In dem krytanischen Morgenblatt, das einer seiner Männer ihm aus Tonteich beschafft hatte, las der Aufseher mit großem Amüsement von den tragischen Todesopfern des Anschlages auf die Cunningham-Residenz, von der skandalösen Ermordung des Balthasar-Priesters Dronon und den Fahndungen, aber auch von der steigenden Zahl an Abenteurern, die erstarkten Banditenbanden zum Opfer fielen. Immer wieder stahl sich ein seliges Schmunzeln auf seine Lippen.
Nebenbei nippte er genüsslich von der verheißungsvoll dampfenden Porzellantasse in seiner Linken, ließ sich den sündhaft teuren elonischen Kaffee Schluck für Schluck zwischen Zunge und Gaumen zergehen. Seine Schwäche für exotische Köstlichkeiten hatte in all den Jahren nicht nachgelassen. Der Dschungel, immerhin, ließ an Komfort dann und wann zu wünschen übrig.
Schließlich faltete er die Zeitung zusammen und legte sie beiseite. Die Artikel langweilten ihn rasch. Er setzte das überschlagene rechte Bein wieder ab, gab seine gemütlich zurückgelehnte Haltung auf und griff zum Silberbesteck, bevor sein Frühstück kalt werden konnte. Der Aufseher war kein verschwenderischer Mann.
Um ihn herum zwitscherten die Vögel und knarrten die Bäume, während er sich einen Bissen fluffiges Rührei vom Moa mit feinen roten Zwiebelstückchen und knusprigem Speck zwischen die Zähne schob. Er saß mitten im Walde auf einem reich verzierten, schnörkeligen Klappstuhl an einem dazu passenden, kleinen Rundtisch antiken Formates. Der cremefarbene Lack war alt und spröde und blätterte stellenweise bereits ab, doch daran wollte er keinen Makel suchen. Es war das Beste, was die Grobiane unter seinem Kommando hatten auftreiben können. Immerhin konnte er sie schwerlich alle exekutieren.
Der Aufseher hatte das Zwischenlager eigens für diese herrliche Lichtung auswählen lassen. Ein weiteres Idyll krytanischen Landschaftsbildes, das er auskosten wollte - nun, da man wieder in der Heimat wandelte. Seine Banditen schliefen zwischen den Bäumen im Gestrüpp und frühstückten getrocknete Früchte.
Nachdem er das Ei verspeist hatte, aß er gerade eine Scheibe Weißbrot mit Erdbeermarmelade, als ein zaghaftes Räuspern ihn störte. Der Aufseher hob die rechte Braue und schob sich für einen Augenblick das Monkokel vors Auge, um einen abschätzenden Blick nach rechts zu werfen. Ein schmutzig gekleideter Kerl war in amateurhafter Habachtstellung erschienen und wartete darauf, Gehör zu erhalten, auch wenn seine unsicheren Blicke in erster Linie der hünenhaften, maskierten Gestalt galten, die einige Meter versetzt hinter ihrem speisenden Meister wachte, das gewaltige Zweihandschwert mit der Spitze abwärts vor sich aufgestellt. Momentan war die riesige Erscheinung dem Vagabunden zugewandt, der das Gespräch suchte, und versperrte diesem den Weg.
Der neue Bandenführer war ein schwacher Mann. Hager und blass, mit lichtem braunem Haar und einem ewiglich melancholischen Blick, war er nicht gerade das Bild eines beeindruckenden Kämpfers. Von vorn herein war dem Aufseher klar gewesen, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis dieses mickrige Geschöpf in seiner Funktion zugrunde ging. Doch für den Moment bot der Bandit genau das, was benötigt und erwartet wurde. Kooperation und bedingungslosen Gehorsam.
Wortlos nahm sich der Aufseher die Zeit, sein Frühstück zu beenden, ohne dabei größere Geschwindigkeit an den Tag zu legen.
Zu dem Zeitpunkt, zu dem der Henker einen Wink erhielt, den Weg frei zu machen und den Bandenführer vortreten zu lassen, war letzterer bereits völlig versteift. Ihm fehlte die raubeinige Standhaftigkeit seines Vorgängers gänzlich. Es war ein Wunder, dass seine Hose noch nicht nass war. "Inquisitor Godfrey, Sir!", brachte er übereilt hervor.
Der Angesprochene zog mit spitzen Fingern die ordentlich zurechtgesteckte Spitzenserviette vom Hals und tupfte sich damit die Lippen ab. Erst danach befand er es für erforderlich, auf seinem zierreichen Klappstuhl seitlich zu rutschen, erneut die Beine zu überschlagen und den Blick abwartend auf den Lakaien zu richten.
"Die Männer und Frauen warten auf Eure Befehle, Sir.", fuhr dieser fort, als er bemerkte, dass man ohne Gegengruß auf das Anliegen lauschte. "Viele von ihnen werden unruhig und sehen die Stunde gekommen."
"Dann schlage ich vor, Ihr kriegt sie unter Kontrolle.", erwiderte Godfrey mit einem sachten Schmunzeln. "Sie sollen die Füße still halten. Der Grad der Furcht und des Aufruhrs im Volke ist für den Augenblick genug. Zu viel davon, und wir schwächen die Position, die wir bald wieder einnehmen werden."
"Ich.. versuche es. Äh. Ich meine - ich werde mein Bestes geben, Inquisitor Godfrey, Sir!"
Der Aufseher hatte die rechte Augenbraue bereits kritisch nach oben gezogen, als der Bandenführer seine Aussage noch zu retten vermochte. "Gut.", säuselte er somit einzig.
Doch es wartete schon die nächste Frage in beklemmtem Tonfall darauf, seine Zeit in Anspruch zu nehmen. "Was ist mit den frischen Rekruten, Sir?", hakte der blasse Wegelagerer nach und presste die Lippen ein Stück fester aufeinander.
"Bringt sie zu mir, sobald sie eintreffen.", sprach Godfrey seufzend. Er rückte seinen Stuhl wieder zurecht und nahm einen letzten Genießerschluck aus der Kaffeetasse. Als er feststellte, dass das Heißgetränk inzwischen keines mehr war, verzog er leicht das Gesicht und spülte den Rest in einem Zug herunter. "Man wird sehen, was sie taugen. Die Stunde der Abrechnung ist nah, mein guter Mann. Wenn wir unsere Befehle erhalten, werden wir Rache für die Festung der Treuen nehmen und Kryta wird unser sein. Das wäre für den Moment alles."
Ein knapper Schwenk aus dem Handgelenk, und die voran tretende Präsenz des Zweihänder-führenden Riesen veranlasste den Bandenführer zu einer hastigen Verneigung, ehe er sich aus dem Staub machte. Der Aufseher blieb zurück in der Gegenwart seines schweigsamen Zeitgenossen, die man mit Zeit und Gewohnheit nur zu gut gänzlich vergessen konnte, und machte es sich auf ein Neues bequem. Er faltete die Finger vor dem gesättigten Bauch und ließ seinen Blick himmelwärts wandern, wo sanfte Sonnenstrahlen durch die Baumkronen stachen. Für einen Moment schloss er einfach nur die Augen und genoss jene Wärme. Keine drückende, schwüle Luft mehr. Keine Schwärme von Moskitos. Keine Saurier. Keine Mordrem. Nur Kryta. Heimat.
"Merk' dir meine Worte, mein Freund.", raunte der Inquisitor schließlich, als er langsam wieder die Lider teilte. Es war ihm egal, dass er keine Antwort bekommen würde. "Wir sind Kryta. Wir sind Zivilisation. Wir sind eine bessere Zukunft. Für die Unsichtbaren."