Das Klatschen der Ohrfeige hallte durch die Senke und der Bursche von höchstens 16 Wintern legte seine Hand auf die gerötete Wange. Trotzig schob er das Kinn vor, blähte die Nasenflügel und starrte seinem Vater entgegen, der ihm schwer atmend gegenüber stand.
"Geh doch selber! Ich hab noch andere Sachen zu tun!"
Tjore knurrte seinen Sohn an und machte nochmals eine ruckartige Bewegung auf diesen zu, worauf der Junge einige Schritte zurück stolperte, als fürchte er eine weitere Ohrfeige. Oder Schlimmeres. "Wo ist sie," knurrte er Jorn entgegen und ballte einige Male die Fäuste, ehe er sich mit einem tiefen Durchatmen zur Ruhe zwang. "In der Großen Halle. Varg ist bei ihr." Jorn sprach die letzten Worte wie eine abartige Beleidigung, verschränkte die Arme vor der Brust und spuckte zur Seite hin aus. Doch das sah der großgewachsene blonde Krieger nicht mehr, denn er war bereits in dem Zelt verschwunden.
Nur wenig später, als Tjore wieder vor das Zelt trat und sich die ledernen Armschienen zurecht rückte, erinnerte er kaum mehr an einen Anhänger des Drachen. Die Farben der Svanir hatte er abgelegt, das Rüstwerk gegen eine einfache Hose, Hemd, Stiefel und verzierte Armschienen getauscht. "Vater...Fafnir," abermals trat Jorn in sein Blickfeld und baute sich auf. "Was hast du eigentlich vor?" Ein leises Lachen drang aus Tjores Kehle und schwoll rasch an. Er strich sich eine Strähne blonden Haares zurück hinter die Ohren und das Grinsen auf seinen Lippen traf kalt, wie bösartig den Blick seines Sohnes. "Ich werde sie brechen. Und anschließend zerstören." Damit verließ er die Senke des Drachen.
Eine ganze Weile war er zwischen Feiernden, Tanzenden und Schlafenden umher geirrt und hatte die Große Halle Stück für Stück abgesucht. Zwei Mal hatte er sich dabei dichter in die Schatten verstecken müssen, als zuerst ein Kerl und dann ein Weib auf ihn aufmerksam wurden und ihn stutzig betrachteten. Zwar war es lange her, doch nach wie vor gab es Norn, die sich vage an sein Gesicht erinnern konnten. Er wandte sich ab und die Erleichterung überkam ihn, als die Norn von einer weiteren Runde Bier abgelenkt wurden und sich nicht mehr für ihn interessierten. Es hatte seine Vorteile, als tot zu gelten. Und diese wollte er nicht aufs Spiel setzen.
Tjore wollte die Suche bereits aufgeben, als ein gänzlich unpassender und doch bekannter Laut seine Aufmerksamkeit erregte. Ein nornisches Quietschen ließ ihn aufhorchen und abermals sah er sich um, ehe ihm die Schatten in einer der abgelegeneren Ecken ins Auge stachen. Langsam und mit Vorsicht gewählten Schritten näherte er sich, versteckte sich hinter einem der Stoffregale und spähte zu der Feuerstelle, vor welcher zwei Norn in inniger Umarmung langen. Ein wissendes Grinsen trat auf seine Lippen, als der männliche Norn für einen Augenblick lang die Sicht auf die Frau freigab und er sein Ziel endlich sehen konnte. Die Ähnlichkeit, die diese Norn mit ihrer Mutter hatte war erschreckend und ließ den ehemaligen Wolfsbruder schlucken. Er duckte sich und harrte eine Weile in seinem Versteck aus, bis er sich ganz sicher war, dass die beiden Liebenden ihn ganz bestimmt nicht mehr wahr nehmen würden. Und sie nahmen ihn nicht wahr. Dafür waren die Beiden viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. In aller Seelenruhe beobachtete er wie sie sich vergnügten, wie er viel zu schnell versagte und letztlich auch, wie sie beieinander einschliefen.
Erst, als es in der Großen Halle ruhiger wurde, die Stunden der Nacht immer weiter voran schritten, da zog sich Tjore zurück und heckte in seinem Schädel bereits die ersten Schritte aus, wie er den Willen und die Sturheit dieser Jungnorn brechen konnte. Sein Sohn würde dabei eine nicht sonderlich unwichtige Rolle spielen. Und auch diese junge Norn wäre nur ein weiteres Weib, ein weiterer Spielball der schließlich in die Fänge des Drachen fliegen und zerissen werden würde, denn die kommenden Wochen würde nichts was sie tat von ihnen unbemerkt bleiben. Jeder Schritt, jedes Wort und jede Tat die sie begang - er, Tjore, würde davon in Kenntnis gesetzt werden und seine grausame Aufgabe endlich zu Ende bringen.