Wir wissen erst was wir hatten, wenn es uns genommen wird. Wenn wir es verlieren und es fort ist. Wir können die Dinge erst dann richtig schätzen, wenn wir in die Verlegenheit kommen ihrer nicht mehr habhaft zu sein. Zumindest ist das bei den meisten Menschen so. Ich bin da keine Ausnahme. Mir war etwas genommen worden und jetzt sehnte ich mich noch mehr danach. Dabei hatte ich es niemals wirklich besessen. Nur diese Idee. Dieser Gedanke war mein gewesen und jetzt hatte ich ihn, alles andere wäre unvernünftig gewesen, von der Leine gelassen. Ich hatte ihm nicht einmal bei seiner Flucht zugesehen. Er hatte sich von mir los gerissen und war davon gestürmt ohne sich auch nur ein einziges Mal noch nach mir umzublicken. Es war, das musste ich mir eingestehen, am Ende immer das gleiche. Ich war einfach nicht dafür gemacht.
Ich hasste Menschen nicht. Es war eine falsche Annahme. Genauso wie ich keine verrückte, fanatische, gewissenlose Attentäterin war. Ich meine...wer konnte das heutzutage schon noch von sich behaupten? Es gab nur einfach gewisse Zustände, die mir in ihrer Art und ihrer Beschaffenheit nicht gefielen und ich wusste, dass man einige Dinge nur dann ändern konnte, wenn man sich aktiv dazu erhob und in die Offensive ging. Ich tötete nicht gerne. Wirklich nicht. Es gab ja diese Leute, die nur schwarz trugen und glaubten damit auszusehen wie eins a Canthakiller und von sich behaupteten es gerne zu tun. Die ihr Haar färbten, sich besonders enge Lederkleidung anzogen, ganz von dem Fakt ab, dass es unsinnig war und versuchten durch auf den ersten Blick ungemein kühle und überlegene Sprüche eine Aura der Furcht um sich herum zu erschaffen. Solche Leute, die sich Katze, Schattenritter, Dunkelschleicher, Schattendunkelschleichritter oder ähnliche bescheuerte Namen gaben. Ich kannte selber solche Leute. Sie waren wirklich so. Es gab eine Zeit, da hatte ich das für eine von Clouds dummen Geschichten gehalten. Und dann war ich nach Löwenstein gekommen...später nach Fels und hatte in den sauren Apfel der Wahrheit beißen müssen. Unsere Katze wenigstens sah gut aus, auch wenn sie mich manches Mal eher an den fetten, einäugigen Kater erinnerte, der mal eine Zeit lang auf dem Hof gelebt hatte. So einer, der zu dumm zum fressen war. Es gab ja so Leute...Aber eigentlich war es nicht gerecht sie mit dem alten Bimpel zu vergleichen. Ich hatte sie noch nie ihren Sack lecken und dabei umfallen sehen.
Im Grunde, ich gebe es in diesem Falle gerne zu, war ich nur neidisch. SIE durfte diese wundervolle Robe in Gold tragen. SIE durfte auf den Ball gehen, den Wintertanz, den ich nur, aus meinem Fenster blickend, in einer Idee erfahren konnte. Es war jetzt nicht so dass ich mich darum gerissen hätte. Oder dass es mich besonders traf nicht dort hingehen zu können. Nein, so jemand war ich gewiss nicht. Aber es hätte mir wohl unter Umständen und mit der richtigen Begleitung an meiner Seite doch auf eine morbide Art und Weise durchaus gefallen...nehme ich an.
Sie jedenfalls sah wundervoll aus. Ein strahlender Stern in einem Stall voller Narren. Die berühmt berüchtigte Perle vor den Säuen. Der funkelnde Brillant in einem Meer aus ungeschliffenen Qugganeiern. Gut. Das war jetzt komisch. Seltsam komisch. Nicht auf die lustige Weise komisch. Das war eher so...genug. Zurück zum Thema..
Ich leerte meinen Kaffee und beobachtete wie sich am Tassenboden der Absatz langsam aber sicher anpappte. Ein diebisches Grinsen legte sich auf meine Lippen als ich den Becher ganz hinten in das schmutzige Geschirr einsortierte. Da würde der alte Eber aber gewaltig schrubben müssen, wenn er sich endlich dazu herab ließ zu spülen. Ich kicherte albern und räusperte mich. Manchmal war ich ziemlich blöde. Wenigstens war ich in diesen Momenten meistens alleine. Hoffte ich zumindest.
ER allerdings hatte, so glaubte ich, ein Gespür für diese Augenblicke und darum kam ich nicht umhin einen verstohlenen Blick über meine Schulter zu werfen und mich zu vergewissern, dass der olle Kerl heute nicht in den Genuss meines kuhäugigen Starrens kam. Er hatte in letzter Zeit viel zu viele Erfolge dahingehend eingefahren. Ich musste langsam wirklich vorsichtiger werden.
Ich muss gestehen, dass ich mehr von dem götterfelser Adel gedacht hatte. Ich hatte geglaubt, gehofft den ein oder anderen modischen Fehlgriff zu erhaschen, aber dass praktisch 90 Prozent der Ballbesucher aussahen wie ein überfahrenes Huhn hatte mich nun wirklich ein bisschen aus dem Konzept gebracht. Welche Frau bitte ging in Hosen auf einen Winterball? Offenbar eine, die in der Regierung der Stadt saß. Wunderte es mich? Im Grunde nicht...
Welche Frau trug karrierte Strümpfe zu einem Kleid, das ich von seiner Optik her eher in der götterfelser Suppenküche, als in der Rurikhalle erwartet hätte? Offenbar eine, die in der Regierung der Stadt saß...
Welche Frau verwechselte den Winterball mit ihrem Badezimmer und trug den missgebildeten Versuch eines Morgenmantels in babyblau? Offenbar eine, die in der Regierung der Stadt saß.
Ich kam nicht umhin ein gewisses Schema zu erkennen...
Auf der anderen Seite gab es da auch die wenigen kleinen Hoffnungsschimmer, die mit verlässlicher Genauigkeit meinen Glauben an das Gute im Menschen bewahrten. Unsere Katze zum Beispiel oder diese eine kleine, die bei den Rotröcken gewesen war und den Gürtel zu spüren bekommen hatte. Ich muss mich wirklich bei ihr entschuldigen. Im Geiste wenigstens, denn als ich sie da mit ihrem speckigen Ledermantel anrücken sah kam mir die Galle hoch. Später trug sie plötzlich eine erstaunlich ansprechende Ballrobe. Das hässliche Entlein, das sich zu einem wundervollen Schwan entpuppte...und dabei vermutlich die geistige Stabilität eines analphabetischen Eichhörnchens besaß.
Auch die männliche Fraktion hat mich jetzt wirklich nicht überzeugen können. Der Fiorell war langweilig wie immer. Aber irgendwie stand ihm das gut zu Gesicht. Er hatte es nicht nötig sich mit glanzvollen Protz oder Stuck zu schmücken, denn das hätte ihn in seiner Blässe einfach erschlagen. Man musste mit den Dingen arbeiten die man hatte und er konnte das. Dafür musste man ihn eigentlich beneiden, denn nicht jeder war in der Lage bescheiden genug dafür zu sein es einzusehen.
Etwa wie der neue Stecher der Dunkelherz da vom Hals. Wie lächerlich er ausgehsehen hatte in seinem gehäuteten Wintertagsbaum. Wahrscheinlich war seine Kutsche auf dem Weg zum Veranstaltungsort in eines von Tixxs Dolyaks gefahren und das war nun das bemittleidenswerte Ergebnis dieses Unfalles. Der Mann saß übrigens in der Regierung der Stadt. Und hockte da nicht auch dieser graublonde Bär im zartblauen Himmelsanzug? Ich hatte mich gerade eben so davon abhalten können mir mit der Zuckerstange, die in meinem Kakao geschwommen war, die Augen auszustechen.
Der Finch hatte mir gefallen. Schlichter, dunkler Anzug. Standart. Es war gut mit einigen Traditionen nicht zu brechen. Oder dieser neue Rekrut der Silberschwinge. Der hatte es ja ähnlich gehalten. Traurig eigentlich, dass die kleinen Lichter wussten wie es ging und die, die sich an die Spitze gestellt hatten, auf dem Weg dorthin offenbar ihrer geistigen Stärke beraubt worden waren. Hatten diese Leute denn alle keine Spiegel im Haus?!
Ich atmete durch. Regte ich mich gerade wirklich über die modischen Entgleisungen des götterfelser Adels auf? JA, verdammt! Ich hatte so wenige Freuden in dieser von den Göttern und jeglichem Anstand verlassenen Stadt und dann beraubten mich diese nichtsnutzigen, verräterischen Idioten auch noch der wenigen kleinen Momente, auf die ich mich innerlich wie ein kleines Mädchen freute, das nur noch wenige Schritte von seinen Wintertagsgeschenken entfernt war. Was bildeten sie sich eigentlich ein?
Es war müßig sich diese Frage zu stellen, denn die Antwort lag offen auf der Hand: Viel zu viel.
Ich seufzte und ließ mich auf mein Bett zurück sinken. Ich mochte das Geräusch der Daunenkissen, wenn man sich hinein muckelte. Es hatte immer irgendwie etwas vertrautes an sich, ganz gleich wo man war. Es hatte stets eine positive Wirkung auf mich, denn ich hatte es noch nie an Orten vernommen, an denen ich nicht gerne war. Dazu im Gegensatz stand zum Beispiel das quietschen der Metallscharniere einer Türe. Oder das tropfen eines Wasserhahns.
Ich sollte längst schlafen und sah mich ja eben doch in der Bredouille es nicht zu können. Er hatte mir zu verstehen gegeben, dass er mich nicht mehr auf seiner Treppe sehen wollte und obwohl ich es ihm übel nahm, musste ich ihm doch Recht geben. Es war kindisch von mir gewesen dort etwas Ruhe zu suchen. Wer war ich denn bitte? Ein verschrecktes Weibchen, das zu seinem Alpha gekrochen kam und sich nur in seinem Schatten seines Lebens sicher war? Blödsinn. Außerdem war er nicht mein Führer. Er würde es auch niemals sein, denn es gab gewisse Positionen, die er ob seines Verhaltens niemals erreichen würde. Das war nichts schlechtes. Ich war auch einmal so jemand gewesen. Wieso ich es nicht mehr war hatte ich nie verstanden. Wenigstens verstand ich, dass ich mir die letzten Sätze auch hätte sparen können. Ich machte eine Aussage und strafte sie mit den nächsten Worten Lüge. Nichts auf dieser Welt war von Dauer. Nichts auf dieser Welt war wirklich sicher oder konnte von Bestand sein. Nicht einmal dieser Witz, den Romatiker Liebe nannten.
Ich war weder besonders emotional, noch besonders gefühlsduselig. Das hatte ich ja vor einer Weile bereits klar gestellt. Es war mir zuweilen nur nach ein bisschen Nähe und lag das nicht in der Natur des Menschen? Es gab also keinen Grund mich dafür zu entschuldigen. Immerhin war ich kein entarteter Krüppel meiner Art. Ich wusste schließlich wie die Ballrobe einer Rurikhallenfestlichkeit auszusehen hatte! Ich merkte wie mich dieses Thema wirklich aufregte und rollte mich auf den Bauch. Zuweilen neigte ich dazu mich einer gewissen Oberflächlichkeit zu bedienen. Schmunzelnd biss ich in mein Kissen und lachte mich im selben Moment dafür aus. Dann fiel mein Blick auf die Uhr. Ein verfrühtes Wintertagsgeschenk aus Ebonfalke...Es wurde langsam Zeit für mich.
Kurz bevor ich mein Zimmer verließ, warf ich noch einen letzten Blick aus dem Fenster über den Platz. Sie tanzten und feierten, frohlockten mit Sektflöte und Häppchenlöffeln. Mir gefiel die Schlichtheit des Hallenschmuckes. Das wenigstens war wirklich nach meinem Geschmack gewesen. Zierwerk, das den Blick auf das wirklich wichtige nicht verwehrte. Ein Schmuck, der dazu gemacht war zu garnieren und nicht zu protzen. Und dann kam dieser Haufen beschränkter Blaublüter daher und verschandelte mir den Moment mit feisten Fratzen und dummen Ausrufen. Wie gerne hätte ich eine von Grigorjis Bomben auf diese Kloake der Gesellschaft geworfen. Es waren ja nicht einmal Ministeriale anwesend. Ein Umstand, der mich erst später verwunderte.
Ich schnaufte und zog meine Augen von dort ab. Es war nicht günstig jetzt solche Dinge zu planen. Zumal es ja gar kein richtiges planen, sondern viel mehr der alberne Versuch war ihnen einen besonders unrühmlichen Tod zu wünschen. Ich konnte das besser. Wirklich viel besser. Gerade kam ich mir eher ein bisschen vor wie einer dieser schwarzen Lederträge mit Maske und Kapuze. Ich bin auffällig weil ich unauffällig bin! Oder..verhielt sich das anders herum? Ich lachte stumpf auf und schüttelte mit dem Kopf. Vielleicht wäre es besser gewesen einfach in mein Bett zu kriechen, die Lichter aus zu machen und mich unter meinen Decken zu vergraben. Ganz sicherlich sogar wäre das einfacher gewesen, aber es gab Dinge, die keinen weiteren Aufschub mehr duldeten. Ich fand Genugtuung in dem Gedanken meiner offensichtlichen Überlegenheit ihnen allen gegenüber. Dann schloss ich meine Türe.
Kommentare 4