Priesterkammer
Die Nacht war gekommen als die Taverne noch mit dem Lachen ihrer erfüllt war, sie war er stumme Zeuge eines schmerzvollen Gesprächs und sie begleitete sie auch bis in den Schrein. Dort wo sie gleich einer einfachen Dame auf die Knie gefallen war, in den behandschuhten Händen ihr Gesicht verbarg und die Tränen ihren Weg über die bleichen Wangen fanden. Jeglichen Rausch hatte die Wahrheit, die Erkenntnis ihr genommen und dem Schmerz den Weg geebnet um sich in ihrem Herzen breit zu machen. Kein Wort, kein Griff hielt ihren Schritt als sie sich von ihm abwendete um zu gehen. Ein schwacher Augenblick, man muss sich wieder fangen...
Liebe; Liebe, welch schönes, welch grausames Gefühl. Zerstörerischer als es jegliche Kriegsmaschine zu sein vermochte ob von Feindes- oder Freundeshand gebaut. Stunde um Stunde verging, während die Schultern bebten, die Handschuhe sich weiter mit dem salzigen Nass ihrer Augen benetzten eh sie sich erhob. Die Sechs waren ihr gnädig, kein Auge was sich offenbarte hatte sie dort knien und flehen sehen. Kein Ohr die Worte vernommen, die nicht anklagend ihrem Gott gegenüber waren und doch um die Gerechtigkeit fochten, welche ihr genommen wurde in der Stunde als man aus ihr dies Monster machte. Diese Gestalt vor der -er- Angst hatte, diese Hände ihr gab, welche sie niemals als Bürde gesehen sondern als Herausforderung wahrnahm. Jetzt waren sie eine Last, jetzt waren sie nicht mehr einfach was sie sind. Nein, sie nahmen ihr das Herz, sie griffen in die Brust der Frau und rissen es ihr hinaus, um es eisig zu umklammern in der Stund als er sich von ihr abwendete.
Ein leises knarzendes Geräusch kam ihr an die Ohren als sie die morsche Latte im Boden ihrer Kammer berührte. Zwei Schritte, nein drei machte sie noch weiter sank dann am Türbogen auf die Knie und abermals wollten die Tränen geboren werden in dem eigenen hellen Augenpaar. „Marzio..“ flehte der bebende Mund, flehte das Innere aber er würde es nicht hören, er war nicht hier und vielleicht kam er nimmer mehr an diesen Ort.
Ihr Blick hob sich an das Bett; Zorn, wilde Verzweiflung brachte sie auf die Beine als die Hände nach dem Laken griffen, nach den Kissen, nach der Decke und diese vom Stroh rissen. Dort war er gesessen, dort hatte sie ihn geküsst. Keine Nacht mehr würde sie dort ruhen, denn er war an diesem Punkt in ihrer Welt gewesen.
Ihre Welt? Ihre Welt gab es diese noch? Rasch hob und sank ihre Brust als der erste Zorn der Verzweiflung wieder Platz machte, sah sie sich stehend in ihrer Kammer um. War es hier immer schon so düster, trist und einsam gewesen? Bis auf das Bild der Mutter gab es keine weiteren, es gab Aufzeichnungen mit dünnen Nägeln an die Wand gebracht. Es gab Regale mit Unmengen an Büchern und ihre zwei Schreibtische mit all ihren Proben, Exponaten, Präparaten und Phiolen.
Jedes war fein säuberlich beschriftet und in den meisten lauerte der Tod. Wie schnell es gehen würde, wie rasch alles vorbei wäre. Josephine trat an den Tisch, nahm eine der Phiolen hob sie an und betrachtete den Inhalt dessen mit zweifelndem Blick. Ihr Leib hatte jede Minute, jede Stunde am Tage gekämpft gegen das Verderben in sich selbst. Wofür? Dafür das sie allein war am Ende?
Irgendwo draußen dämmerte der Tag, irgendwo draußen begann er auch für ihn.
Der schleppende, müde Schritt ihrer führte sie an ihr Kammerfenster, sie öffnete diese, ließ die kalte Herbstluft in den Raum. Wild schwangen die alten Vorhänge mit, blähten sich als der stärker gewordene Wind hineintrat in den Raum und ihn ganz aufnahm. Ihre Augen führten den Blick gen Horizont zu den Mauern der Stadt, welche sie erahnen mochte über den Friedhof hinweg.
Sie hatte alles zerstört, warum musst sie die Handschuhe abziehen. Die Nacht hätte wieder an seiner Seite vollbracht werden können, vielleicht hätten sie sich gar geliebt im Schein der Fackeln.
Ihr Herz schlug wild auf in dieser Vorstellung, ersann sie sich den Mann, der in ihren Augen nicht schöner hätte sein können. Ihre linke Hand rührte sich, die Fingerspitzen vom Stoff umspannt rieben aneinander. Die Empfindung so schwach, würde es etwas ändern wenn sie keine Handschuhe trug, wenn sie nun sich berührte ohne diese. Aber es gab ja kaum einen Moment in dem dies so wäre, immerzu trug sie, selbst zum Schlaf ein Paar.
Ein Kauz schreit vom Friedhof herauf, fordert ihren Blick sich gen ihm zu wenden. Ach wie glücklich mochte er sein wenn er die Flügel dem Wind übergab und sich emporsteigen ließ. Josephine war müde. Sehr müde, aber es war keine Müdigkeit die das Ruhen auf dem Stroh beendet hätte. Nein, sie war des ewigen Kampfes müde, der ihre Krankheit barg. Es war ein Kampf den kein Schwert, kein Stecken oder Dolch fechten könnte, ein Kampf der jedwede Kraft ihrer brauchte und den ihres Blutes. Wie grässlich Akara nach der letzten Heilung ausgesehen hatte und sie selbst war Schuld an diesem Umstand, kein Wunder das ihre Gefährtin sie immer wieder mit finsterem Blick bedachte. Wenn es so weiterging, wäre sie der Tod ihres Blutes oder aber ist es schon. Denn der Husten, den die Priesterin mit sich trug, schien dem zu entsprechen was Josephine als Auswirkung ihrer Krankheit kannte.
Wieder fiel der Blick auf die eben gehobene Phiole, sie tritt rasch an sie heran nahm den Korken vom Totenkopf verzierten Trank und ging hinüber auf das Stroh ihres Bettes. Nochmals riefen die Vögel über den Friedhof, nochmals blähte der Wind und Josephine wähnte der letzten Tränen auf ihren Wangen während sie sich langsam auf dem Stroh niederließ. Es wäre besser, es wäre friedlicher und keiner müsste sie mehr fürchten, keiner würde sie jemals wieder so ansehen. „Marzio..“ spricht der Mund noch einmal ungehört „ich liebe dich..“
Unruhe birgt der Flur vor der Kammer, die ersten würden erwachen, sich den Gebeten widmen. An diesem Morgen aber, würde man die Priesterin vermissen. Selbst in ihrer größten Not suchte sie gestützt den Schrein auf um ihren Dienst zu tun, aber heute würde sie fernbleiben. Auch am morgigen Tage und an dem darauf, man würde nach ihr sehen und sie finden. Ruhig, friedlich, blass wie man sie kannte und doch hob dann der Atem die Brust nicht mehr. Sie kannte was sie trinken wollte, sie kannte die Wirkung, es wäre nicht leidvoll, aber auch nicht schmerzlos. Sodass der Dunkle ihre Feigheit mit dem ertragenen Schmerz aufwiegen können würde. Der erste Tropfen legt sich an ihre Lippe während die Augen sich schließen. Langsam will die Hand die Phiole weiter stürzen als unvermittelt lautes Pochen an ihrer Tür zu vernehmen ist. Könnte es sein? Ward ein Tempelwächter dort, der -ihn- ankündigte. Die hochgewachsene Frau erhob sich, blinzelte wider der schwach auftretenden Wirkung des Giftes. Verschloss das Gefäß und brachte es dem nah wo es zuvor ruhte. Zögerlich strich sie über die Kleidung der Schaustellerin, hob das Kinn und bat einzutreten. Ja, es war eine Tempelwache und sie führte gar jemanden mit sich. Groß, braune Kapuze, schon will das Herz etwas schneller schlagen, will sie einen Schritt voran setzen um dann in ein bleiches, knabenhaftes Gesicht zu blicken. Ein Bote, eine Nachricht versiegelt und mit ihrem Namen darauf. Die Lippen schmälerten sich, die Augen funkelten finster „Und aus diesem Grunde wagt ihr mich noch vor dem Morgengebet zu stören?“ herrschte sie ungehalten, wohl das erste Mal überhaupt das man derartig von ihr sah. „Gebt es mir und schert euch davon!“ schon wanderte die Botschaft von einer Hand in die andere, keine Münze begleitete dies Tun. Die Tür findet ihre Angel, die Hand bricht das Siegel und die Augen fliehen über die Zeilen. Ebenfalls nicht von ihm, es galt zu Reisen, ihren Dienst zu tun.
Die Müdigkeit würde warten müssen, warten bis der Zeitpunkt der Rechte war. Vielleicht wollte ihr Herr sie auch noch nicht bemessen und ließ den Boten in diesem Augenblick an die Tore klopfen. Fragen die im Geiste der Frau stritten mit dem Wunsch alles zu vergessen, die Nebel aufzusuchen und Frieden zu finden, der ihr verwehrt bliebe.
Vorsichtig legte sie das Schreiben ab neben Feder und Pergament, dann ging sie in den Schlafbereich ihrer Kammer und begann sich umzukleiden, dabei verließen die Handschuhe ihre Hände nicht einmal, wurde einfach ein anderes Paar darüber gebracht. Die Blonde wollte selbst nicht sehen, was dort war, nicht heute, nicht morgen und vielleicht würde sie nimmer mehr einen Augenblick ohne sie sein. Gleich wie unsinnig dieser Gedanke war, er blieb zunächst bestehen. Auch als sie in gewohnt dunkler Kleidung den Raum verließ, zu den Gebeten ging und doch in Gedanken immerzu bei einem Menschen weilte. Dem Menschen, der ihr Herz mit auf die Reise nahm, der Mensch dessen Entsetzen Berge einstürzen ließ und Träume zerbrechen. Wo mochte er sein? Dachte er an sie oder lag er einer anderen bei, um sie zu vergessen. Nein, er würde es nicht tun, er würde ihr treu sein. Er musste es einfach und wenn nicht, dann bliebe immer noch der Dunkle und die Nebel.
Kommentare 1