen Auge gar nicht wahrnehmbar war, legte sie den Kopf schief. Sie musterte etwas darin und ihr Gesicht füllte sich mit Rührung und schmerzlicher Liebe.
"Soll ich ihn nehmen? Bringst du mir damit Glück?"
Ansatzweise schüttelte sie das Haupt, als konnte sie eine gesagte Lieblichkeit nicht fassen, als erinnerte sie sich an eine weiche, vermisste Stimme und als sagte ihr etwas, dass das, was sie vor sich hatte, längst vergangen war. Zu weit fort, um es überhaupt noch zu berühren, geschweige denn, es überhaupt zu sehen; Und doch, sie tat es.
Anya streckte den dünnen Arm und griff in den Schrank, holte einen dunklen, alten Hut hervor und betrachtete ihn lange im Schein des Kerzenleuchters. Ihre Augen glänzten fern.
"Danke", schluckte sie mit brüchiger Stimme. Dann blickte sie in den Schrank zurück, wie in ein paar vertrauter Augen. "Ach, Vanechka."
Vom Fenster her wehte ein sonderbarer Geruch ins Haus und brach die zärtliche Stille. Anya wandte den Blick ab und zu eben diesem hin, ihre Schritte trugen sie leicht ans Fenster und sie spähte hinaus.
"Entweder, das Armenhaus zündet gerade ein Frühlingsfeuer, oder da draußen brennt irgendetwas", sprach sie melodielos und angespannt, als das Lächeln ihr langsam von den Lippen wich und sie vor der Scheibe nichts mehr feststellen konnte, "Ich fürchte, ich muss nachsehen." Sie stieß sich ab, und als sie die Schritte beschleunigte, den Hut entschlossen aufsetzte mit seinen breiten Krempen, passierte sie den Schrank.
"Keine Sorge. Ich pass auf mich auf. Ja, ich verspreche es dir.
Ich liebe dich."
Sie schloss ihn und eilte hinaus.
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