"Oh ja, genau da!"
"Du meinst...hier?"
"Ja, aber nicht so feste drücken..."
"So besser?"
"Ja, genau so! Weiter du Hengst!"
"Ja, genau, gib mir Tiernamen!"
"Du Dolyak! Du wild gewordenes Eichhörnchen! Du gieriges Opossum! Du versaute Amöbe!"
"Jaaa, jaaa...!"
"Hör sofort auf!" Einauge Stew stand auf, dass sein Stuhl nach hinten kippte und laut zu Boden donnerte. Er zog seine Pistole und zielte auf Danny, welcher sich gerade selbst umarmte und streichelte. "Ich schwöre es dir, du Irrer, wenn du noch einmal von deinem ersten Mal erzählst, puste ich dir den Schädel weg!"
Danny hob beschwichtigend die Hände. "Ist ja gut, ruhig, Brauner. Ich erzähl ja schon was anderes."
"Gut." Stew griff nach seinen Stuhl, um sich brummend hinzusetzen.
"Also ich fand's irgendwie lustig." Robin zuckte mit den Schultern.
"Du bist auch'n Idiot." Stew schüttelte den Kopf und sah zu Danny. "Wie ging's eigentlich mit dir und deiner Schwester weiter."
"Ah gut, du bringst uns wieder zur Handlung zurück. Also...wir schlugen uns in der Nacht durch richtig gruselige Wälder durch. Ihr glaubt gar nicht, was nachts im Gestrüpp so kreucht und fleucht. Vor allem im hohen Gras wird man ständig von piepsigen Tieren angefallen. Meine Schwester rief dann immer 'Danny, looooos' und ich griff an."
"Ich dachte, deine Schwester hätte ihre Sprache verloren gehabt."
"Stimmt. Vielleicht war es auch umgekehrt! Egal, am morgen kamen wir durch die ersten Dörfer. Da gab man mir dann auch diverse Tiernamen..."
"Kommt her, Ihr diebischen Elstern!", schrie ein Bauer, während er Danny und Rebecca mit einem Besen hinterher wedelte. "Na warte! Meiner Frau den Kuchen zu stehlen! Gibt's denn sowas?!" Die Geschwister rannten vom Hof des Bauern und steuerten die schlichte Dorfstraße - kaum mehr als ein Trampelpfad - an. Auf seiner rechten Hand balancierte er einen Kuchen mitsamt der Platte darunter, in der Linken befand sich das Händchen von Rebecca. Der Aufruhr, den sie und der Bauer verursachten, lockte zahlreiche Dörfler aus ihren Häusern.
"Hab' sie!", rief jemand. Danny wusste erst nicht, woher die Stimme kam. Als er den Mann, der da rief, entdeckte, war es schon zu spät. Ein simples Beinchen stellen brachte den Jungen zu Fall. Der Kuchen flog von seiner Hand und landete mit der leckeren Seite auf dem Boden, während sich die Platte gen Himmel streckte. Rebecca fiel gleich neben Danny auf den Boden. Ein Stimmengewirr aus Dörflern näherte sich.
"Hoch mit Euch!" Der Mann, der sie zu Fall brachte, packte die Geschwister am Schlafittchen und zog sie ruppig hoch, um sich dann mit ihnen zur Menschenmenge umzudrehen. "Hier sind die Strolche!" Der Mann setzte die zwei auf den Füßen ab und gab ihnen einen Schubs nach vorne. Die Menge vor ihnen kam zum Stillstand. Nur der Bauer mit dem Besen kam noch näher, dann schreckte er zurück.
"Ach du Sch...! Was ist denn mit dir los?" Er zeigte auf Dannys Gesicht, in das er ungläubig blickte.
Der Junge sah sich kurz in der Menge um. Sie alle bedachten ihn mit erstaunten bis schockierten Blicken.
"Ähm...das war ein...ein Drache!"
"Ist klar." Der Mann hinter ihnen gab Danny einen Klapps auf den Hinterkopf.
Danny knurrte, holte mit dem Fuß aus und ließ ihn, während er selber eine Drehung vollführte, nach vorne schnelle, treffsicher gegen das Schienenbein. Der Mann hüpfte fluchend auf einem Bein, während er sich das andere hielt. "Na warte, Ihr Knirpse, Euch wird Hören und Sehen vergehen!" Der Bauer holte mit seinem Besen aus, um Danny eins überzuziehen.
KLACK!
"Ah ah ah, das ist nicht nett!" Der Bauer schaute wie der Rest der Menge verdutzt drein. Der Besenstiel wurde von einem langen, elegant geschnitztem Stab aufgehalten. Ein großer und schmaler Kerl hielt ihn in der Hand. Der Kopf war kahl, das Gesicht kantig und von einem Dreitagebart geschmückt. Er sah kurz zu Danny und zwinkerte diesem grinsend zu, ehe er dann den Stab zurück zog und sich lässig an diesen lehnte.
"Halt dich da raus, Ben," fuhr der Bauer den man mit dem Stab an.
"Wie könnte ich? Du wolltest eben ein Kind mit einem Besen verprügeln. Was kommt als Nächstes? Du scherst deine Schafe mit der Sense? Oder besorgst es deiner Frau mit dem Kehrblech?"
"Halt's Maul!" Der Bauer drohte nun Ben mit seinem Besen. Dieser lachte jedoch laut los. Schließlich lachte die gesamte Menge.
"Hört auf zu lachen! Dieses...Ding da", er deutete auf Dannys Gesicht, "Hat einen Kuchen gestohlen!"
"Einen Kuchen! Habt Ihr das gehört?!" Ben wandte sich an die Menge. "Schnell, ab in die nächste Freistatt! Holt die Löwengarde! Sagt den Piraten Bescheid! Ein Kuchen wurde gestohlen! Von zwei Kindern!"
Erneut grölte die Menge. Dann winkten die Ersten schon ab und nach und nach löste sich die Versammlung bis auf die Geschwister, Ben und dem Bauern auf. Selbst der Mann, der Danny und Rebecca zu Fall brachte, humpelte brummelnd davon.
"Weißt du", ergriff Ben wieder das Wort, "Du machst deinem Namen mal wieder alle Ehre."
"Wieso? Ich heiße Horst."
"Siehste. Ich kümmer mich schon um die zwei. Und wenn deine Frau Stress macht, back ich ihr halt einen neuen Kuchen. Bei den Sechs..." Ben schüttelte schmunzelnd den Kopf und wandte sich den Kindern zu. Horst schnaubte verächtlich. Doch dann drehte er sich um und stiefelte leise fluchend davon.
"Und Ihr seid...?" Ben lächelte beide freundlich an.
"D-Danny, mein Herr. Das ist Rebecca."
"Danny und Rebecca, mhm. Was treibt Ihr hier denn allein in der Gegend? Hmm? Hallo?"
Es dauerte, bis Ben eine Antwort bekam. Rebecca würde nichts sagen und Danny betrachtete den Mann mit offenem Mund. Wie kam er so schnell aus dem Nichts? Wieso hatte ihn keiner in der Menge bemerkt? Nicht einmal der Kerl, der sie aufhielt. Wie konnte er mit dem Stock, den er nun so locker lässig - wie eine Verlängerung seines eigenen Armes - mit sich trug, so schnell eingreifen? Und wie hatte er es geschafft, die Menge, die sie erst verfolgte, so rasch zur Beruhigung zu bringen? Wer immer dieser Ben war, Danny fühlte eine Vertrautheit und Sympathie, die er noch nie bei einem Erwachsenen - außer den Eltern - zuvor gefühlt hatte. "Kommt erst mal mit zu mir, ich wohne am anderen Ende des Dorfes..."
"Tja, es stellte sich heraus, dass Ben eine kleine Zitronenplantage besaß. Und da er alleinstehend war und nur einen Knecht und eine Magd besaß, nahm er uns auf. Es war für uns gesorgt und ich konnte arbeiten. Und tolle Tricks lernen!"
Robin horchte auf: "Tricks?"
"Aye, Tricks mit dem Stab. Ben war, bevor er Bauer wurde, im Zirkus, wisst Ihr? Der war ein richtiger Meister im Umgang mit dem Stab. Einmal hat er sogar einen Banditen damit grün und blau geschlagen. Okay...der Bandit war ein Sylvari und der war schon grün und blau, aber wenn er es nicht gewesen wäre..."
Robin schluckte und Stew runzelte die Stirn. Schon seit Stunden warf er immer wieder einen Blick zu dem Stab, an dessen Ende messerscharfe Klinge angebracht waren. Er lehnte neben dem Maskierten an der Wand."
"Und er hat dir alles beigebracht, eh?"
"Jepp. Alles. Aber auch das Anbauen und Pflegen von Zitronenbäumen."
"Du bist verrückt nach Zitronen, oder?"
"Jepp."
"Nur, weil du weißt, wie man die anbaut?"
"Nee, ist einfach 'ne tolle Frucht."
Stew sah zu Robin, dieser zuckte mit den Schultern. Danny legte wieder seine Füße auf den Tisch, verschränkte die Arme hinter seinen Kopf und sah verträumt nach oben.
"Hier", Ben reichte Danny eine Zitronenscheibe, "Probier mal!" Danny besah sich die Zitrone und biss schließlich hinein. In seinem Mund geschahen zweierlei Dinge: Zunächst erfüllte die Zitrone ihn mit einer unglaublichen Frische, die in der Sommerhitze gut tat. Doch dann zog sich alles in seinem Mund zusammen. Das vernarbte Gesicht des Jungen schnitt eine ulkige Grimasse. Ben lachte. "Bei den Sechs! Wo ist ein Spiegel, schnell!" Danny hatte sich wieder gefangen und sah zu Ben hoch.
"Bist du deshalb immer so fröhlich?", fragte er.
"Nein. Die Zitrone ist eher ein Hilfsmittel, wenn sonst nichts mehr geht. Fröhlich muss man schon selber sein. Von innen heraus. Ich weiß, Ihr zwei hattet eine harte Zeit. Aber lasst das nicht Euer Gemüt vermiesen, ja? Nach dem Regen kommt immer Sonne, so schmalzig das auch klingt." Ben zwinkerte und Danny nickte. Dann sahen beide unwillkürlich zu Rebecca. Sie hielt ebenfalls eine Scheibe Zitrone in ihrer Hand. Die Scheibe war angebissen. Das Gesicht des Mädchens zu einer gut gelaunten Grimasse verzogen.
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