Das Herz schlägt ihr bis zum Hals, als sie die steinernen Gewölbe der Oberstadt durchschreitet. Es ist, als wären von den unzähligen, aufmerksamen Augen derer, die sich hier herumtreiben, heute alle ausschließlich auf sie gerichtet. So, als würde sie sie magnetisch anziehen. Als würde ihre Aufmerksamkeit an ihr kleben, wie der kalte Schweiß, der gerade aus ihren Poren hervorsickert.
Unwillkürlich beschleunigt sie ihre Schritte, bemüht, den Kopf erhoben und ihren Rücken gerade zu halten. Du brauchst denen ja nicht noch mehr Anlass zu Gerüchten und Spekulationen zu geben... Ein verärgertes Naserümpfen, als sie den Gedanken weiterspinnt. Die fragen sich bestimmt, wohin ich so oft verschwunden bin...Warum ich mich anders kleide...Was ich... in jener Nacht... im Königintal gemacht habe. Ein Stechen in der Magengrube. Ein weiterer Schauer, der ihr den Rücken hinabläuft, um dort kleine Schweißperlen zu hinterlassen. Warum...
Das Klackern, das mit jedem ihrer Schritte von den steinernen Mauern widerhallt wird unregelmäßiger, gerät ins Stocken. Nicht hier. Nicht jetzt. Noch nicht! Sie ballt ihre Hand zu einer zierlichen Faust. Die blasse Haut verliert an den Fingerknöcheln noch mehr an Farbe, als die junge Frau ihre Fingernägel mit aller Kraft ins eigene Fleisch presst. Sie spürt, wie der Schmerz langsam in sie hineinkriecht – ihren Arm hinauf, in ihren Kopf – oder doch in ihr Herz? Bis das unangenehme kleine Stechen durch das verwirrende Dickicht ihrer Gedanken und Gefühle hindurch schlüpft und ihr so für einige weitere Meter Konzentration schenkt. Selbstbeherrschung.
Regelmäßiger wird das Klackern ihrer Absätze. Ein Wechselspiel aus Licht und Schatten, hervorgerufen durch die Flammenschalen, die in regelmäßigen Abständen an den Mauern angebracht sind, begleitet sie auf ihrem Weg. Mit wallenden Stoffen und umspielt von vereinzelt wehenden, schwarzen Haarsträhnen lässt die junge Frau zwei wispernde Wachen hinter sich zurück.
„Das war doch die Tochter dieses Verwalters...“
„Welches Verwalters...? Ist ja nicht so, als hätten wir nur einen...“
„Den mit der... hrm... aufstrebenden Frau. Du weißt schon, die, von der es heißt, sie würd’ fast alles für 'nen Adelstitel tun...“
„Ach! Doch, klar! Aber... hieß es nicht, dass die Kleine ihrem Vater regelmäßig im Büro hilft...?“
„Hm... scheint ihr wohl langweilig geworden zu sein. Nach dem, was ich so hör’, verlässt die junge Dame Götterfels erstaunlich oft in letzter Zeit.“
Zwei Paar Augen folgen der Silhouette der Schwarzhaarigen, wie sie sich am Ende des Korridors immer stärker gegen das von draußen einfallende Tageslicht abhebt – ehe sie um die Ecke biegt und aus dem Blickfeld der beiden Wachen entschwindet.