Danke für nichts

„Helena! So eine freudige Überraschung. Was führt dich hierher?“
„Adrian.“ Ihr Cousin empfing sie mit den ausgestreckten Armen eines Gönners. Sie hatte diese Geste oft bei ihrem eigenen Bruder gesehen, bei Adrian hingegen war sie ungewöhnlich. Sein Lächeln war wie Zunder, leicht entflammt, locker, aber es war auch wie ein Messerblatt, schnitt sich durch Widerstände als wären sie buttrig. War es diese Art von Lächeln, die ihn bei den Frauen beliebt machte? Vielleicht hatte er in Götterfels niemals so gelächelt. Es wäre vorschnell, die Freiheit, mit der er sich bewegte, als eine Beleidigung aufzufassen – im Grunde hatte Helena immer gewusst, dass er Löwenstein nie verlassen hatte wollen.
Er legte einen Arm um sie. Seine Hand drückte zwischen ihre Schulterblätter und manövrierte sie ins nächste Zimmer. Obwohl er sie schob, gewann sie den Eindruck, dass es ihr freier Wille wäre, nicht seiner, der sie bewegte.
„Du siehst verändert aus. Das Reisen lohnt sich für dich?“ Er sah selbst verändert aus. Sein blondes Haar, die festen Augen, diesbezüglich gab es nicht viel Wandel, aber was darin lag strahlte jetzt in einer anderen Farbe. Er kam ihr größer vor, präziser. Helena erschrak darüber, dass etwas an ihm – und sie konnte nicht sagen, was – sie an Nicolae erinnerte.
„Wie geht es deinem Vater. Und Gwennis?“
Er lachte zuerst statt ihr zu antworten.
„Du fragst nach zwei Dingen, die nichts miteinander zu tun haben. Interessiert es dich wirklich? Ich merke doch, wenn du nur Konversation machen willst.“
„Das war nie meine Stärke.“
„Was das betrifft schlägst du eher nach Ilie als nach Leon.“
„Ich schlage nur nach mir selbst. Ich bin ein eigenständiger Mensch. Wenn du mich nochmal vergleichst, schlage ich vielleicht nach dir.“
Wieder lachte er nur. Adrian nahm auf einem hohen Lehnsessel Platz und schlug mit Schwung und einem Blick, der glänzend auf sie gerichtet war, ein Bein übers andere. Der Raum war stattlich. Hohe Decken, mit Dekor bestückte Wände, Mobiliar, bei dem einem sofort Worte wie Herrschaft und Kultur in den Kopf schossen.
„Was verschafft mir die Ehre?“
„Ich mach es kurz. Ich wollte dich um Hilfe bitten.“
„Mich? Warum nicht Alexej? Du weißt, dass er jetzt-“
„Ich weiß. Weil es nicht um Götterfels geht. Sondern um Löwenstein. Ich hab was gemacht. Im Nachhinein war es wohl eine Dummheit.“
Sie hatte in Adrians leutseligem Blick Interesse erweckt. Er blieb zurückgelehnt sitzen, hob aber das Kinn ein wenig.
„Ich hab mich wo eingemischt und einen Streit angefacht. Ein Mädchen verteidigt, die Wut auf mich gezogen.“
„Die Wut auf dich gezogen? Wie denn?“
„Ich hab ein paar Dinge gesagt. Vielleicht nichts für deine feinen Ohren.“
Ihm entging nicht die Ironie. Er steckte sie mit einem müden Lächeln ein wie etwas Unnützes, das er ihr zuliebe trug.
„Und weiter?“
„Es ist eigentlich keine große Sache, Adya. Ich hab aber das Gefühl, dass mir manchmal einer nachschleicht. Ich hab mich dem entwöhnt. Ich will meine Ruhe und – kannst du dich darum kümmern?“
So sehr sie sein Gesicht studierte, so wenig ließ er sie doch daraus ablesen. Er lungerte königlich in seinem Stuhl und allein die Bewegung seiner Finger ließ sie den Eindruck von Abneigung gewinnen. Schließlich richtete er sich auf.
„Ich kann. Und ich werde, wenn du es selbst nicht in den Griff bekommst. Ich erwarte allerdings von dir, es zuerst zu versuchen.“
Helena wusste nicht, ob sie von dieser Antwort ausgegangen war, oder ob sie sich insgeheim mehr erhofft hatte. Die Antwort, die sie ihm schuldig war, steckte quer in ihrer Kehle. Er seufzte.
„Soviel muss ich von dir verlangen, Helena. Und wenn man dir bis nach Götterfels folgt, ist Alexej bestimmt genauso glücklich, dir zu helfen.“
„Ich dachte Libanez könnte-“
„Libanez“, fiel er mit sanftem Druck ein, „hat viele Aufgaben. Wichtige. Du weißt, dass mein Vater nicht in Bestform ist. Du kannst auf unsere Hilfe immer zählen, wenn du einmal allein nicht mehr zurechtkommen solltest.“
Er erteilte ihr eine Abfuhr. Zumindest fühlte es sich so an. Dabei umschmeichelte ein Sanftmut seinen Blick, der seine Zurückweisung wirken ließ, als hülle er sie in Samt.
„Ich kann mir auch irgendwie nicht vorstellen, dass du damit nicht selbst fertig wirst.“
„Wie gesagt.“ Ihr fielen Locken vor die Stirn, als sie diese ernüchtert senkte. „Ich will eigentlich nur meine Ruhe.“
„Ja, das Gefühl kenne ich.“ Er machte einen süffisanten Handschwenk, den sie zuerst für reine Untermalung hielt, bis sie im letzten Augenblick merkte, dass er ihr etwas zuwarf. Sie fing es unbeholfen an ihrem Brustkorb.
„Was soll ich damit?“
„Du kannst es dir in dein Zimmer stellen und beleuchten. Oder du isst es. Besuch mich mal wieder.“
Einen Moment stand sie noch dort und sah Adrian zu, wie er die Überschlagung mit dem selben Beinschwung löste, wie er sie begonnen hatte, in den Stand sprang und aus dem Zimmer spazierte. Auf dem Hinausweg küsste er ihr den Schopf ohne stehen zu bleiben.
Helena keuchte. Mit schmalen Nasenflügeln warf sie die Feige gegen den jetzt leeren Stuhl.

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