Unter einem etwas getrübten Blick beobachtete das Meerblau Liliths die dicken Borsten sowie den Staub, welcher sich in deren Klauen verfing und das etwas zerfurchte Kastanienholz sauber hinterließ. Einen Besen zu schwingen gestaltete sich im Regelfall als einfache Tätigkeit, jedoch sang der brennende Schmerz an Schulter und Rücken laut durch den dürren Leib und zwang der jungen Schwarzhaarigen eine unfreiwillige, von Pein verzogene Grimasse auf.
Ein Teil von ihr beharrte darauf, dass eine solche Behandlung nicht rechtens war. Von Zorn geleitet wurde sie am Vortag durch die Hände ihres Erzeugers hart gegen die Kommode geschleudert. Doch die Demut gebot es ihr diese Strafe als angemessen anzusehen, immerhin war ihr des Vaters Trinkkristall aus der Hand gerutscht und vor den eigenen Füßen in kleine glänzende Mosaikteile zersprungen. Ein flüchtiger Moment der Schönheit, bis dieser von Furcht zerfressen und dem sonoren Schall einer brüllenden Stimme geschändet wurde, ehe ein brennender Schmerz durch ihre Seite und Rücken fuhr.
Das Poltern schwerer Stiefel einem grollenden, aufziehenden Unwetter gleich, kündigte unmissverständlich den Hausherren an. Hörbares einatmen der am Kaminfeuer stickende Mutter verdeutlichte, dass auch sie ihn unlängst bemerkt hatte. Stoisch brannte die in die Jahre gekommene Frau ihre jeglichen Glanzes beraubten Augen, in das tänzelnde Werk der Flammen und versteckte sich im Gedanken an ein anderes, friedlicheres Dasein, gleichwohl sie sich selbst dafür grämte so undankbar für das anständige Leben zu sein, welches er~ ihr ermöglichte.
Ächzend flog die Tür auf und sprang nahezu aus den Angeln. Er füllte beinahe den gesamten Rahmen mit seiner imposanten Erscheinung. Ein stattlicher Mann, groß gewachsen, wohlbeleibt unter wettergegerbter, brauner Haut und vom Alkohol zerfressenen, hässlichen Flecken im Gesicht. Henry Throw befand sich die meiste Zeit seines Lebens in einem verwaschenen Dämmerstzustand. Gefangen und geknechtet von den Krallen des Suffes in die Knie gezwungen, dessen Würgegriff er vor vielen Jahren anheimgefallen war und sich seitdem nie mehr daraus befreien konnte.
Lilith konnte sich kaum daran erinnern ihn je anders erlebt zu haben, jedoch fiel es umso schwerer ins Gewicht, wenn ihr Erzeuger mehr als üblich getankt hatte, was an diesem Abend überdeutlich in seine hämisch grinsende Fratze geschnitzt war. „Ich habe gute Neuigkeiten.“ Sprudelte es unter einer sichtbaren Speichelfontäne aus dem, nach Schnaps und Wein stinkenden Mund des Bauers. „Jemand wird dich heiraten und nicht irgendwer.“ Lächelte Henry aus glänzenden, schmalen Lippen im erbärmlichen Versuch noch weitere künstliche Spannung aufzubauen. „Mein guter alter Freund Gilbert, wird dich zum Weib nehmen!“
Zeitgleich wie Lilith der Besen aus der Hand rutschte, entglitt der Mutter ebenso das Stickwerk aus den zitternden Fingern. Erschrocken jedoch unfähig sich zu artikulieren, kroch das ängstliche Blau zwischen ihren Eltern hin und her und die Bitte zu intervenieren stand dem Mädchen überdeutlich ins Gesicht geschrieben. Langsam erhob sich Mina Throw aus dem kleinen Schaukelstuhl, strich die Falten ihres Rockes glatt und kleidete das gealterte Antlitz in ein demütiges Lächeln. „Aber, er ist doch mehr als doppelt so alt?!“
„Er hat seine Frau umgebracht!“ Zischte Lilith schließlich kleinlaut, sank in die Hocke und griff den Besen. Gleichwohl der Gedanke mehr als lächerlich erschien war ihr wohler zu Mute dieses Stück Holz in ihren Händen zu wissen um welches sie ihre schlanken Finger so stark schloss, dass sich die Knöchel weiß abzeichneten. „Ach was!“ Donnerte der sonore Bariton des Hausherren absolut einnehmend durch die gesamte Hütte. „Sie ist die Treppe hinuntergestürzt. Er wurde von jedem Vorwurf freigesprochen und außerdem ist er mein Freund. Er wird dir ein guter Ehemann sein, dich züchtigen, beschützen und führen. Und du wirst ihm Kinder gebären. Und jetzt gib deinem alten Vater ein Kuss. Und schenk mir etwas Wein ein. Immerhin gilt es diese erfreuliche Wendung gebührend zu feiern.“
Der pure Horror spiegelte sich im Konterfei des jungen Mädchens. Sie kannte diesen Mann, sowie dessen Hang zur Gewalt. Völlig fassungslos krochen ihre leuchtenden Saphire über das Antlitz der eigenen Mutter. Deren Schweigen war schlimmer als jedes gesprochene Wort es je sein konnte. Sie ließ es einfach geschehen, wohlwissend welches Dasein ihr eine solche Liaison bereitete. Zügellose Wut manifestierte sich in den jungen unverbrauchten Zügen des Mädchens und überschatte die pure Angst, welche sie ihm eisernen Griff hielt.
„Na mach schon! Ich hab Durst!“