Abschätzend wog Levi die beiden Scheite in der Hand. Es gab Holz und es gab Holz. Sein Vater hatte ihm das einst klar gemacht. Es gab diese Stücke, die man einfach nur spalten und in den Öfen oder Kaminen verfeuern konnte und dann gab es wieder jene besonderen Teile, die man aus der großen Masse heraus pflückte, sie an die Seite legte, auf dem Kaminsims oder der Fensterbank im Sommer trocknen ließ und sich während dieser ganzen Zeit immer wieder auf ein neues Gedanken über ihre Bestimmung machte. Gerade, er wusste es, war es wieder einmal so weit. Er hielt eines dieser besonderen Holzstücke in der Hand, hier inmitten des Spaltplatzes hinter dem Haus auf dem Hof seiner Eltern.
Er war nicht dabei gewesen als Pavel und die Männer die drei alten Apfelbäume drüben, ein paar Meilen östlich, im alten Obsthain gefällt hatten. Er hatte ihnen auch nicht dabei geholfen das Geäst von den Stämmen zu trennen oder die Stümpfe mit Ketten zu umspannen und sie von den schweren Kaltblütern Jim und Penny aus dem Erdreich wuchten zu lassen. Aber er war jetzt zur Stelle. Jetzt als es daran ging das Holz zu reißen und zu spalten und für den Winter hinter dem Anwesen im Tal aufzustapeln. Sein Vater strich sich ein paar Ecken weiter mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. Pavel schlug die Axt in den Baumstumpf und kickte mit dem Fuß einen der Scheite von der Schlagfläche. „Was hast du da ?“, wollte er mit seiner für einen Mann im Grunde viel zu hohen Stimme wissen. Der alte Iorga, dick war er nie gewesen, war dünn geworden. Die Hose saß nicht mehr richtig, der Pullover schlackerte gewaltig, aber die rotgrünen Hosenträger mit den Wintertagsmotiven wenigstens waren ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass der Mann innerlich unverändert geblieben war. Levi wog abschätzend mit dem Kopf. „Ich bin mir nicht sicher. Es könnte ein Bär sein, meinst du nicht auch ?“ Der große Blonde hobt die Rechte an, derweilen die Linke den zweiten Scheit einfach zu den übrigen auf die Erde fallen ließ. „Ich meine...Schau. Das könnte doch wirklich ein Bär werden oder ?“ „Ich bin mir nicht sicher. Rund in jedem Falle. Es sollte rund werden.“ „Dann ein Bär.“ „Ja, wieso nicht ? Es ist allgemein bekannt, dass Bären für gewöhnlich ohne Ecken auskommen.“ „Und was ist mit ihren Zähnen ?“ „Guter Einwurf.“ Pavel schnalzte mit der Zunge und kreuzte die Arme vor der schmalen Brust. „Und was wenn der Bär einfach das Maul zu hat ?“ „Wie meinst du ?“ „Na...ich habe noch nie einen Bären gesehen, der ständig mit offener Schnauze durch die Gegend stapft. Ja, natürlich...die Zähne sind spitz, aber er muss sie ja nicht zeigen.“ „Hm...hmhm...Ja, ja doch, das ist gut.“ Levi hob verschmitzt einen Mundwinkel. Er sah dabei ein bisschen mehr aus wie sein Onkel, der im weit entfernten Ebonfalke gerade vermutlich einen neuen Pelzmantel für seine Lieblingsnichte schneiderte, als wie sein Vater, dem ein Schräglächeln einfach nicht gut zu Gesichte stand. „Ich könnte ihn auch einfach Gleb nennen und dann käme niemand auf die Idee, dass er überhaupt einmal so etwas wie Zähne besessen hat heheha.“ Pavel erinnerte seinen Sohn in diesem Moment nicht daran, dass Bären für gewöhnlich auch ein paar nicht zu unterschätzende Krallen besaßen. Er war froh darüber, dass die Zahnproblematik wenigstens geklärt war. Es gab Dinge, über die lohnte es sich gar nicht erst nachzudenken. Zufrieden mit dem Ausgang dieser Unterhaltung griff er wieder nach dem Stiel seiner Axt. Er hatte die Klinge gerade wieder aus dem Holz gewuchtet, als Sorcia ihre Männer zum Abendessen rief.
„Du bist gar kein Bär.“, befand Levi am frühen Morgen auf dem Weg zum Brückenlager. In der einen Hand klimperten die Schlüssel des Hallentores aneinander, in der anderen wog er den Apfelholzscheit. Er wirkte unglücklich über diese Erkenntnis, die beinahe einen ganzen Mondlauf auf sich hatte warten lassen. „Ich meine...du könntest durchaus einer Sein, aber am Ende bist du damit nicht glücklich.“ Trude vom Fischstand beäugte den passierenden Riesen kritisch. Mit einer Forelle in der Hand deutete sie ihm hinterher. Bertrand drüben von den Tontöpfen wusste gleich Bescheid.
„Aber du kannst auch kein Pferd sein. Pferde haben zuweilen spitze Ohren und ihre Beine sind nicht sehr kindgerecht.“ Es klang wie ein Tadel und am Ende war es auch einer. Seine Schritte führten ihn am Salmaspital vorbei, durch die Gaunergasse, hinter dem Elysium her und schließlich bog er auf die Zielgerade ein. „Ich kenne gar keine anderen runden Tiere.“, beklagte er sich bei dem Stück Holz in seinen Fingern. „Vielleicht ist der Ansatz einfach ein falscher. Vielleicht bist du gar kein Tier. Ich meine, es gibt ja ständig irgendwelche Leute, die nicht sein wollen was sie sind. Ergab das jetzt Sinn ? Einerlei. Ich meine...weißt du was ich meine ?“ Er wartete tatsächlich auf eine Antwort und als sie ausblieb, schüttelte Levi mit dem Kopf. Apfelholz war dafür bekannt nicht besonders gesprächig zu sein. Anders verhielt es sich da mit Rosinen. Die beklagten sich den ganzen Tag darüber, dass man sie nicht zu Wein, sondern zu schrumpligen kleinen Wunstwarzen verkommen hat lassen. Rosinen waren eine Sache für sich und wenn man nur ein bisschen Selbstwert besaß, dann machte man für gewöhnlich einen großen Bogen um sie herum.
Vor dem Brückenlager warteten bereits die ersten Arbeiter und für den Moment musste der Holzscheit sich damit abfinden nicht mehr Mittelpunkt des Geschehens zu sein. Levi begrüßte die Männer, wechselte einige Worte mit ihnen und sperrte nebenbei das Lager auf. Der Winter nahte mit rasenden Schritten und hier im Salma herrschte darum Hochbetrieb. Die über den Sommer und den Herbst gebunkerten und eingelagerten Waren und Güter gehörten nun unter das Volk gebracht. Liese kam mit einem riesigen Korb voller Brot und Brötchen daher, die sie alle mit den später eintreffenden Frauen belegte und verpackte. Die Brüder Grimmkorn brachten die Milch von den Brückenhöfen aus dem Umland. Sie holten ihre Listen ab und machten sich dann auf die Flaschen unter das Volk zu bringen. Eine Extraportion für Witwe Pflaumacker heute, sie hatte es an der Hüfte. Carlo Borlotti erschien und brachte ein paar Burschen mit, die er unterwegs aufgegabelt hatte. Die neuen Rekruten. Rosa nahm sich ihrer gleich an und versorgte sie mit Brückenwimpeln und einer Einweisung. Carlo derweilen wechselte ein paar Worte mit Levi, der ihm umstandslos das Holz entgegen streckte. Im Hintergrund trafen die beiden Novizen aus dem Salmawaisenhaus ein und holten die tägliche Brückenüberraschung für die Kinder ab. Heute war es eine Lage bunten Papieres aus Löwenstein, das die Druckerei Haifinne gespendet hatte.
„Ein Quaggan ?“ Tellergroße Augen glotzten Mutter Farnkraut an. Die unscheinbare Frau mit dem haselnussbraunen Haar stand an ihrem kleinen Ofen und rührte gerade in dem großen Topf, der oben auf stand. Gutmütige Grübchen furchten die Haut neben ihren Augen als sie über die Schulter zu dem Iorga guckte, der sich an ihren Küchentisch gelümmelt hatte und der kleinen Dravia in diesem Moment das Apfelholz aus den Fingern nahm. Das Mädchen beklagte sich nicht. Sie nahm mit dem dicken Iorgadaumen vorlieb, den sie sich kurzerhand mit den Fingerchen griff. „Ich dachte ein Pferd.“ „Aber ein Pferd hat spitze Ohren.“ „Ja, das dachte ich auch. Aber ein Quaggan? Mögen Kinder Quaggans? Quaggane? Quagganten? Wie heißt das ?“ Dravia lachte begeistert als Levi ein Küchentuch ins Gesicht flog. Ein amüsiertes Brummen war seine Antwort darauf. „Sie sind doch niedlich. Und sie sind lieb. Zumindest glaube ich das. Wieso also kein Quaggan?“ „Na weil...Weil...“ Als ihm aufging, dass er gar kein passables Gegenargument vorbringen konnte, ließ er es einfach bleiben. „Also ein Quaggan.Hum.“ Norra befüllte die Suppenschüssel. Es war bald Zeit fürs Abendessen. „Bleibst du?“ Sie hatte ihm längst ein Gedeck aufgelegt. „Hmhm.“
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