Katzenaugen (Teil 3)

Anfänglich hörte es sich überaus verlockend und vielversprechend an. Eine Flucht querfeldein, der Wind im Rücken und die lächelnden Strahlen einer aufgedunsenen und dick am Horizont prangenden Sonne auf Haut und Haar, fühlte das junge Mädchen eine Bestätigung für das waghalsige Vorhaben.


Jetzt einige Stunden später, gefangen im tristen Dickicht einer wolkenverhangenen Realität, den peitschenden Schlägen eiskalter Regentropfen ausgesetzt, sowie das Kleid nass, wie eine zweite Haut eng an den Körper festgeklebt und jeglicher Euphorie beraubt, kristallisierte es sich als das heraus was es schlussendlich, nüchtern betrachtet war: Der letzte, verzweifelte Ausweg.


Viel trug Lilith nicht bei sich. Wenige Münzen geklaut aus der Truhe ihres Vaters, einen Beutel mit Obst, etwas Brot und dem wenigen Stoff an ihrem zitternden, dürren Leib. Eine störrische Wurzel brachte sie zu Fall und schlug einen scharfkantigen Stein gegen die indessen blutende und schmerzende Kniescheibe. Umkehren? Aufgeben? Niemals! Es gab keine Alternative, jedoch erwies sich der Plan des Mädchens nicht wirklich ausgereift und reichte kaum weiter als: Weglaufen, in Richtung Löwenstein.


Indessen wusste Lilith schon lange nicht mehr, wo genau sie sich befand, ob der Kurs stimmte und wie sie jetzt, wo ihr Proviant zur Neige gegangen war, an Essen oder eine trockene Unterkunft kommen sollte. Die langen Beine an den Körper gezogen sowie ihre schlanken Arme darum geschlungen, suchte sie unter einem kleinen hölzernen Vorsprung Schutz und grämte sich für das Geklapper ihrer Zähne, ehe die sonore Stimme eines älteren Mannes ihre Aufmerksamkeit erkämpfte.


Er schien nett, fürsorglich unter einem alterslosen Gesicht, weißem Haar und buschigen Augenbrauen. Lilith verschenkte ihr Vertrauen überaus großzügig, immerhin bot der Mann dem Mädchen nicht nur ein Dach über den Kopf, sondern eine warme Suppe und ein komfortables Bett für die angebrochene Nacht. Es gab keinen Grund eine solch selbstlose Geste auszuschlagen und so bedankte sich die junge Frau überschwänglich, ehe sie ihre jungen Reize in das warmen Laken wickelte, die Kerze auspustete und sich dem Schlaf hingab um von einem neuen, besseren Leben zu träumen.


„Und sie ist sicher unberührt?“ Vergewisserte sich der bullige Kerl mit dem rundlichen Gesicht. „Oh ja. Und sie duftet nach Jasmin.“ Lautete die süffisante Antwort, während der Weißhaarige gierig durch den kleinen Stapel Münzen zählte und schließlich zufrieden schnalzte. „Gut. Sie gehört ganz dir für diese Nacht. Aber ich will kein Blut in meinen Laken und du wirst sie nicht aus Versehen töten. Soweit klar?!“


Von lüsterner Vorfreude getrieben, reichte es für den Kunden nur mehr für ein hektisches Kopfnicken. Er hatte für die Ware bezahlt und wollte nun endlich von ihrem süßen, jungen Fleisch kosten. Langsam unter sanftem Quietschen, drückte er die Türklinke nach unten und verschwand in der Dunkelheit des Schlafgemachs.