Tagebuch der Natalia Wilhelmina Winterfeldt
70. Zephyr 1329 NE
Heute beginnt mein dritter Tag in der Stadt Götterfels. Ich hatte einen warmen Empfang, seither ist aber nicht viel geschehen.
Mutter hatte Recht. Caius ist schrecklich stolz auf irgendeine Eigenschaft an sich, die ich, anders kann ich es mir nicht erklären, noch nicht kennen gelernt habe. Er besitzt ganz das hochmütige Temperament vor dem sie mich gewarnt hat, doch ich muss ihm zugutehalten, dass er sich um Herzlichkeit bemüht hat. Es schien ihm sogar angemessen, mich zu umarmen. Er hat außerdem nicht locker gelassen und fortwährend Anspielungen darauf gemacht, wie wenig Mutter doch von ihm hielte und was sie mir alles eingeredet haben müsse. Entweder es beschäftigt ihn mehr als es sollte oder er hält mich für ein Kind, das noch nicht die geistige Reife erlangt hat, seine Erfahrungen zu eigenen Eindrücken zu verwerten. Er war, abgesehen von seiner Arroganz, sehr freundlich zu mir, aber mir entging nicht, dass er mich gleich am ersten Tag schon fragte, ob ich jemanden kennengelernt habe, der mir gefällt.
Kennengelernt habe ich immerhin den Familienbastard. Mutter sprach immer davon, was für eine Schande es wäre, im selben Haus mit einem solchen Auswuchs menschlicher Schwäche leben zu müssen. Sie hat es mir so unablässig eingebläut, dass ich mich beobachtet fühle, wenn ich schreibe, dass Dariyon einen Eindruck auf mich hinterlassen hat, der Mutters Worte ungerecht wirken lässt.
Er fand mich in einem Bibliothekenzimmer, als ich mich allein glaubte und versuchte, mir einen Überblick zu verschaffen. Seine Anwesenheit hat mich erschreckt, ich warf ein Buch nach ihm. Er fing es auf. Noch während er es mir zurückreichte, gab er mir eine kurze Rezension zu der Lektüre und dann nahm er mich mit aus diesem Turm von Haus und stellte mich in der Rurikhalle einigen Leuten vor. Es scheint, er hat sich, obwohl er ein Bastard ist, in der Gesellschaft gut etabliert. Auch Dariyon wirkt arrogant, auf eine andere Weise als Caius allerdings, er hat einen seltsam eindringlichen Blick und ich glaube auch einige Geheimnisse, die ich lieber nicht wüsste.
Er stellte mich einem Grafen von Hohenheim vor, einem Mann, von dem ich mich, und dafür schäme ich mich mittlerweile, reizen ließ. Es war wahrscheinlich nicht einmal seine Absicht. Etwas an seinem Ton und auch an dem seiner Begleitung kam mir wie eine Herausforderung vor. Ich habe mich hinreißen lassen und sollte es dazu kommen, dass er die Einladung, die er mir gegenüber andeutete, tatsächlich ausspricht, werde ich mich zusammennehmen, um seine Freundlichkeit nicht mit Schmäh zu vergelten. Allerdings warnte mich Caius, dass es unablässig sei, Dariyon mitzunehmen, denn er scheint diesem Grafen nicht zu trauen. Er ist, mindestens so fest, wie er von Mutters Hass überzeugt, auch bei dem Grafen der Ansicht, der Mann verurteile ihn dafür, sich irgendeine Bürgerliche für einen Abend gekauft zu haben. Es scheint mir noch ein logisches Rätsel, denn ich konnte mittlerweile meinen Verdacht bestätigen, dass das Fräulein Blauvelt, das an des Grafen Seite stand, eher niederen Verhältnissen entstammt und nur durch selbstbewusste Mimikry jenen Eindruck schafft, den ihre plakativ zur Schau gestellten Hautbilder wieder einreißen.
Die Frau, die Caius gekauft haben soll, gehört zu einer Familie, die mir nur vom Hörensagen bekannt ist, Kaufleute, aus deren Sippschaft ich einen Mann namens Alexej traf. Bei ihm stand eine Ratsherrin. Sie sah kränklich aus und verhielt sich schweigsam.
Ich habe auch Gwennis von Weißenstein wieder getroffen. Sie hat sich, laut Dariyon, zu einer Größe der Götterfelsener Gesellschaft entwickelt. Das ganze bereitet mir Unbehagen, selbst wenn es schön war, sie lächeln zu sehen. Ich glaube, sie hat in dieser Stadt eine große Entwicklung durchgemacht. Es steht nur zu hoffen, dass mir ähnliches beschert sein wird. Für den Augenblick will ich mich damit begnügen, die Bücher in der Rurikhalle zu studieren. Gestern habe ich in einer Schrift zu Griesberts Kommunikationsmodellen einen Fehler gefunden und ich glaube, ich kann sein System verbessern. Vielleicht kann ich mir diese Schrift irgendwie ausleihen, es wäre soviel leichter, sie hier zu haben.
Kommentare 3