Danny lehnte sich zurück, die Hände hinter den maskierten Kopf gefaltet und die Füße auf dem Tisch abgestellt. "Wisst Ihr, warum Zitronen so super sind? Man kann einfach so tolle Dinge aus ihnen machen. Zitronenkuchen, Zitronenrolle, Zitronenlimonade..."
"Ich mag die nicht", brummte Stew.
"Oh nein! Wie kommst du damit zurecht?!"
"Mit Rum."
"Mit einem Schuss Zitrone?"
Stew rollte mit den Augen. "Nee..."
"Ich will wissen, wie's weiter ging, eh!", wandte Robin ein.
"Hmm..." Danny sah nachdenklich zur Decke hoch. "Hab ich Euch schon von meinem ersten Mal erzählt? Es war an einem heißen Sommerabend an einem See. Das Mädchen trug auch eine Maske und da, wo ihr Näschen war, war ihre Maske feucht vor Rotz..."
"Ganz ehrlich, das will keiner hören.", brummte Stew erneut und Robin, der gerade einen Löffel voll Suppe in seinen Mund schieben wollte, verzog angewidert das Gesicht.
"Ja, Ihr hab recht, nachher hören hier auch Leute zu, die noch nicht volljährig sind."
"Erzähl doch mal, wie Ihr aus dem Hühnerstall entkommen seid."
"Wenn Ihr wollt. Also...nach der Eier-Pfannen-Diebstahl-Aua-im-Gesicht-Sache mussten Rebecca und ich umziehen, und zwar in einem Geräteschuppen..."
Durch ein kleines Guckloch, das Danny in die Holzwand des Schuppens gebohrt hatte, erspähte der Junge seinen Onkel Louis in der Dunkelheit. "Drei Stunden nach Sonnenuntergang." Danny sah rüber zu Rebecca. Das Mädchen saß still in einer Ecke und sagte nichts. Sie starrte in die Luft, als wäre ihr Körper nur eine leere Hülle und ihr Geist ganz woanders.
"Gleich können wir es wagen" Danny deutete auf eine Stelle der Holzbrettern der Geräteschuppenwand nicht weit von Rebeccas Eckchen. Dort hatte Danny mit dem kleinen Handbohrer, den er in dem ansonsten leeren Schuppen gefunden hatte, die Uhrzeiten eingeritzt, zu denen Onkel Louis nachts das Plumpsklo aufsuchte. Es waren immer ungefähr drei Stunden nach Sonnenuntergang. Danny konnte nur selten schlafen und wenn, dann erst meist kurz vor Sonnenaufgang. Daher bemerkte er irgendwann, dass Onkel Louis jede Nacht das Haus verließ, um das Plumpsklo draußen aufzusuchen. Der Junge begann, die Stunden zu zählen, wann Onkel Louis ungefähr das Klo aufsuchte. Er wollte ein Muster finden, eine Regelmäßigkeit, die absolut sicher war und immer wiederkehrte.
Seit dem Vorfall im Hühnerstall, welcher auch für Onkel Louis der Anlass war, die zwei aus dem Stall zu holen und in den alten Geräteschuppen zu packen, plante Danny seine und Rebeccas Flucht. Der Hühnerstall wurde ihm allerdings dabei zu einer Lehre. Er wollte keine Fehler mehr begehen und sich nicht mehr erwischen lassen. Tagsüber waren Onkel Louis und seine Knechte auf dem Hof zugange. Ob Danny und seine Schwester von den Knechten Hilfe erwarten konnte, wusste er nicht. Ob sie überhaupt etwas von den Kindern wussten, war fraglich. Das Risiko, einfach aus dem Schuppen auszubrechen und die Knechte um Hilfe anzuflehen, war Danny zu hoch. Sie mussten heimlich fliehen, wenn alles schliefe. Auch Onkel Louis. Daher beobachtete Danny den Hof jede Nacht bis kurz vor Sonnenaufgang. Drei Stunden. Nach drei Stunden ging Onkel Louis auf's Klo. Zurück im Haus konnte Danny dann noch für einige Minuten Licht sehen. Dann war Ruhe für den Rest der Nacht. Das würde ihre Chance sein!
Ein weiterer Aspekt ihrer Flucht war die Tür ihres Gefängnisses. Für gewöhnlich schloss Onkel Louis sie abends ab. Allerdings vergaß er es immer mal wieder, wenn er betrunken war. An diesen Abenden suchte Onkel Louis die Kinder völlig grundlos auf, um Danny schließlich eine Tracht Prügel zu verpassen. In seiner Trunkenheit schmiss er dann die Tür zu, ohne sie abzuschließen. Auch am heutigen Abend kam Onkel Louis. Auch heute verprügelte er Danny und auch heute knallte er die Tür hinter sich zu, ohne sie abzuschließen. Das war ihre Chance. Die Tür war auf und Danny kannte die Verdauung seines Onkels genau.
Eine halbe Stunde verging, in welcher Onkel Louis zum Klo ging, es wieder verließ, sich eine Weile noch wach und mit Licht im Haus aufhielt, ehe er dann wieder ins Bett ging. Danny ließ noch ein paar Minuten vergehen.
"Jetzt oder nie", flüsterte der Junge zu seiner Schwester. Er nahm das Mädchen an die Hand. Auch wenn sie immer noch geistesabwesend zu sein schien, so stand sie dennoch auf und ließ sich aus dem Schuppen ziehen. Draußen blickte sich Danny aufmerksam um und lauschte. Ein paar Grillen zirpten, mehr war nicht zu hören. Langsam schlich sich der Junge mit seiner Schwester über den Hof. Rechts war das Haus und links gegenüber das Plumpsklo. Als die beiden auf der Höhe des Hauses waren, ging plötzlich Licht im Haus an. Onkel Louis trat aus dem Hintereingang und ächzte: "Verdammter Dünnpfiff! Was hab ich nur heute gegessen?" Louis stockte und blinzelte in die Dunkelheit. Alle drei erstarrten, als hätte sie ein Eiszauber erwischt.
"Ihr miesen, kleinen Ratten!" Brüllend rannte Onkel Louis auf die Kinder zu. Auf halbem Wege krümmte er sich jedoch und hielt seinen Bauch. "Kacke!" Danny sah sich hektisch um. In einer Kurzschlussreaktion rannte er auf das Plumpsklo zu, riss die Tür auf und schob Rebecca hinein, ehe er selber folgte. Dann schloss er die Tür. Drinnen war es finster und es roch widerwärtig. "Mist Mist Mist Mist Mist, was mach ich nur?"
Hinter der Kloschüssel entdeckte Danny einen leichten Lichtschimmer. Er hielt einen Moment die Luft an, als er den Pott zur Seite schob. An der Rückwand des Plumpsklos war ein Stück einer Holzlatte an der Unterseite abgebrochen. Zudem hing sie nur noch locker mit den anderen Holzlatten zusammen.
"Macht sofort die Tür auf! Ich bring Euch...ohhhhh....Scheiß Bauchschmerzen...Macht auf!" Onkel Louis hämmerte wie von Sinnen gegen die Tür, während Danny mit aller Kraft gegen die Holzlatte tritt. Stück für Stück konnte er sie heraus brechen. Auch die nächsten Latten links und rechts gaben nach und öffneten so den Geschwistern den Weg nach draußen. "Los, da durch!" Danny drängte seine stumme Schwester durch das Loch, dann folgte er ihr ins Freie. Onkel Louis schien noch nichts bemerkt zu haben, da er immer noch gegen die Tür hämmerte und zerrte.
Danny sah sich wieder hektisch um, ehe ihm ein Einfall in den Sinn kam. Er drängte Rebecca noch etwas weiter weg vom Klo. Dann nahm er Anlauf und schmiss sich gegen das Plumpsklo. Dieses wackelte gefährlich, ehe es schließlich in Richtung des Onkels fiel. Dieser schrie einmal laut auf, ehe er dann verstummte. In die Nacht kehrte wieder Ruhe ein und nur die Grillen zirpten ihr Konzert. Vorsichtig, mit leisen Schritten, ging Danny um das Plumpsklo, das nun auf dem Boden lag, herum. Da sah er Onkel Louis. Der Mann lag unter dem Plumpsklo begraben. Am Dach des Klos schienen wohl ebenfalls mehrere Holzatten lose gewesen zu sein. Eine solche Latte hatte sich durch den Kopf von Onkel Louis gebohrt.
Danny schluckte schwer. "Was ist da los?", rief jemand. "Die Knechte!" Danny wandte sich von Onkel Louis ab und ergriff Rebeccas Hand. Dann rannten Bruder und Schwester in die Nacht davon...
"Also...dein Onkel Louis...wurde von einem Klo erschlagen, ja?" Einauge Stew runzelte die Stirn.
"Ich weiß, was du sagen willst!", Danny zeigte auf Stew, "Ein echt beschissener Tod!"
Stew brummte wieder und sah Danny skeptisch an.
"Mir hat's gefallen", merkte Robin an.
"Du bist auch'n Idiot." Stew winkte ab und wandte sich wieder an den Maskierten: "Und wie ging's dann weiter?"
"Das, meine Freunde, erzähle ich Euch nach der Pause. Denn jetzt muss ich mal auf's Klo."
Furzsetzung folgt...
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