(Plotauftakt)
Die Nacht ist tiefschwarz und draußen, außerhalb des Zufluchtsfelsens tobt der Schnee gemeinsam mit einem scharfen, unbändigen Wind. Die Naturgeister fordern die Norn in dieser Nacht heraus und stellen sie auf eine Probe.
Drinnen in dem einfachen Zelt flackert die Flamme der Öllampe unter dem Glas nervös hin und her. Sie beleuchtet das Innere des Zeltes nur spärlich und wirft doch abstruse Schatten an die Zeltwand, die wild umher tanzen und sich winden. In diesem Dämmerlicht sitzt der schwarze Norn mit den weißen Hautbildern auf einem, mit Fell bespannten, Hocker und hat das Kinn auf seine gefalteten Finger gebettet. Die Stirn liegt in tiefen Falten und der Blick aus dem verbliebenen dunkelbraunen Auge ruht gebannt auf der Flamme. Regungslos sitzt er da, nur die langsamen und tiefen Atemzüge heben und senken den Oberkörper stetig. Die Schatten, die die Flamme auf sein Gesicht wirft verleihen der ohnehin beeindruckenden Gestalt noch mehr Größe und Tiefe. Nach einer ganzen Weile brummt der Schamane tief , ehe er sich aufrichtet und eine Hand anhebt. Sie zeichnet ein halbkreisförmiges Zeichen in die Luft, welches dann mit drei Fingern durchstochen wird. Einen Augenblick später entstehen wie aus dem Nichts neblig-graue Bilder, die sich um das Windlicht ranken und das Licht der Flamme scheinbar schlucken. Er kennt die Bilder, die sich vor ihm im Nebel manifestieren und bald so präsent sind, als wären es graue, sich bewegende Zeichnungen. Er hat sie geträumt und lässt sie abermals vor sich erscheinen, um endlich die Bedeutung zu ergründen.
Der Schnee rieselt in leichten Flocken hinunter auf das grelle Weiß und bleibt dort bei weiteren Eiskristallen liegen. Es glitzert und glänzt ganz wunderbar. Die Bilder führen ihn durch den Schnee, bis hin zu einem großen See. Es ist ein gewaltiger See, der sich vor ihm erstreckt und doch geht er weiter, einen kleinen zugefrorenen Bachlauf hinunter, wo ihm eine neblige Gestalt gegenüber steht. Das Gesicht ist nicht zu erkennen, die Gestalt nur mehr ein waberndes flirren in der Luft. Die Stimme, die spricht kennt er, wenn sie auch etwas blechern klingt und ein leichtes Echo besitzt. Diese wird von den Bildern, die er selbst erzeugt jedoch nicht wiedergegeben. Aber er hört sie in seinem Geiste, als würde die Quelle direkt neben ihm stehen.
„Schwarzbär… Schwarzbär! Sie sind hier. Sie nehmen das Gleichgewicht! Schwarzbär, beeile dich!“ Die Gestalt wabert einmal um ihn herum und schwebt dann letztlich direkt vor seinem Gesicht, wobei das der Gestalt nach wie vor nicht richtig erkennbar ist. „Ihr müsst kommen! Ihr müsst es zerstören! Beeilt euch, sie kommen!“ Damit platzt die Nebelgestalt vor ihm und die Bilder lösen sich in Schwaden auf.
Schier zornig schlägt er seine Hand durch die grauen Nebelfäden und zerteilt sie somit, bis sie sich in Splitter brechen und zerplatzen. Etwas grollender brummt er auf und erhebt sich von seinem Hocker, worauf er sich mit der Hand über eine der rasierten Schädelhälften streicht. Einige Bahnen läuft er in dem Zelt auf und ab, geht die Bilder abermals in seinem Kopf durch. Schließlich greift er sich seinen Überwurf und den Stab, welcher leise klimpert, als die Trophäen aneinander schlagen. Knochen, Zähne, Federn und kleinere Tierschädel kleppern aneinander. Schneller noch, als der schwarze Norn die Flamme des Windlichtes löscht und sich rasch aus dem Zelt bewegt. Die Naturgeister fürchtet er nicht, denn die Große Bärin hat ihn gesegnet. Und so macht er sich auf die Suche nach dem weißen Schamanen Wolfs.
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