Dunkel war die Nacht und eine kühle Stille hatte sich über die Straßen gebreitet, die ein groß gewachsener Mann durchschritt. Die Stiefel hinterließen knirschend Abdrücke in der Schicht frischen Neuschnees. Die Hände hatte er in den Manteltaschen vergraben, der Kragen hochgestellt und würde das mittellange, dunkelbraune Haar nicht gepflegt auf die Schultern des Mantels fallen, der doch recht neu und gepflegt aussah, dann hätte man ihn glatt für einen Verbrecher oder sonstigen Pöbel halten können.
Die wenigen Passanten, die noch unterwegs waren, ignorierte der Herr, denn für ihn ging es zielstrebig auf ein Haus zu. Schon von weitem richteten sich seine braunen Augen auf die vom Laternenschein beleuchtete Fassade des Gebäudes und das Licht, das aus den verhangenen Fenstern schien. Der Schritt beschleunigte sich etwas.
Ein kleines Wohnhaus war sein Ziel. Ganz klassisch mittelständisch. Ein hölzerner Zaun grenzte das Grundstück ab.
Ohne auch nur einen Moment zu zögern, schloss sich die behandschuhte Hand um die Klinke der Gartentür und schwang sie auf. Hinter sich wieder geschlossen wanderte der Blick kurz über die eingeschneiten Büsche und einen kleinen Baum, bevor die Schritte ihn über den geräumten Weg zur Haustür hin trugen. Viel zu lange musste er angesichts des flotten Gangs nach dem Schlüssel suchen, aber letztendlich von Erfolg gekrönt schloss er auf und verschwand im Haus.
Bereits erwartet wurde er offensichtlich. Von der Wärme eines beheizten Raumes, dem Schein einer Öllampe auf einem Esstisch, der vor Essen geradezu strotzte und einer ganzen Sammlung an brennenden Kerzen, die jeden restlichen Winkel und Schatten des Zimmers beleuchteten.
Was seinen Blick aber eigentlich auf sich zog, war die hochgewachsene schlanke Elonierin, die dort mit verschränkten Armen stand und den Blick erwiderte. Zu einem Lächeln gekräuselt waren die vollen Lippen der Frau, die zusätzlich eine halb abgebrannte Zigarette beherbergten. Schlichte, beige Leinenkleidung verhüllte ihren Körper und zusätzlich trug sie eine Schürze, passend zum hochgesteckten nachtschwarzen Haar. Selbst in dem einfachen Aufzug strahlte sie aber exotische Eleganz aus.
„Ihr seid spät, Mister Featherstone.“, sprach sie mit einer – für eine Frau – tief samtigen Stimme. Über die Freude, die sie bei seinem Anblick erfüllte, konnte der halbherzige Vorwurf jedoch nicht im Ansatz hinweg täuschen. Und so revidierte sie nach der kurzen Pause, dem Schweigen, das den Raum erfüllte, und dem Umstand dass der Mann Mantel und Handschuhe ablegte und auf sie zutrat auch bereits: „Ich habe Dich vermisst, Ethan.“
Weich klangen die Worte, ebenso wie der Blick des Herren Featherstone sich veränderte. Ein Lächeln zeigte sich auf dem mindestens drei Tage nicht rasierten Gesicht des Menschen.
Die Zigarette pflückte er der Frau aus dem Mundwinkel und schnippte sie geübterweise in einen Aschenbecher auf dem Tisch.
„Ihr wisst, dass ich das nicht mag, Mis’ess Featherstone.“, grinste er in brummiger Tonlage, ließ sie einen Moment warten und sprach dann weiter.
„Du hast mir auch gefehlt.“ Bekräftigend schloss er die Frau in die Arme, die sich nur als hätte sie darauf gewartet in der Berührung verlor. Ganz entgegen dem galanten Ausdruck sah sie schutzbedürftig und klein aus, reckte verlangend die Lippen nach seinem Mund. Als er ihr den Wunsch erfüllte und ihr den Willkommens-Kuss aufdrückte, schloss sie die Augen. Es war aber ganz offensichtlich, dass sie beide den Moment genossen, denn der Kehle des Kerls entrang sich gar ein leises Seufzen. Zeit ließ er sich, bevor er die Lippen löste, die Hände an ihre Wangen legte und weitersprach.
„Ich weiß, dass ich zu spät bin. Entschuldige. Die Arbeit. Du weißt doch.“ Dem Lächeln ließ er sich nicht berauben. So weich und liebevoll er sie betrachtete, war das aber auch kein Wunder. „Du bist so wunderschön, Liebling.“, hauchte er ihr entgegen. Immerhin hatte er weitere Vorwürfe zu verhindern und eine Schmeichelei war da doch der naheliegendste Ansatz.
Den Mund öffnete sie zwar, um ihren Unmut darüber Kund zu tun. Allerdings tat sie es nicht. Stattdessen blieb das Lächeln auch auf ihren Lippen. Lange Momente blickte sie ihn nur an, lehnte sich an ihn und ließ sich festhalten. Ethan wusste, dass seine Frau das brauchte. Er wusste es genauso, wie er über so vieles andere an ihr Bescheid wusste. So wie er die vielen Kerzen nie kommentierte.
„Lass‘ uns essen. Es wird sonst kalt.“, drückte sie ihn aber letztendlich sanft und selbst ein wenig widerwillig von sich fort und in Richtung Stuhl.
Kein Wort verlor sie bei dem Essen darüber, wie wenig sie seine Arbeit leiden konnte. Sie beschwerte sich nie. Denn sie teilte seine Überzeugungen. Was ihr nicht gefiel war, dass er sich dafür in Gefahr begeben musste. So aber ließ sie ihn erzählen, fragte nach wo es nötig war, aber begann nie zu bohren. Immerhin wusste sie, dass er ihr später alles mitteilen würde. Die Freude an dem Moment des Wiedersehens wollte aber keiner der beiden Ehepartner zerstören.
Schweißgebadet erwachte Djamila und setzte sich auf. Die Decke hatte sie vom Bett geworfen. Kein Schnee. Kein Abendessen zwischen Verliebten. Kein Ehemann.
Im – trotz später Stunde – hell erleuchteten Zimmer war es dank der Kerzen noch tropischer, als die Temperaturen in Götterfels sonst schon waren. Doch dem verwirrten, verschreckten Gesichtsausdruck auf dem müden Gesicht nach zu urteilen war es nicht die Hitze, die der Elonierin den Schweiß aus den Poren getrieben hatte. Auf den Schnitt in der dunklen Haut des linken Oberschenkels huschten die Augen nachdem sie überhaupt einmal festgestellt hatte, wo sie war. „Verdammt.“, zischte sie und legte einen Finger darauf. Warm und rot war die schmale Wunde. „Dieses Arschloch.“, verlor sie noch hinterher und setzte sich schon auf die Bettkante. Einen langen Abstecher ins Bad machte sie trotzdem, um sich zu schminken und herzurichten. Niemals würde sie auch nur mit einem winzigen Mangel in der Öffentlichkeit auftreten. Erst dann löschte sie die Kerzen und verließ makellos eingekleidet und geschminkt mit erhobenen Kinn das Zimmer und die zerbrochene Wunderlampe. Um einen weiteren Besuch im Hospital würde sie so nicht herumkommen. Immerhin hatte sie eine perfekte, samtig weiche Haut zu bewahren.
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