Auge um Auge

Es war tiefste Nacht, absolute Flaute. Das Schiff von Captain Wieselbart, die Fila Luisa, stand regungslos im Hafen von Löwenstein und wartete auf den Wind. Auf Deck herrschte dennoch rege Beschäftigung. Schiffsjungen trugen Kisten an ihren Bestimmungsort, der Proviantmeister überprüfte ein weiteres mal die vorhandenen Nahrungsmittel und auch die restliche Crew ging ihrer Arbeit nach. Die Stimmung war nicht sonderlich gut, hassten es doch die meißten, das der Captain es vorzug im Schutze der Dunkelheit den Anker zu lichten. Zwei Segelflicker, die aufgrund des tadelosen Zustandes der Tücher nichts weiter zu tun hatten, waren in ein hitziges Gespräch vertieft.

"Der Captain bringt uns mit seiner Vorliebe für die späte Stunde noch in's Grab! Weißt'e noch, wie knapp wir dem Tod das letzte ma' von der Klinge gesprungen sind!?" sprach einer der Beiden, voller Zorn und seiner Frage durch das Treten eines Fasses nachdruck verleihend. "Ich hab Frau und Kinder verflucht!" warf er noch hinterher woraufhin der andere nur mit dem Kopf schüttelte. "Ich versteh dich ja, aber Befehle sind nu'ma Befehle. Wenn's dir nich' passt, such dir'n anderes Schiff." war seine Antwort darauf, welche die Unterhaltung zu einem abrupten Ende führte. Resigniert ließ sich der gescholtene auf den Boden sinken und lehnte seinen Kopf an die Reling.



Ungefähr zur selben Zeit entzündete jemand einige Kerzen in der Kajüte des Captains. Durch ein kleines, vierteiliges Fenster drang das Licht nach aussen und zog sogleich die Aufmerksamkeit einiger Bootsmänner auf sich die aufgeregt damit begannen das Deck zu schrubben. Im inneren warf Erium die verwendeten Streichhölzer in eine kleine Schale mit Wasser und setzt sich auf die Kante des großen, unförmigen Massivholztisches. Ihre Augen waren auf die Hände des Captains gerichtet, deren Daumen sich gegenseitig umkreisten. "Hätt'n die Abfahrt auch auf Morgen Mittag verschieben können.." merkte sie an, bevor sie nach ihrem Glas mit Reiswein griff und einen Schluck trank. Wieselbart seufzte, sein Gesichtsausdruck verriet bereits was er darauf sagen würde. "Jedesmal das selbe.. Wie oft muss ich eigentlich noch sagen, das ich mit derart wertvoller Fracht nicht am Tage lossegle? Ich werd' mich sicher nicht zum gespött der Stadt machen, in dem ich mich von Piraten entern lasse!" argumentierte er in scharfem Ton und trank dann seiner seits aus einem Humpen mit Rum. "Dann macht ihr euch lieber zum gespött der Männer hm?" konterte Erium ebenso scharf, den Captain mit abschätzendem Blick anstarrend. "War euch Eine Meuterei nicht genug? Letztes mal konnte ich euren Arsch noch retten. Nächstes mal klappt's vielleicht nicht." erinnerte sie ihn, wenngleich sie keine ernsthafte Antwort erwartete. "Mäuschen.. Die Männer haben ihre Lektion gelernt. Nach deinem Auftritt." Er lachte. "Der Kopf von dem einen ist direkt von Board geflogen!" tönte Wieselbart lauthals und viel dabei beinahe von seinem Stuhl. Erium ächzte, schließlich schien er erneut eine Situation zu unterschätzen. "Wir werden sehen.." waren ihre letzten Worte an den Captain, ehe sie genervt aufstand, zur Türe ging und diese laut knallend hinter ihr zufallen ließ. Einer der schrubbenden Bootsmänner unterbrach seine Arbeit und starrte sie mit großen Augen an. Einige Sekunden vergingen dann hob sie eine Augenbraue. Dies reichte aus um ihm gleich wieder Beine zu machen und sie ging fluchend unter Deck.



Die Stunden vergingen, Wind war aufgekommen und so ritt die Fila Luisa nun schon eine Weile geschmeidig über die See. Erium lag auf ihrem Bett und wurde wie der Großteil der Crew von Müdigkeit übermannt. Sie schlief nicht, doch ihre Augen waren geschlossen und ihre Gedanken bei dem aufdringlichen, aber irgendwie süßen Typen von neulich Abend. Plötzlich rumpelte es! Sie erschrak und richtete sich schlagartig auf. "Das kam aus der Kajüte des Captains!" platzte es aus ihr raus als müsse sie es sich selbst bewusst machen. Sie sprang aus den Federn, keine Zeit für Schuhe. Barfuß. Sie griff nach ihrem Gewehr und rannte an den verdutzten Gesichtern der Manschaft vorbei bis an Deck.



Am Ort des Geschehens hatte sich eine Meute versammelt. Sie schauten erwartungsvoll auf die Türe zur Kammer des Captains, als Erium sich ihren Weg zu dieser bahnte und mit schmalen Augen den Wachposten musterte. "Lass mich durch." wies sie ihn an doch der Hüne regte sich nicht. Einen Augenblick schwiegen sie sich an, dann wollte er seinen Mund öffnen. Ein Fehler. Da für Diskusionen keine Zeit war, zog sie ihre Waffe und rammte ihm den Kolben an die Schläfe. Blutend fiel der Mann zu Boden und obwohl er es versuchte, war er nicht mehr in der Lage sich aufzurichten. Kurz wandte sie sich um, betrachtete die anderen doch keiner rührte auch nur einen Finger. Sie öffnete die Türe und trat ein.



"Hilfee~" stammelte der neben seinem Tisch auf dem Bauch liegende Wieselbart. Sie rannte so gleich zu ihm, wollte ihm aufhelfen doch da sah sie die rote Lache. Ein Messer, tief in seine Brust gerammt. "Vollidiot!" schrie sie ihn an. "Ich hab' dich gewarnt!" Doch wo war der Täter? Gerade als sie sich umsehen wollte, sprang dieser aus dem toten Winkel und legte ihr einen Strick um den Hals. Er zog, immer fester. Erium windete sich, versuchte ihn abzuschüteln doch zunächst gelang es ihr nicht. Als sie langsam ihr Bewusstsein zu verlieren schien, sammelte sie noch einmal alle Kraft und trat ihm mit aller Wucht ins Gemächt. "Gnaaargh~" Der Mann fiel auf die Knie, krümmte sich vor Schmerzen und gab ihr so einen Moment um Luft zu holen. "Du bist der größte Haufen Scheiße, dem ich in meinem Leben je begegnet bin!" krächzte sie mit gebrochener Stimme. Sie fand wieder ihre Fassung und warf noch einmal einen Blick auf den inzwischen verstorbenen Kapitän. Nun hatte sie ihre Grenze erreicht. Ihr Blut kochte und in einem Anfall von Aggression vergaß sie für eine Sekunde, das der Angreifer noch immer im Raum war! Dieser nutzte seine Chance. Als Erium sich ihm wieder zu wenden wollte, griff er nach einem kurzen Brieföffner und stieß ihn in ihr linkes Auge. Sie kreischte vor Schmerz! Das Blut rann ihre Wange hinab und fiel wie ein warmer Sommerregen zu Boden. Sie riss ihren Kopf wahllos hin und her, die Wunde brannte und schien sie von innen zu zerfressen doch wie in Raserei verfallen, umklammerte sie den Griff der Klinge, zog ihn unter schmerzverzertem Geschrei raus und warf ihn bei Seite. Der Mann, gerade noch lachend verlor jegliche Mimik. Er stotterte zusammenhangslose Wörter, versuchte Erium zu beschwichtigen doch sie hörte ihn nicht. Sie nahm nichts mehr wahr. Hörte nichts, sah nichts und es war ihr auch vollkommen egal. Sie nahm ihr Gewehr und zog den Abzug.



Genau durch sein linkes Auge..



Der Schuss ließ die tosende Meute vor der Türe in stillschweigen verfallen. Langsam, knarzend ging sie auf. Erium trat aus, das Gewehr unter ihrem Arm, den Verräter hinter sich herschleifend und mit Blutverschmiertem Gesicht. Sie konnte ihren Kopf nicht mehr hoch halten, doch lebte. Sie ließ den Täter wie geschossenes Wild auf das Deck fallen und ging, gefolgt von zich ungläubigen Augenpaaren einige Stufen hinab, bis sie letztendlich doch unter dem Blutverlust und den Schmerzen zusammenbrach und die Treppe herunter stürzte.

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