Ich habe selten solche Augen gesehen. Solch einen Blick voller Hass und Abscheu betrachten müssen. Selten das Gefühl gehabt auf diese eine ganz bestimmte Art und Weise ungeliebt, unwillkommen zu sein. Eigentlich, wenn ich mich zurück erinnere, dann habe ich in meinem ganzen Leben noch keine Augen wie diese hier gesehen. Ich fürchte mich vor ihnen, das gebe ich ganz unumwunden zu. Ich verachte sie für ihre Stärke und ihre Intensität. Für ihre Perfektion, die mir die Galle in den Hals hinauf treibt. Dieses beneidenswerte Glühen, das ihnen inne wohnt. Die urtürmliche Macht, die sie ausstrahlen. Ich stelle mir vor wie das Lich in ihnen erlischt und habe doch keine wirkliche Ahnung davon. Eigentlich will ich es auch gar nicht wissen. Nicht erleben müssen wie sie sterben. Und am Ende wird es ja doch unausweichlich sein...
Es war ein ziemlich langer Tag gewesen, nach dessen Ende ich mich sehnte. Meine Füße schmerzten und ich wusste, dass ich mir mindestens eine sehr unschöne Blase gelaufen hatte, die mich schon seit einigen Stunden triezte. Vor dem schlafen gehen würde ich sie aufstechen müssen. Das jedenfalls hatte ich mir feste vorgenommen. Daraus wurde nichts, denn gerade als ich auf die Zielgerade einbog, die Hand nach meiner Zimmertüre reckte, nach der Klinke, die einladend im Licht der kleinen Öllampe glomm, traf mich seine Stimme vernichtend ins Kreuz. Entgeistert drehte ich mich herum. Ehrlich ? Nach Ebonfalke? Um diese Uhrzeit. Ich nahm es ihm übel. Ihm vor allen anderen. Aber auch den Überbringer der Nachricht traf mein Groll. Viel mehr noch die schwere Knochenmaske, mit der ich mich den ganzen Abend hatte herumschlagen müssen. Am Ende half alles mosern und maulen nichts. Ich hatte einen Auftrag und es war meine Pflicht ihn auszuführen. Meine Nächte hatten eindeutig zu wenige Stunden.
Dick eingepackt in Pullover und Jacke machte ich mich auf den Weg. Ich trug meine ausgetretenen Lederstiefel. Die, die nur hielten wenn ich mir gleich drei Paar Socken über meine Füße zog. Ich hatte gedacht sie würden meine geschundenen Fersen etwas schonen, aber ich hatte mich verschätzt. Meine Laune stieg gänzlich in den Keller als ich das violette Glimmen vor mir ausmachte. Ich schob meine Hand in meine Manteltasche und suchte nach meiner Taschenuhr. Es war wichtig die genaue Zeit zu kennen. Ich war dafür bekannt niemals zu spät zu kommen. Nach mir konnte man die Uhr stellen. Offensichlich aber nicht heute, denn anstatt meinen Zeitmesser zu finden, griffen meine Finger ins Leere. Es dauerte tatsächlich mehrere Minuten bis ich begriff, dass ich meine Uhr gar nicht dabei hatte. Dabei hatte ich sie doch schon vor drei Tagen gegen die Wand geworfen und damit unbrauchbar gemacht. Ich war wirklich kein besonders impulsiver Mensch, auch wenn ich mir diesen Charakterzug zuweilen nachsagen lassen musste. Eigentlich behauptete ich von mir ein ruhiges, kontrolliertes Wesen zu besitzen. Ich redete mir gerne ein, dass ich ein sehr ausgeglichener Mensch war, der eben einfach hin und wieder so seine Momente hatte. Gerade war es offenbar wieder soweit. Meine Zähne knirschten als ich den aufkommenden Zorn zwischen ihnen zerrieb. Den Portalasura hingegen traf ein fröhliches Lächeln. Ich kannte die kleine Ratte schon, die hier ihren Dienst verrichtete. Hin und wieder aß er bei uns zu Mittag. Ich verstand mich gut mit ihm. Sie jedenfalls tat das. Er wunderte sich gar nicht mehr über mein spätes Erscheinen. Es war, das betonte er immer wieder, besonders wichtig die Ware vor dem Erhalt zu prüfen. Ja genau. Ganz meine Rede. Nicht. Ich mochte diesen Winzling nicht sonderlich. Ich hatte für seine ganze Rasse nicht viel übrig. Noch weniger seit der Gebissabdruck von einem seiner Brüder meine Wade zierte. Er ließ mich gegen einen angemessenen Obolus passieren.
Ebonfalke war bitterkalt zu dieser Jahreszeit und dennoch begrüßte ich den beißenden Wind mit einem stillen, fast schüchternen Lächeln als er mir die Tränen in die Augen trieb. Es war längst Sperrstunde und die Vorhutler, die rings um den Portalplatz Position bezogen hatten, beäugten die Ankömmlinge aus Götterfels kritisch. Sie wussten nichts, konnten nichts wissen und doch beschlich mich jedes Mal aufs neue ein mulmiges Gefühl wenn sie mich so ansahen. Cloud nannte es lachend das schlechte Gewissen. Brego feixte dann immer, dass ich so etwas gar nicht besäße. Er war eben ein ausgewachsener Schwanzlurch. Ich grinste und lockerte mich. Was sollte schon passieren ? Im schlimmsten Falle schickten sie mich wieder zurück.
Der Soldat, der sich mir näherte, trug einen verbotenen Schnäutzer. Ohne ihn hätte er vielleicht durchaus ansehnlich ausgesehen. Ich tat mich schwer damit mir einen Kommentar zu verkneifen, denn der heiße Vanillerum, den ich vor ein paar Stunden getrunken hatte, lag mir noch immer lose unter der Zunge. Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen. Da trank ich ein einziges Mal und wurde prompt in den Einsatz gerufen. Logisch. Mein Leben verhielt sich eben wie diese eine Regel mit dem Marmeladenbrot. Die wo es darum ging, dass es immer auf der bestrichenen Seite landete ...oder so ähnlich. Ich bin keine Gelehrte. Nie gewesen. Ich habe wichtigeres zu tun als Brote mit Butter und Fruchtmuß zu bestreichen und sie dann über die Tischkante zu schieben.
Mit meinen Papieren war alles in Ordnung. Klar, sie waren ja auch echt. Ich konnte mir ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen und eilte mich damit es in meinem dicken Schal zu verstecken. Er verbarg auch mein Hastuch vor den Augen der Soldaten. Gefreite Mooshuber wurde mir an die Seite gestellt. Es war jetzt ihre Aufgabe mich sicher durch die Stadt zu geleiten. Mooshuber...was für ein dämlicher Name. Sie aber schien stolz darauf zu sein, so vermessen dreist wie sie ihre Brust nach vorne streckte. Damit konnte sie einer Kuh locker die Augen ausstechen. Für einen Moment überlegte ich mir sie zu fragen ob sie das schon einmal versucht habe. Es war am Ende sicherlich besser es nicht zu tun.
Der Schnee knarzte so herrlich unter den Sohlen meiner Stiefel, dass ich viele kleine anstatt weniger großer Schritte machte. Mooshuber war längst schon wieder auf dem Rückweg als ich mich aus dem kleinen Gang schälte und den wabernden Zauber durchschritt, der den Eingang vor neugierigen Augen verbarg. Ich mochte den Geruch von Ozon, der hier in der Luft lag. Es hatte etwas von Heimat. Er begleitete mich die paar Schritte, die ich laufen musste, ehe ich den nächsten Durchgang erreichte. Wieder ein Zauber. Wieder eine Barriere, die es zu durchqueren galt. Dahinter wartete Asjenka mit den Pferden.Jetzt sollte ich auch noch reiten. Es war ein Elend. Die Mesmerin teilte meine Gedanken offenbar. Ich hatte schon vor Jahren gelernt in ihren Augen zu lesen. Sie verachtete mich dafür und ich amüsierte mich darüber. So hielten wir uns beide bei Laune.
Es waren genug hohe Tiere anwesend mich die Schmerzen in meinen Fersen vergessen zu lassen. Wieder ertappte ich mich bei dem Versuch meine Taschenuhr zu zücken. Ich musste mir dringend eine neue besorgen. Asjenka führte mich auf meinen Platz. Ich stand rechts von ihm, während sie zu seiner Linken Stellung bezog. Es passte mir nicht, dass diese Leute mich neben ihm sahen. Es verriet ihnen zuviel. Er aber schien damit seinen Frieden gemacht zu haben und ich vertraute ihm weit genug es auch zu tun. Aufmerksam sah ich mich um. Wir waren die einzigen mit Masken. Er sah so albern mit seiner aus. Albern genug mich nicht an mich und den dickwangigen Hamster denken zu lassen, der mein Antlitz vor den Blicken der anderen verbarg. Immerhin hatte ich mir keinen Gänsearsch vor die Nase binden müssen.Das war viel wert.
Ich schluckte schwer als ich die beiden verwaisten Plätze unserer Genossen vom Nordwall sah. Es waren nicht die einzigen Stühle, die heute unbesetzt blieben. Wieso meine Anwesenheit von Nöten war wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Ich war noch nie in diesem Raum gewesen. Sicherlich, ich hatte schon von ihm gehört, aber es war das erste Mal für mich heute hier wirklich dabei zu sein. Wir saßen auf Emporen, die über einzelne, von einander unabhängige Gänge erreicht werden konnten. Einfache Holzstühle erwarteten unsere Ärsche und machten einem das sitzen schon nach wenigen Augenblicken unangenehm. Es war Absicht, wie er mir später einmal erzählen sollte. Irgend ein traditioneller Quatsch. Am Ende spielte es keine Rolle. Zu unseren Füßen befand sich eine tiefe Grube. Es gab genau zwei Gittertore, durch die man sie betreten konnte, sofern man nicht den Wunsch verspürte sich von seinem Balkon aus hinunter zu stürzen. Das passierte hin und wieder einmal, allerdings eher unfreiwillig. Auch eine Möglichkeit sich ungeliebter Genossen zu entledigen. Und eben die Begründung für meine Anwesenheit, wie mir klar wurde. Es war ein schlauer Gedanke gewesen, am Ende aber ein falscher.
Er legte mir in einer vertrauten Geste die Hand auf den Oberschenkel und drückte verbunden. Es schauderte mich und ich wusste nicht einmal genau warum. Mir blieb keine Zeit diese Frage näher zu ergründen, denn das laute Kreischen eiserner Ketten, die eines der Eisentore hoben, lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Überall wurden Hälse gereckt und das allgemein vorherrschende Tuscheln verstummte. Musste wohl wichtig sein und obwohl ich diesen Beschluss gefasst hatte, entglitten mir meine Gedanken noch einmal. Ihm würde es hier sicherlich gefallen. Vielleicht sollte ich dem Boss vorschlagen in Betracht zu ziehen, dass...Jemand schrie und ich zuckte zusammen. Es war die Führerin der Ogersenke, die mit so viel Schwung aufgesprungen war, dass sie ihren Stuhl umgerissen hatte. Ein derber Fluch hallte durch den Saal und mischte sich mit einem anklagenden Blick, der zum Glück der Empore gleich neben uns galt und nicht uns. „Wieso ist dieses Biest hier ?!“, verlangte das Weib zu wissen. Wie hieß sie noch gleich ? Ich war mir nicht sicher. Wilma ? Wicka ? Irgend etwas in dieser Richtung jedenfalls. Ihr Name begann, das immerhin wusste ich, mit Wi..Letztendlich spielte aber auch das keine Rolle. „Wieso sind wir hier ? Was soll das ? Ist das ein schlechter Scherz?“ Ich hatte keine Ahnung was genau nun eigentlich Grund des Anstoßes war, aber ich merkte wie eine gewisse Unruhe um sich griff. Nur er blieb wie immer ruhig. Mein Fels in der Brandung hua hua hua...Scheiße.
Ich war nicht stolz auf die Neugierde, die von mir Besitz ergriff und mich dazu bewegte den Hals zu recken. Ich verdankte es meiner Maske nicht genug zu sehen. Sicher...im Grunde sah ich was ich sehen musste, aber ich hasste es auch nur im Ansatz in meinen Möglichkeiten eingeschrenkt zu sein. Die Maske abzusetzen hingegen wagte ich nicht. Mit einem rückversichernden Blick in seine Richtung erhob ich mich und machte die paar Schritte zum Rand unserer Empore. Gut...und dann wusste ich worum es ging. Da unten in der Grube kauerte eine Charr. Klein und dürr, sicherlich noch nicht einmal im Ansatz ausgewachsen. Mager und verdreckt war sie. Sie würde keinen schönen Pelzkragen abgeben, befand ich ziemlich nüchtern. Ich strengte mich trotzdem ein wenig an und erkannte, dass ihr Fell unter dem Unrat und dem getrockneten Blut durchaus eine gewisse verlockende Qualität besaß. Silbergraue Charr waren mitunter durchaus als seltenes Gut zu erachten. Ich machte eine Bestandausfnahme. Ihr Alter schätzte ich auf vielleicht sechs oder sieben Jahre. Ein Weibchen mit einem außerordentlich hübschen Schweif. Sie besaß, soweit ich es sagen konnte, noch alle ihrer Körperteile. Vier Ohren, vier Hörner, vier Läufe. Ihr Gesicht war weniger feist als das ihrer Artgenossen und ihre Statur von einer gewissen Filigranität, die mein Unterbewusstsein beneidete. Viel mehr gab es dann aber auch schon nicht mehr zu sagen. Man hatte ihr ihre Gewänder und selbstverständlich auch ihre Waffen genommen, ihr ein Halsband um die Kehle gelegt und sie an eine dicke Eisenkette gebunden. Vermutlich hatte man sie bereits geprügelt und geschlagen. Ihm warf ich einen fragenden Blick zu. Ich bekam keine Antwort darauf. Ich hasste es wenn er so war. Er war praktisch immer so.
„Wieso wurde das Konzil zusammen gerufen ?“, verlangte Wicka-Wilma zu wissen. Das interessierte mich auch. „Was soll der Mist ? Wir haben wichtigere Dinge zu tun. Ich weiß wie die Biester aussehen. Soll das ein Scherz sein ? Wieso präsentiert man uns ein Junges ?!“ Ja, warum eigentlich ? Meine Augen verlagerten sich auf die Charr, die geduckt und mit eingezogenem Schädel noch immer in der Grube kauerte. Es blieb ihr ja aber schließlich auch nichts anderes übrig. Mir fiel auf wie aufmerksam sie uns beobachtete. Nicht mit ihren Augen, sondern viel mehr mit ihren Ohren, die ohne Unterlass zuckten, wippten und sich drehten. Mein Interesse war geweckt.
Ich bemerkte erst verspätet, dass das Weib mich in seinen Fokus genommen hatte. „Hase, wieso sind wir hier?“, verlangte sie jetzt zu wissen und mir drehte sich der Magen um. Es war gar nicht seine Art mir so viele Informationen vorzuenthalten. Er hob schlicht eine Hand und blieb still. Wicka schnaufte. Gut, das hätte ich auch getan. Ich hatte es getan...
„Setz dich endlich hin, Wirma!“ Mein Kopf ruckte herum. Diese Stimme kannte ich noch nicht. Es war ein Mann gewesen, den ich von meiner Position aus gerade eben so in einer Ahnung erkennen konnte. „Du musst den Leuten auch mal die Gelegenheit geben sich zu erklären. Hase hat mit der Sache nichts zu tun.“ Hatten wir nicht ? Was denn nun ? Ich wusste genau wie sich unter seiner Maske nun ein Mundwinkel hob. Wenigstens bildete ich mir ein das zu wissen. Wirma schwieg nun tatsächlich und es verwunderte mich. Ich wurde unruhig je länger es dauerte. Die ganze Sache zog sich für meinen Geschmack viel zu lange hin. Dass ich vor etwas mehr als drei Stunden noch in Götterfels gestanden und sauren Apfelkorn angepriesen hatte, war so surreal, dass ich es in diesem Moment ganz und gar vergaß.
Die dritte Stimme, die sich erhob, gehört interessanter Weise einem Soldaten der Ebonvorhut. Der Mann war ein glühender Verfechter der Sache und in etwa so lange Mitglied der Festungszelle, wie ich Teil des wahren Blutes war. Ich kannte ihn, aber nicht seinen Namen. Nicht seinen richtigen jedenfalls. „Das hier, Genossen, ist Legionär Ginsterschleicher.“ Verwundert runzelte ich die Brauen. Meinen Unglauben teilten andere. „Legionär Ginsterschleicher von der Aschelegion. Ihr Trupp ist spezialisiert auf Infiltration, Informationsbeschaffung, gezielte Anschläge.“ Ich konnte nicht verhindern, dass sich ein Lachen aus meiner Kehle stahl. Die Charr da unten war also quasi...ich. „Wir beobachten die Bewegung ihres Trupps schon eine Weile. Sie ging uns im Grenzgebiet in die Falle.“ Er klang selbstsicher genug es ernst zu meinen. Ich dagegen fand es irgendwie seltsam. Nicht zuletzt weil Hase keinen Mucks von sich gab. Wirma meldete sich zu Wort. „Was redest du da für einen Blödsinn. Es ist schon beängstigend, dass du den Unterschied zwischen Jungtier und ausgewachsenem Biest nicht kennst.“ Vereinzeltes Lachen. „Ein Junges trägt wohl kaum das Abzeichen eines Legionärs an seiner Schulter.“ Da sprach er etwas wahres. „ Gibt ja schließlich auch bei uns Krüppel.“ Hinter mir knackte etwas und ich wusste gleich, dass es sein Nacken gewesen war. Diese Anspielung würde er sich merken und ich mir auch. „Das ergibt keinen Sinn.“ Wieder war es Wirma, die offenbar zum Redensführer auserkoren worden war, denn niemand sonst mischte sich ein. „Krüppel werden keine Legionäre. Die werden gefressen, erschossen, zerfetzt. Du verschwendest unsere Zeit. Das Miststück hat dich verarscht.“ Dieses Mal lachten einige mehr. Der Soldat allerdings bewahrte Ruhe. Er musste noch etwas in der Rückhand haben. Ich war auf seine Erklärung gespannt. „Dieser Krüppel hat uns die Lage des Zenturios verraten, der mit seinen Truppen unsere Lager bombardiert.“ Nun lachte niemand mehr. „Das glaube ich nicht.“, rief Wirma. Ich, wenn ich ehrlich bin, auch nicht. „Wir haben ihr eine Falle gestellt, sie fest gesetzt und befragt. Sie ist zäher als sie aussieht. Letztendlich hat sie uns aber die derzeitige Position der Charr verraten. Ich muss euch nicht sagen was das bedeutet.“ Das musste er wirklich nicht.
Ich seufzte und warf noch einen Blick in die Grube. Was ich dort sah passte zu den gerade erhaltenen Informationen. Darum wunderte es mich, dass Hase sich in meinem Rücken plötzlich erhob und die Empore verließ. Ich hatte kein Recht noch länger zu bleiben...ohne ihn.
„Ich verstehe das nicht“, gestand ich auf dem Weg zurück. Die lästige Maske stierte mich aus leeren Augenhöhlen an. Sie hatte nicht ganz in meine Manteltasche gepasst. „Was sollte das jetzt ? Wieso sind wir weg? Das ergibt doch keinen Sinn.“ Er schwieg und ich zog einen Flunsch. „Ich meine“, versuchte ich es noch einmal, „ist doch gut, oder ? Wir können die Biester jetzt erledigen. Ein Erstschlag und ihnen heimzahlen was sie uns angetan haben.“ Er lachte auf. „Was übersehe ich?“, verlangte ich zu wissen. Denn DAS es etwas gab lag auf der Hand. Asjenka schwieg sich aus. Sie war keinen Deut schlauer als ich, verbarg das aber hinter ihrer Maske der Gleichgültigkeit. „Denk doch mal nach, Liebes.“ Selbst ohne die Anwesenheit eines Rs, vermochte er zu schnurren wie ein dicker Kater, der sich gerade auf seinem Bärenfell vor einem prasselnden Kaminfeuer einrollte. „Eine kleinwüchsige Legionärin der Aschelegion...lässt sich fangen...von einem Haufen Banausen...und gibt ihnen, ohne dass sie ihr irgend etwas abschneiden müssten, den Standort des Lagers eines Zenturios und seiner Truppen Preis...Finde den Fehler.“ „Ja gut, es klingt...keine Ahnung...Ich meine...Hum.“ „Wirma hatte schon ganz Recht. Krüppel werden keine Legionäre. Das bedeutet, dass sie irgend etwas kann, dass ihre körperliche Beschränktheit ausgleicht.“ „Ja, schon. Aber ich meine sie war ja da. Das kannst du nicht leugnen.“ „Das kann ich wirklich nicht.“ „Und...was ist nun ?“ „Nun bereiten wir Präsentkörbe vor.“ Ich stutze. „Was ? Wofür denn bitte das ?“ „Für die Neuen.“ „Welche Neuen ?“ Er kam nicht mehr dazu mir eine Antwort zu geben, denn sein Pferd scheute als ein ohrenbetäubendes Dröhnen und Donnern die Luft zerriss.
So ein verdammter Dreckskerl. Ich stürzte den Skruuj herunter und brauchte einen Moment die ganze, geballte Säure zu verdauen, die mir Apfelkorn und Dropszucker auferlegt hatten. Er musste es gewusst haben. Musste begriffen haben, dass etwas faul ist und war trotzdem dort aufgelaufen. Hatte mich extra rufen lassen und dann...das. Mir erschloss sich der Sinn nicht.
Meine Hand zitterte immer noch und ich stellte das Glas lieber wieder fort. Erschöpft sank ich in die Laken meines Bettes. Der Geruch von Schwarzpulver und Schwefel lag noch immer in meiner Nase. Ich hörte die Charrmörser in der Ferne donnern. Das war doch alles Irrsinn. Ich rieb mir die Augen und rollte mich in meine Decke. Schlaf würde ich heute keinen mehr finden, aber ein wenig Ruhe vielleicht. Ein vergeblicher Wunsch. Und dann traf es mich wie ein Blitzschlag. Natürlich hatte er es gewusst. Natürlich war er anwesend gewesen. Natürlich hatte ich da sein müssen. Hatte ich mitspielen müssen. Es lag doch auf der Hand. All diese Leute, die heute dort ihr Leben gelassen hatten...hatten schon seinen Vorgänger unterstützt. Jetzt...waren sie fort und damit hatte er die Position des Dienstältesten inne. Ein Haufen führungsloser Hühner, die einen neuen Hahn brauchten. Ich lachte freudlos auf. Die Hauptleute und ihre Vertreter waren da gewesen und jetzt...gab es nur noch uns. Die weniger starken Zellen würden sich aufteilen, ganz sicher. Die anderen neue Führer finden. Solche, die sich mit den größeren Organisationen gut stellen würden. Schweinehund. An die Charr dachte ich dabei schon gar nicht mehr. Sie hatte sicherlich ihre ganz eigenen Pläne verfolgt und war vermutlich jetzt genauso tot wie die anderen.
Mir blieb die Luft weg als ich begriff, dass die ganze Sache auch gewaltig hätte daneben gehen können. Wenn wir nicht rechtzeitig gegangen wären...Wenn wir nicht...Ich dachte nicht weiter, denn noch etwas wurde mir in diesem Augenblick klar. Hase überließ nichts dem Zufall.Die leeren Plätze. Unser frühzeitiger Aufbruch. Seine Verschwiegenheit. Die Sache mit den Präsentkörben... Diese Leute waren nicht, wie von mir angenommen, von Charrmörsern zerrissen worden...
Ich hatte eigentlich in die Werkstatt gehen wollen.Den Schädel frei bekommen. Am Ende war ich in die andere Richtung gelaufen, hatte die Treppe nach oben genommen und war, wie schon lange nicht mehr, mit den kalten Stiegen unter meinem Hintern und dem Kopf an seiner Türe letztendlich doch noch eingeschlafen.
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