Herzlichen Glückwunsch, Vorstreiterin!

„Meinen Glückwunsch, Lady von Driftmark“


Mit einem leicht irritierten, aber dennoch höflichem, „Danke“, nahm sie die eben erworbenen Backwaren von ihrem Stammbäcker an sich. Nach ihrem Gärtner und ihrer Haushälterin war das nun schon die dritte Person, die sie für irgendetwas ihr Unbekanntem beglückwünschte. Wo sie zu Beginn noch an einen Irrtum ihrer Angestellten geglaubt hatte, begann die Sache nun langsam mysteriös zu werden.

‚Habe ich etwas vergessen?‘


Nachdenklich engte sie den Augen, ging gedanklich alle Möglichkeiten durch und kam nur zu dem Schluss, dass sie – Riona von Driftmark – wie immer, nichts vergessen hatte. Das Gedächtnis war etwas, auf das sie besonders Stolz war, wenngleich sie sich sonst demütiger Bescheidenheit bediente, gestand sie sich diesen Anflug von Stolz auf eine lang geschulte Fähigkeit durchaus zu. Zufrieden mit sich selbst, überquerte sie den Marktplatz ohne einen weiteren Zwischenstopp vorzunehmen und erreicht nur wenige Minuten später das Hauptquartier der Glänzenden Klinge.


Pünktlich wie ein Uhrwerk durchquerte sie die Tür zu ihrem Arbeitsplatz und beschleunigte die Schritte etwas. Es gab viel zu Tun und die Arbeit schien vor allem in den letzten Tagen mehr anstelle weniger zu werden. Informationen wurden aufgenommen, angesammelt, direkt verwertet oder verworfen. Beileibe nicht alles Kopfarbeit. Gleichgesinnte passierten sie, wobei sich einige vollkommen normal verhielten, wiederum andere sie aus einem ihr noch immer unklaren Grund anlächelten, bestätigend zunickten und sich allgemein so verhielten, als hätte sie in irgendeiner Form etwas großartiges geleistet.


Seltsam. Habe ich vielleicht doch … Nein, nein… ausgeschlossen‘


Die Welt spielte verrückt, nicht sie. Ausgeschlossen. Mit einem Ruck öffnete sie die Tür zu ihrem Büro, bereit endlich an die Arbeit zu gehen, Gedanken zu verbannen, die nur sie selbst betrafen. Ein erster Blick traf das Bild des Hou – Ou, welches seit einer guten Woche nicht nur einen äußerst dekorativen Aspekt in dem Raum erfüllte. Friede. Grüßend und mit einem sanften Lächeln verneigte sie sich vor dem Bildnis, welches natürlich keine Antwort gab. Der Gruß war Teil eines Rituales, welchem sie seit kurzen frönte - nicht mehr und nicht weniger. Der zweite Blick ihres Kontrollganges auf den knapp 20 Quadratmetern ihres Wirkungsbereiches galt der Minikakteen Sammlung, die sich leider seit gestern etwas verkleinert hatte. Einer hatte es nicht geschafft. Zu schwach. Immerhin: Diejenige, die nun noch da waren, wiesen eine gewisse Ausdauer und Stoik auf. Echte Krieger.


Stolz hob die Canthanerin das Kinn an und nahm die kleine Messingkanne zur Hand, um ihren ‚Kriegern‘ noch einen Schluck Wasser zu kredenzen, auch wenn die Erde noch von gestern angemessene Feuchtigkeit aufwies. Viel half viel. Zumindest wenn klar war, dass Zeiten der Entbehrungen nahten.


Nur noch vier Tage, dann hatte sie endlich für immerhin fünf Tage frei. Fünf Tage, in denen sie sich mit Kunst beschäftigen wollte, mit ihrem Geist, vielleicht ein paar Gedichten und unendlich viel Entspannung, die sie wirklich nötig hatte. Bis dahin jedoch galt es noch viel vorzuarbeiten, damit die Kollegen in ihrer Abwesenheit nicht in der Schwebe hingen.


Die aktuelle Tageszeitung lag wie immer auf ihrem Schreibtisch. Unangetastet, druckfrisch – ganz so wie sie es mochte. Auch ihre Teekanne mit Jasmintee, die sie nach der Erhebung zur Vorstreiterin einst mitgebracht hatte, inklusive der dazu passenden, zeitlosen Teetasse, waren bereits in Position gebracht und luden zu einem ruhigen Frühstück ein.


Ein Klopfen zerriss die Ruhe in ihrem Raum und veranlasste die Canthanerin sich schnell auf den Stuhl hinter ihrem Schreibtisch nieder zu lassen, um zumindest das Gefühl von Fleiß entstehen zu lassen. Wächter Hoffmeyer trat nach einer kurzen, verbalen Bestätigung ein.


„Einen guten Morgen, Vorstreiterin von Driftmark. Meinen Glückwunsch.“ Absolut steif trat der schwer Gerüstete heran und zog hinter dem Rücken ein verpacktes Präsent hervor, welches er mit gehörigem Respekt und Sicherheitsabstand auf dem Tisch abstellte. In vollkommenem Ernst wich er wieder zurück, nur um der verdutzen Riona weiter zu verkünden: „Ich würde gerne mit euch den heutigen Tagesplan durchsprechen“


Das rechteckige Päckchen, verpackt in den Farben der Klinge starrte sie an, warf Fragen auf, welche nur in ihren Gedanken echte Form annahmen, aber sich nicht verbalisierten. Der Wurm der Neugier nagte an ihr, wollte, dass sie die Gelegenheit beim Schopfe ergriff und das tat, was jeder andere normale Mensch in dieser Situation auch machen würde: Nachfragen. Aber das war leider nicht möglich.


„Vielen Dank, Wächter Hoffmeyer. Auch für das Geschenk. Ich weiß die Geste wirklich zu schätzen.“


Mit einem Schwung der Rechten deutete sie auf den Stuhl vor dem aus Mahagoni bestehenden Schreibtisch.


Einige Stunden später, nachdem das Gespräch mit dem Wächter schon längst erledigt war, wurde es Zeit noch ernstere Punkte abzuarbeiten. Das Verhör, welches nun schon ungefähr eine gute Woche dauerte mit Ganes, wartete. Noch immer überraschte es sie, mit wie vielen Informationen der Bursche aufwarten konnte und mit welch unglaublicher Bereitschaft er erzählte und erzählte und erzählte. Gerade so, als würde sein Leben daran hängen. Ein Gedanke, der nicht ganz falsch war.
Trotz der Thematik musste sie leicht vor sich hin schmunzeln.Sie mochte Wortwitze.


‚Manche Menschen merken erst, was sie falsch gemacht haben, wenn ihr Leben bedroht ist‘


Noch immer konnte sie nicht ausschließen, dass auch Ganes bald, ähnlich wie Bricks hingerichtet werden würde, auch wenn er es wirklich schaffte Mitleid zu erwecken und sie nicht den Eindruck hatte, dass sein Verhalten nur geschauspielert war. Diese Empfindung würde letzten Endes dennoch nichts an dem möglichen Urteil ändern. Fakt war, dass der Mann nie wieder das Licht der Sonne sehen würde, außer durch Gitterstäbe. Vielleicht.


Sie hielt sofort inne, als sie die Zelle sah, in welcher sie normalerweise die Vernehmung des mageren Burschen vornahm und blinzelte mehrfach, vollkommen aus dem Konzept gebracht. Beinbrech stand breit grinsend da, was seiner Visage etwas wirklich psychopathisches verlieh, vor allem, weil er einen Napfkuchen mit Schokoglasur vor sich hielt, auf den in großen, rosanen Lettern ‚Alles Gute‘ stand. Der Tisch war gedeckt, mit dem besten Geschirr und sogar ein paar Blumen die dekorativen Charakter besaßen, hatte der missgestaltete Kerkermeister erworben und liebevoll dazu gelegt. Ganes wirkte neben Tisch und Beinbrech etwas verloren, sehr verwirrt, als würde er selbst gar nichts verstehen.


Sie straffte die Haltung nach und marschierte mit striktem Schritt weiter in Richtung der Zelle. Um Seriosität bemüht, hob sie den Kopf an und betrachtete beide Schweigend, ja fast schon etwas strafend, was Beinbrech nicht davon abhielt, ihr mit ehrfürchtiger Geste das Tablett entgegen zu halten. Mit dem Ellebogen stupfte er Ganes an, der äußerst verwirrt ein ‚Herzlichen Glückwunsch‘ nuschelte und alles in allem weiterhin enorm verloren wirkte.


„Danke, Wächter Beinbrech – Danke Mister Ganes. Auch wenn ich den Ort durchaus als unangebracht empfinde, so nehme ich den Kuchen an. Im übrigen, Beinbrech…“ sie räusperte sich kurz und hob den Blick streng in Richtung des dicken Hünen ohne ihre Professionalität im Angesicht dieser absurden Situation zu verlieren. „… Gefangene werden nicht zu solchen Zwecken missbraucht. Ein Blinder sieht doch, dass es dem Burschen unangenehm ist.“ „Ähhhh… mhrrrm…“ Beinbrech schielte kurz zu seiner Seite, um den Insassen knapp zu bemustern. „ Ich dachte nur…“


Bevor er den Satz vollenden konnte, unterbrach sie den begonnenen Satz mit einer wegwischenden Geste. Riona wollte die Erklärung nicht hören, sicherlich auch, weil sie mittlerweile einfach nur genervt war von den Geschenken, den Glückwünschen, der Feierlichkeit, von der sie selbst nichts wusste.


„Schon gut. Schneidet ihm ein Stück Kuchen ab und dann bezieht eure Position.“ „Jawohl, Vorstreiterin von Driftmark.“


Auch Ganes musste merken, dass ihre Laune heute trotz aller Bemühungen es geheim zu halten, deutlich schlechter war als sonst. Dennoch erzählte er, wie immer, aß seinen Kuchen und nach nur zwei Stunden intensiver Debatten entließ sie ihn vorerst wieder. Besuch hatte sich angekündigt, den sie nicht warten lassen konnte.


Erst spät am Abend und etlichen Glückwünschen und Präsenten später, setzte sie wieder einen Fuß hinaus auf die nun schon wieder dunkel gewordenen Straße der Stadt, die sie ihre Heimat nannte. Mit geschlossenen Augen sog sie die Nachtluft tief in ihre Lungen ein und warf nur einen kurzen Blick zurück gen der wieder geschlossenen Tür.


‚Das, meine Liebe – war der mit Abstand anstrengendste Tag in deinem gesamten Leben‘


Prüfend wog sie den Beutel an den Henkeln in der Hand und konnte wieder nur den Kopf schütteln. Sie hatte es nicht geschafft den Tag über das Mysterium zu lösen, weil ständig irgendjemand etwas von ihr wollte. Nicht einmal zum Lesen der Zeitung war Zeit vorhanden gewesen, ein Umstand, der sie sogar enorm störte. Riona fühlte sich uninformiert, ja sogar richtiggehend dumm.


Mit einem seufzen und der Last in ihrer Hand lief sie nach Hause, froh darüber, endlich Ruhe genießen zu dürfen, die Anonymität von Götterfels, auch wenn sie natürlich klar als Klinge zu identifizieren war dank der unverkennbaren Kleidung. Als sie endlich die Tür zu ihrem kleinen Haus am Rande des Salma Viertels öffnete, beschlich sie das unverkennbare Gefühl, dass es noch nicht vorbei war.


Sayko, ihre Haushälterin kniete mit gesenktem Kopf auf dem Boden, während der süßliche Duft von Räucherstäbchen Riona fast die Sinne nahm. Nur langsam schob sie die Tür zu und sah eine Weile unschlüssig auf die wesentlich ältere Canthanerin herab.


„Sayko, was ist hier geschehen?“


Die Dienerin hob den Kopf und betrachtete Riona prüfend, gerade so, als hätte sie sich verhört, oder wäre in irgendeiner anderen Art und Weise erstaunt über das Verhalten ihrer jungen Herrin.


„Wir bereiten alles für eure Eheschließung vor, edle Dame. Ich habe die Geschenke in euer Musikzimmer bringen lassen und bereits erste Glücksräucherungen vornehmen lassen. Ich gehe doch davon aus, dass dieses Haus weiterhin bewohnt wird?“ Forschend engte Riona die Augen. Sie war sich sicher gewesen, dass außer Richard, ihrem geliebten Bruder, ihrem Vater und natürlich Benji, niemand von der Verlobung wusste.


„Woher hast du diese Information, Sayko?“„Aus der Zeitung, Ehrenwerte.“


Aus der Zeitung. Die Worte wiederholten sich in ihrem Kopf mehrfach und erzeugten eine Mischung aus Freude, Belustigung, Sorge und tiefer Peinlichkeit. Es entsprach nicht ihrer bescheidenen Seele ein solches Ereignis kund zu tun und in die Welt hinaus zu schreien, als würde man sein Herz auf der Zunge tragen.


‚Bei den Göttern, Benji‘


Mit langsamen Schritten ging sie auf ihr geliebtes Zimmer zu, jenen Raum im Haus, den sie am meisten wertschätzte und in dem sie auch am meisten Zeit verbrachte. Langsam kniete sie sich nach dem Wechsel der Schuhe davor ab und legte die Hände an das warme, helle Holz. Eigentlich wollte sie gar nicht sehen, welche Veränderungen vorgenommen wurden. Welches Chaos sich in ihrem Heiligtum eröffnen würde. Ein leises ‚sssssshhhhh‘ erklang, als sie doch die Tür aufschob und nach einem weiteren, tiefen Atemzug eintrat.


Sayko hatte sich die Mühe gemacht die großen, aber auch kleineren Präsente, all die Kärtchen und Briefe in der Nähe ihres Kotos zu drapieren, um der Herrin des Hauses ihre Wichtigkeit für sich und andere zu demonstrieren. Vielleicht hätte es ihr sogar gefallen, wenn Riona die Möglichkeit gehabt hätte, sich auf das alles vorbereiten zu können. Nur langsam trat sie näher heran an die Gaben und überflog sie knapp. Einige Namen, die sie las, versetzten ihr ein eher angewidertes frösteln, manche kannte sie noch nicht einmal, oder nur sehr flüchtig.Die hohe Gesellschaft in Götterfels hatte noch nie ihr Interesse geweckt. Sie hielt die meisten für zu Einfältig, zu verblendet und zu Genusssüchtig um ihnen überhaupt eine echte Chance einräumen zu wollen sich mit ihr anzufreunden.


Vor allem ins Auge fiel ein Blumengesteck, bestehend aus roten und weißen Rosen. Zwei Herzen, ineinander übergreifend, versehen mit jeweils einer kunstfertigen Schleife. Aber diese Farben...In gewisser Weise sicherlich schön, kunstfertig, aber gleichzeitig auch ungemein kitschig, in den Augen der Vorstreiterin. Nichts, was sie sonderlich lange aufheben würde – wenigstens hatten Rosen bei ihr nachgewiesenermaßen überhaupt keine lange Haltbarkeitsdauer.


Die Farbkombination störte sie mit jeder vergehenden Sekunde mehr und mehr. Rot und Weiß. Die Farben des Feindes. Die Farben des Mantels. Nein – sie konnte dieses Gesteck hier nicht länger dulden. Es störte die Ruhe, lenkte ihre Gedanken auf ein Thema, auf ihre Arbeit, wo sie doch eigentlich die Zeit in ihrem Heim zum ausgleich nutzen sollte.


Mit einem gezielten Griff hob sie es an und fummelte etwas umständlich aufgrund der Größe der Herzen nach der angehefteten, ebenso in rot und weiß gehaltenen Karte. Die fein säuberliche Schrift, egozentrisch geschwungen, als wäre der Mensch nur an Eitelkeit gefangen, warnte sie vor.


Glückwunsch, Vorstreiterin!


G.

"The blade is the answer to disrespect."



Wort des Jahres 2017: "Gängeln, das"
Bedeutung: Ein Vorgang bei dem Rollenspiel erwartet wird, damit auch innerhalb des Spieles eine Reaktion erfolgen kann.

Kommentare 14

  • RIP Kaktee Nr. 1 ;(

    • Du darfst ihr gerne einen Namen geben :(

    • Äh....Takeshi Hernandez? Takeshi Hernandez.

    • Okay! Takeshi Hernandez - du bist nun an einem besseren Ort. Einem Ort, an dem du nicht überwässert und überdüngt wirst. RIP

  • Die arme Frau ! Sie so zu verwirren. Tz :D Ich musste herzlich schmunzeln bei der Geschichte

  • Spoileralarm! D: Aber witzig *gg*

  • Die armen Kakteen :( Da hat echt jemand einen schwarzen Daumen XD Ansonsten herrliche Geschichte :D

  • „Aus der Zeitung, Ehrenwerte.“
    ‚Bei den Göttern, Benji‘


    Es ist so wundervoll! Ich habe eine ganze Weile lang einfach nur gegrinst und hatte so viel Freude Riona bei der Lösung dieses 'Falls' zuzusehen. xD <3


    Das Ende ist ein BÄM Moment, kommt richtig gut! Love it!