Ein Ende

Bevor die Tür aufging, hörte sie es klicken. Vertraut war ihr dieses Geräusch und sie verband es mit nichts Gutem; hier und heute aber sah sie dem gelassen gegenüber, denn sie erkannte darin Überraschung und angemessene Vorsicht.


"Hallo, Leon", beeilte sie sich schnell zu sagen, und ebensoschnell zog sie den Hut vom Kopf, als die Tür sich einen Spalt öffnete und Licht in ihr Gesicht fiel, "Ich hab gesehn, es brennt noch Licht."


Hinter der Tür fiel Anspannung von seiner Gesichtshäfte ab.


"Anya. Was ist passiert? Was führt dich um diese Zeit hierher?" Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er die Tür. Die Pistole sicherte er wieder und legte sie, möglichst diskret, auf die Kommode.


"Angelegenheiten. - Beim Aires hat's gebrannt. Sein Haus ist völlig hinüber. Hast du es schon gehört?"


"Wann?" Er schloss die Tür, folgte ihr mit dem Blick. Sein Gehabe war gestreng geworden, als schösse er sich ganz auf ihre Nachrichten ein und erwarte nichts Gutes.


"Gerade eben. Sie kriegen es gerade in den Griff. Ich war völlig schockiert!" Sie schwirrte ins Haus und wandte sich nach ihm um, damit er ihr den Weg in die Küche wies.


Leon betrachtete Anya, die Anspannung wich ihm nicht aus den Gliedern. Die Geste, mit der er sie rechtshändig den Flur entlang in die Küche bat, war blank.


"Und was genau soll mir das jetzt sagen?" Als sie sich setzte, blieb er im Türrahmen stehen.


Ilies Küche, die inzwischen mehr Leons war, sah zusammengestückelt aus, die alten, rissigen Möbel hatte der jüngere der Brüder nie ersetzt, sondern sie liebevoll benutzt in ihrer Zweckmäßigkeit. Die blassblaue Emaille brach und blätterte hier und da von den Schranktüren ab. Aber es war ordentlich. Die glatten braunen Fliesen auf dem Boden verliehen dem Raum Wärme, abseits vom knisternden Ofen.


"Nichts, ich dachte nur, das solltest du wissen."


Leon schwieg eine Weile.


"Aires..." Er löste sich aus dem Stand. "Der Metzgermeister." Am Schrank schenkte er, als sei es Gang und Gäbe, zwei bauchige Gläser mit Rum voll und schob Anya eines davon zu, bevor er sich ihr gegenüber ächzend niederließ und seines anhob, um feierlos einen Schluck zu trinken. "Haben wir etwas damit zu tun?"


"Nein. - Ich - weiß es nicht. Vielleicht. Nicht, dass ich wüsste. Also... _ich_ weiß nichts davon", stellte sie klar und wies mit den Handflächen von sich, griff schließlich nach ihrem Glas und drehte es auf dem Tisch. "Ich bin... wegen etwas Anderem hier."


Warum drückte sie sich so umständlich aus? Kam nicht zur Sache? Leon mustere seine Tante einäugig. Jede Bewegung, die er machte, war so präzise definiert, wie vor einigen Jahren, nur war es ihrer insgesamt weniger geworden. "Ich höre", sagte er, schlichter, als seine skeptische Gemütsverfassung es erwarten ließ.


"Ich möchte dir ein Angebot machen", sagte Anya schließlich nach einem langen Moment der Stille und jetzt, da wagte sie es, Leons Blick zu fangen, als sie endlich diesen Schritt gewagt hatte, zu beginnen, "Helena und ich möchten dir ein Angebot machen", verbesserte sie.


Leon räusperte sich und schlug ein Bein übers andere. Er atmete ein. Sein Kiefer mahlte kurz. Sein Auge zeigte Wissen, aber er sprach nicht.


"Hör zu, wir..." Anya schluckte, sie deutete seinen Blick, senkte ihren und begann von Neuem. "Ich weiß, es ist dein Kind. Und das wird es immer bleiben. Du hast es begründet und du hast alles begonnen. Ohne dich hätten wir niemals einen solchen Stand gehabt." Sie versuchte es mit einem Lächeln. "Es bringt aber auch Mühen, und es bringt Arbeit, das habe ich jetzt in meiner Zeit in der Stadt gesehen. Regelmäßige, meist mühselige Arbeit. Der Handel ruht nicht. Nie."


Leon nickte ansatzweise. Seine Schultern entspannten sich ein wenig, er trank noch einen Schluck.


"Ich bin froh, dass sich darum gekümmert wird."


"Ja. Und ich bin froh, dass du diese Sorgen nicht mehr hast vor deinem unmittelbaren Auge und hier das gefunden zu haben scheinst, was zu dir passt."


Er warf einen Blick um sich.


"Du möchtest ihn haben, ja?", fragte er und sein Mundwinkel verzerrte seinen Mund zu einem schrägen Lächeln.


Anya presste die Lippen zusammen, ihr Blick ruhte auf ihrem Gegenüber, rund, einfassend, gütig, wissend, sich einer schwierigen Gewissheit bewusst.


"Ich möchte einsteigen", korrigierte sie schließlich leise, "Und Helena und ich würden dir deine Hälfte gerne abnehmen und sie uns teilen." Sie senkte die Hand in die Manteltasche und behielt sie dort.


Leon indes senkte das Auge auf die Tischplatte und sein Blick entrückte. Er dachte nach. Er dachte an seine Rede bei der Eröffnung des Meridians, an die Razzien von Hauptmann Kastella, an Graupel und Draga, an Freunde und Feinde, die seine Schwelle in den Jahren seiner Existenz passiert hatten, an all die Geschichten. Mirabel, die ihm von ihrer Familie erzählte. Anna, die Curry kochte. Avram, ach, der gute Avram. Und am stärksten von allen dachte er an Hermes. Er schüttelte den Kopf und lachte leise.


"Er hatte Recht. Die Zeiten haben sich geändert... und meine ist vorbei, hm?" Von unten herauf sah er zu Anya auf.


"Das... habe ich nicht gesagt", antwortete sie überrascht.


Leon seufzte, fuhr sich über den Dreitagebart und richtete sich auf. Zuletzt nickte er.


"Ich weiß, er ist dein Lebenswerk", setzte Anya behutsam nach, "Und ich werde ihn nicht anders behandeln. Aber ich glaube, dir ist leichter ums Herz, wenn du diese Kette nicht mehr hast. Und mir ist geholfen, wenn ich vor Adrian sie schon habe. Und Helena ist geholfen."


"Lass uns trinken", sagte er darauf und ließ sie verstummen. Statt einer Erklärung führte er sein Glas an ihres und trank einen großen Schluck. "Und mich darüber schlafen", fügte er danach hinzu. "Bleib. Morgen kommt Ilie. Er hat Wild versprochen. Bleib doch einen Tag."


"Ich -", begann Anya, aber Leon schnitt ihr das Wort ab.


"Das Geschäft kann warten. Die können alle warten. Du und ich, ich glaube, wir haben viel zu besprechen."

Kommentare 5

  • Danke, Liebs! Wie interessant. Ich habe es einfach nur runtergeschrieben in Eile, weil ich die Szene vor dem nächsten RP durch haben wollte. Aber es scheint so angekommen zu sein, wie ich wollte. Uiui. Jetzt bin ich selber traurig. Aber ein Ende ist ein Anfang.

  • *schniefel*
    Naaaaiiiiiiin!

  • Ja, irgendwie nostalgisch. Aber schön. Sehr gefühlvoll.
    Bis auf die Formatierung. Zu weit auseinander. Zu große Schrift. Zu viel scrollen. Gnägnägnä x).

  • Mich stimmt die Geschichte traurig, sehr sogar. Für mich war Leon immer der Meridian, auch wenn er lange nicht mehr dort war, dennoch verstehe ich den Charakterwechsel.


    Schön geschrieben, ich finde die Formatierung zum lesen nicht so schön, aber sie eignet sich gut dafür beide involvierte Chars auseinanderzuhalten.

  • Etwas rührselig wurde ich bei dem Absatz über das Vergangene. Er hat mir aber auch aam Besten gefallen. Sehr schön. Du hast Cird vergessen, der die Aschenbecher klaut, aber es ist verständlich, dass Leon an ihn nicht unbedingt denkt, am Ende trifft ihn ein drittes Mal der Schlag. =)


    Anders als Kolja finde ich diese Formatierung angenehm.