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Gewalt gegen Personen
Triumph und Niederlage
Träge lag Alisar im Stroh. Ein Stall mochte ein unüblicher Ort für eine Hochzeitsnacht sein, aber nach dem langen Tag, dem Festessen und einer rauhen Menge an Alkohol hatten Alexej und sie den Weg die drei Stockwerke hinauf ins Schlafzimmer als viel zu umständlich empfunden.
Es war ein berauschender Tag gewesen, nachdem sie Götterfels in der letzten Nacht auf Alesha's Wunsch hin verlassen hatten. In ihrer Erinnerung hatte die Sonne schon beim Erwachen an diesem Morgen goldene Strahlen auf das Land geworfen und wunderschön in den kupferblonden Locken der kleinen Lynn geglänzt in die erste Frühlingsblumen geflochten worden waren.
Sie alle waren eingeweiht. Plötzlich ergab es Sinn, dass der Iorga sie vor nicht ganz einer Woche in die Stadt geschickt hatte um dort 'nach dem Rechten zu sehen.' Er hatte das ohne sie geplant und ihr am Ende ein zweites Mal einen Ring an den Finger gesteckt ohne ihr die Möglichkeit zu geben wegzulaufen. Kluger Mann - Und trotzdem bekam er jetzt einen Tritt, der den Blonden murren ließ bevor er die Arme fester um sie schlang.
Ja, es war ein berauschender Tag gewesen, eine berauschende Nacht und jetzt lag sie hier zwischen den Pferdeboxen und konnte sich um nichts in der Welt an einen anderen Ort sehnen. Für Alisar schien die Sonne immernoch. Alles war in eine behagliche Wärme gehüllt. Sie war glücklich. Auch wenn sie sich scheute diesen Gedanken selbst zu formen, so ließ es sich unmöglich leugnen. Alisar war glücklich. Und gerade als sie begreifen musste, dass endlich alles so war, wie sie es sich immer gewünscht hatte und glaubte in dieser Nacht vor lauter stummer Euphorie kein Auge zuzutun wurde aus dem Denken ein Träumen in dem es heute keinen Platz für Dunkelheit gab...
...aber von eben dieser gab es noch genug, als irgendetwas ihre Sinne kitzelte. Ganz schwach nur, gerade genug um sie näher ans Bewusstsein driften zu lassen und zu lauschen auf... da war nichts. Die Feier hatte ein feuchtfröhliches Ende gefunden und all die Bediensteten, die für Alisar trotz allem irgendwie 'Familie' waren, hatten sich ein Platz zum Schlafen gesucht.
Es war still. Natürlich war es still. Hinter den Mauern des Anwesens fühlte sie sich sicher, aber gerade als sie wieder wegdämmern wollte wurde ihr bewusst, dass die Atemzüge des Iorgas an ihrer Seite nicht die eines friedlich Schlafenden waren. Er lauschte. Wie sie. Und seine Hand schloss sich fester um ihre Finger als aus der Richtung des schweren Eisentores ein leises, fernes Quietschen zu vernehmen war. Plötzlich war das Bellen und Knurren von Hunden zu hören. Ein gedämpfter Schrei, das Pferd in der Box neben ihr scharrte unruhig mit den Hufen und der Blonde fuhr hoch, als triebe ihn eine dunkle Ahnung aus der Schlafstatt und seine Aufmerksamkeit hinaus in den Hof. Ihre Finger noch mit seinen verschränkt kauerte Alisar neben ihm, als lauerte sie bereits auf den ersten Angreifer. Beide suchten sie den Blick des anderen, Sekunden nur in denen Worte überflüssig waren. Sekunden, in denen auch ohne jede Geste alles gesagt wurde, während sich draußen schon bald ein zweiter und ein dritter Schrei zu dem ersten gesellten und sie zur Eile trieben. Hastig griff der Iorga nach seiner Hose, während das Rabenhaar zum Scheunentor schlich um durch den Spalt nach draußen zu spähen. Unweit entfernt krachte Holz, als dort eine Tür aufgetreten wurde und sich zwei dunkle Gestalten Zutritt verschafften. Das Geräusch von Stahl auf Stahl und splitternden Knochen erfüllte den Platz, auf dem noch immer die langen Tafeln vom abendlichen Gelage standen. Es waren viele. Menschen - Männer und Frauen, die sich in der Dunkelheit als nichts anderes als bloße Schatten abzeichneten. Einer von ihnen sackte zu Boden, als die Wärme in ihrem Rücken ihr verriet, dass Alesha zu ihr aufgeschlossen hatte. Düster und ernst waren ihre Gesichter, als sie durch das Scheunentor schlüpften. Es war der Iorga, der nach der rostigen Axt am Hackblock griff, von den Fingern des Mädchens tropfte dunkles Schwarz und nahm wie von selbst die Form einer dieser widerlichen Klingen an, die sie so gern am Leib trug.
Auf der anderen Seite des Hofes wurde eines der Dienstmädchen, Ina, Alisar erkannte sie, aus ihrer Unterkunft in den Hof gezerrt und mit einem Schlag zu Boden geschickt. Am Ende war es dieser Anblick, der sie dazu brachte zu laufen. Bedächtig lauschte sie auf das leise Summen vibrierender Luft, mit dem sich ihre geschärften Sinne ankündigten und die Nacht ihre Gestalt zu Schemen verschwimmen ließ. Sie sah nicht, wie der Iorga an ihrer Seite die Zähne zusammenbiss, während die Angreifer über Bedienstete, Wächter und Freunde gleichermaßen herfielen ohne auch nur einem von ihnen die Chance zu lassen sich zu ergeben. Im Obergeschoss der Dienstbotenunterkunft splitterte ein Fenster, als Jeff, der Stallknecht hindurchflog und mit einem jäh unterbrochenen Schrei seltsam verkrümmt auf dem festgetreten Lehmboden liegen blieb. Keine Regung, kein weiteres Geräusch von ihm und der Schatten, der ihn in den Tod geschickt hatte zog sich wieder ins Innere des Hauses zurück.
Gemeinsam stürmten der Iorga und seine Frau auf die Angreifer zu als erste Befehle über den Platz gebellt wurden. Ein Versuch der Wachen sich zu sammeln, eine gemeinsame Verteidigung aufzustellen, aber sie waren versprengt und, wie sie einsehen mussten, zahlenmäßig unterlegen. Der Alkohol der Feier hatte sie schwerfällig gemacht, langsamer als sie hätten sein dürfen. Es war kein ausgewogener Kampf. Auf einen solchen hätten sich die dunklen, vermummten Gestalten vielleicht nichteinmal eingelassen. Sie hatten es geschafft die Verteidiger in kleine Einzelkämpfe zu verwickeln, so dass sie keiner geschlossenen Front entgegen traten. Genau genommen war es ein Gemetzel, ein niederschmetternder Anblick.
Das Mädchen hörte ein leises Ächzen hinter sich und spürte im gleichen Augenblick, dass ihr Mann, ihr Gefährte, nichtmehr an ihrer Seite war. Sie wirbelte herum, nur um zu sehen wie der Blonde mit seiner Axt ausholte um die beiden Männer, die auf ihn eindringen wollten, auf Distanz zu halten. Dolche hatten sie, und hässliche Hackschwerter. Es war derjenige, der gerade eine Pistole zog, dem Lynn wie ein Tier auf den Rücken sprang und noch immer auf diesem kauerte, als sie ihm die Klinge ins Genick getrieben hatte und der Kerl dumpf auf den Boden schlug und sie duckte sich noch weiter als Alesha mit dem Axtblatt den Schädel des anderen teilte, kurz bevor ein schroffer Tritt in die Seite sie zu Boden warf. Der Bolzen einer Armbrust schlug wenige Zentimeter über dem Kopf ihrer Beute, es hätte auch ihr Rücken sein können, in die trockene Erde und Alisar, im Grunde ganz in ihrem Element, griff sich die Pistole, deren Einsatz sie eben noch hatte verhindern wollen, und schoss. Alesha befreite die Axt mit einem wuchtigen Ruck und zog das Rabenhaar wieder auf die Beine. "Die Unterkunft." hörte sie ihn sagen, tonlos, rauh, doch hatte es diese Worte nicht gebraucht um ihren Blick in diese Richtung zu lenken. Die Schreie darin mehrten sich und erstarben nach und nach. Sie hörte das Weinen von Kindern, Sophie und Elias, und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, das Lynn, im Haupthaus, ein kluges Mädchen war und sich still verhielt. Alisar warf einen Blick in diese Richtung, das Haus war dunkel, dort war es still. Noch waren die Banditen hier auf dem Hof gebunden. Noch. Sie mussten schnell sein.
Beinahe gleichzeitig setzten sie sich in Bewegung, hielten auf das Nebengebäude zu. Laufend, immer in Bewegung bleibend, deckten sie unentwegt den Rücken des anderen. Darin waren sie geübt. Sie kannten die Stärken und Schwächen ihres Partners und agierten auf eine Art und Weise einheitlich, die einem unheimlich werden konnte, doch auch wenn sie die Zahlen ein wenig zu ihren Gunsten veränderten, es war nicht genug. Zusammen hielten sie auf die eingetretene Tür zu, kamen dem haus, in dem die Dienstmädchen jetzt friedlich hätten schlafen sollen immer näher, als zwei der fremden Gestalten ihnen durch diese entgegen kamen und laufend das Weite suchten. Es blieb ihnen gerade noch genug Zeit erste Skepsis aufkeimen zu lassen, als ein lautes Krachen die Nacht zerriss. Fenster splitterten klirrend, als die Druckwelle sie aus dem Rahmen sprengte und eine Stichflamme die Nacht in warmes, gelbes, zerstörerisches Licht tauchte. Als die Hitze der Explosion die beiden erreichte hielt der Blonde inne und biss die Zähne aufeinander. Er sah sich um. Der Kampf war verloren. War es vermutlich schon gewesen, als er nach der Axt gegriffen hatte, aber erst im Angesicht der Verwüstung war er bereit es zu akzeptieren. Das Feuer schlug seine Klauen allzuschnell in das kleine Häuschen, griff schon jetzt nach den Holzbalken, die das Dach trugen. Er wandte sich dem Mädchen an seiner Seite zu und bemerkte erst jetzt wie starr sie war, wie versteinert sie auf die Flammen starrte, als wäre sie selbst es, die sie beschwor. Die Waffen war ihr aus den Fingern geglitten. Beinahe wirkte es, als wäre sie weit, weit fort und der Iorga fluchte, als er sie am Oberarm griff und zu sich zog: "Lynn... LYNN!" Seine Wut war echt, auch wenn er sie nicht auf sie empfand. Er schüttelte sie, um sie aus ihrer Trance zu reißen: "Hol sie!" er sprach es in bedächtigem, nachdrücklichem Tonfall und sah beschwörend auf sie hinab, als sie endlich blinzelte und langsam zu ihm aufsah: "Hol sie." wiederholte er eindringlich. Sie brauchte den Moment um ihre Gedanken zu fixieren: "Ich halte dir den Rücken frei." seine Worte wurden sanfter zum Ende hin und gipfelten in einem Kuss, den er dem Mädchen auf den Schopf setzte, während sich im Hintergrund bereits schemenhaft Abbilder seiner Selbst aus den tanzenden Schatten lösten. Sie hätte etwas sagen sollen. Sie wusste, sie hätte etwas sagen sollen. Aber welche Worte könnten so einer Situation schon gerecht werden? Also nickte sie nur stumm und ließ ihn sich abwenden. Sie bemerkte den schwarzen Schatten kaum, der den Mann hinter ihr ansprang und ihn knurrend zu Boden riss. Von den Lefzen der Hunde tropfte Blut. Aber Alisar hatte keinen Blick dafür, als sie zurücktrat, sich umdrehte und nur wenige Schritte später mit der Dunkelheit verschmolz.
Im Haupthaus war es still und dunkel. Wieder hörte sie ein Fenster klirren, der Lärm des Kampfes drang gedämpft und doch viel zu klar selbst bis hier her. Leise und flankiert von vierbeinigen Wachen schlich sie durch die Gänge, lauschte, huschte Treppenstufen hinauf und drückte schließlich eine Klinke hinab. Sie hatte das Kinderzimmer schön eingerichtet, mehrfach sogar, bis sie zufrieden gewesen war, aber für all das hatte sie gerade keinen Blick: "Lynn?" ihre Stimme war nur ein Flüstern: "Lynn..." sie biss die Zähne zusammen und lauschte, bis ein Schluchzen sie auf die richtige Spur brachte. Als sie die Schranktür öffnete kauerte ihr kleiner Kolobri dort unten in der Ecke, im Nachthemd, die Augen weit aufgerissen und brachte das Herz der Dunkelhaarigen einmal mehr dazu einen Schlag auszusetzen: "Lis..." wisperte sie angestrengt und wehrte sich kaum, als sie von der Älteren auf die Arme gehoben wurde. Es war nichtmehr weit... Die Tür, eine Treppe und hinunter in den Keller. Sie konnte über sich die ersten Stimmen hören, unbekannte Stimmen, als sie einen verborgenen Schalter betätigte, ein Regal aufschwang und den Blick auf einen dunklen Tunnel freigab. Die Hunde gingen vor, Alisar folgte. Die Hand schon auf dem Hebel der die verborgene Tür wieder schließen würde zögerte sie. Einen Herzschlag. Zwei Herzschläge. ...dann schob sich das Regal mit leisem Scharren wieder an seinen Platz zurück und alle Eventualitäten waren für den Augenblick geklärt.
Es dauerte lange, bis sie den Weg durch Sträucher und kleine Wäldchen nach Shaemor geschafft hatte. Nur einmal hatte sie zurückgeschaut um ein Haus in Flammen zu sehen.
In Shaemor stahl sie sich eine schlichte Decke von einer Wäscheleine und wickelte sich und das Mädchen darin ein.
Die Wachen am iorgaschen Anwesen brauchten zwei Blicke um sie zu erkennen und sie, ihre kleine Last und die Hunde einzulassen.
Vito, dem man nachsagte nicht der hellste Kopf zu sein, war nicht dumm genug einen Spruch zu reißen. Er war nicht dumm genug zu fragen, warum ihre völlig zerrupfte Frisur mit Stroh, Glassplittern und kostbaren weißen Perlen geschmückt war. Er informierte die Familie, alle die da waren um zu hören, dass etwas geschehen war. Und dann suchte er nach der Flasche mit dem hochprozentigsten Inhalt, den er finden könnte.
Später in dieser Nacht, viel viel später, saß Alisar auf einem Stuhl in Alesha's Zimmer, und starrte auf das schlafende Bündel Mädchen, dass dort im Bett lag. Ohne so recht zu wissen, was sie fühlen sollte drehte sie den Ring wieder und wieder und lächelte auf seltsam starre Art und Weise liebevoll. Er war noch nicht hier. Und zum ersten Mal in den letzten Jahren, ...ja zum ersten Mal, seit sie Lynn das erste Mal auf dem Arm gehalten hatte, kam ihr der Gedanke, dass sie ihre Prioritäten in dieser Nacht vielleicht falsch gesetzt hatte.
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