Das ratternde, leise Geräusch einer betagten Feder klang in seinen Ohren. Das Klicken des einrastenden Hahnes. Die Finger lagen um eine abgewetzte Schnitzerei aus Walknochen, eingelassen in den Griff der Pistole. Ein Oval, das beidseitig ein in sich verwundenes Krait-Weibchen zeigte, gerahmt von Korallen, die toten Bäumen ähnelten. Der Griff fühlte sich warm und glatt an. Angenehm. Lange Zeit hielten fremde Hände eine Waffe, die für Münzen und Gefallen den Besitzer wechselte. Jetzt musste sie sich an einen neuen Schützen gewöhnen, der bedachter zielte, als der Löwensteiner Haudegen, dessen Hüfte sie ein Jahrzehnt zierte. Gewissenhaft und im Angesicht des Feindes mit zitternder Hand. Der Mann der sie ihm verkaufte, nannte die Pistole Lucinda. Eine Kugel. Ein Ziel. Einer gegen einen. Keine Hafendirne verdiente es, dass man eine Waffe nach ihr benannte. Erst recht keine Frau mit Klasse oder Charakter. Mit einer Pistole tötete man, stahl das Wertvollste diesseits der Nebel und somit machte dieser Fremde eine Lucinda, der er gedenken wollte zur Mörderin. Nein, der neue Besitzer verstand es nicht, nannte das Werkzeug beim Namen, den sein Erfinder ihm gab. Die toten Augen sahen dem Schützen entgegen und verhöhnten ihn in seinem eigenen Empfinden mit einem unbeeindruckten, reglosen Blick. Kein Blinzeln. Schönster Sonnenschein. Ein Tag, der den Wunsch zu sterben in weite ferne jagte. Vögel sangen und die Segel der Mühle knarrten in der angenehmen Brise unablässig im monotonen Takt. Musik für die Todgeweihten. Das Frühjahr hatte an diesem Tage ein Einsehen und schenkte klare Sicht unter blauem Himmel. Dabei hatte die Tradition der Schneeballschlacht einen langen Winter voraus gesagt. Ein Tag für einen Sieg, also. Einen über die eigene Furcht, über Sorgen und diesen starrenden, leeren und gleichgültigen Blick, zwanzig Schritt vor der erhobenen Hand.
Die Brauen des Schützen zogen den Nasenrücken kraus. Tiefer Atem hob die Brust und der Duft der erwachenden Wiesen und des frisch gepflügten Ackers erinnerte an unbeschwerte Zeiten, als Helden für einen Jungen nie starben und Frauen bis auf die Mutter und der Mutters Mutter nichts bedeuteten. Zeiten, in denen man den Tod vergaß, wenn ein Baum zum Krähennest wurde und der Ozean aus verebbenden Regenpfützen bestand. Dort gab es keine Krait und es gab nur wilde, plündernde und abenteuerlustige Piraten. Keine Betrunkenen, die für eine weitere Flasche ihr letztes Hemd oder ihre Lucinda verkaufen wollten, weil ihr Schiff auf Grund lag. Und der karge Kies eines jeden Tümpels war der weichste Sand unter Kinderfüßen. Dann gab es stets jene, die nie erwachsen wurden und darunter wiederum jene, die sich dies zu Nutzen machten. Einer hier, war so ein Mann. Der Lauf senkte sich dem Kontrahenten entgegen. Der Zeigefinger riss den Abzug nach hinten und der Hahn schlug vorwärts. Der Feuerstein schlug gegen das Eisen und Funken fraßen sich im Bruchteil eines Lidschlages in das Zündpulver und rannen wie im Stundenglas durch das Zündloch. Eine Zeitspanne, die ein Mensch nicht ergründen konnte und die doch eine Ewigkeit schwer wog, wenn man auf der anderen Seite des Laufes stand. Eine Explosion, der ein leises Fiepen folgte schlug ihm fast die Waffe aus der Hand. Ein langgezogener, heller Ton legte sich nach dem Donner auf das Gehör und Rauch vernebelte die Sicht. Das Herz stand still. Du oder ich. Der Schütze sah angestrengt in das sich klärende Bild und da waren sie noch immer. Die starrenden, toten Augen des anderen Duellanten. Wäre es ein Spaß, wäre es nur der Ärger, der ihn nun plagen würde.
„Tot. Du bist tot, Robin,“ sprach er sich selbst flüsternd zu und ging in die Hocke. Der Schreiber, dem die Daumenwurzel schmerzte, weil er den Rückstoß schon wieder nicht richtig abfangen konnte legte die Ellbogen auf die Oberschenkel und senkte in Demut vor dem Können Unbekannter das Haupt. Das laue Lüftchen, das die Mühle weiter hämisch grollen ließ, fing den schweren, beißenden Brandgeruch und den Schießpulvernebel auf um beides über das gepflügte Weizenfeld zu tragen. Man würde es bald bestellen, wenn der Frost sich endgültig verabschiedet hatte und gerade hatte Robin die schlimme Vermutung, dass nur die Feigheit ihn davor bewahren könnte, dies nicht mehr erleben zu können. Voller Hohn starrte die Weinflasche mit den finsteren Kohlestiftaugen auf den gescheiterten Pistolenhelden herab. Strafend bemaß das leblose Ziel jenen, der bei einem echten Duell nun vermutlich aus anderen Gründen zu Boden gehen würde. Statt einer Kugel traf ihn nun aber die bittere Erkenntnis, dass er auch um sein Leben würfeln könnte, statt dem Plan zu folgen und so vermutlich bessere Chancen hätte, als Sieger vom selbst gewählten Schlachtfeld zu gehen. Diese Bitterkeit ließ den Magen rotieren. Gefrühstückt hatte er zum Glück auch heute nicht. Und am Tage, an dem es so weit ist, würde er auch nichts essen. Das hatte er sich fest vorgenommen. Der kleine Funken Hoffnung, der nicht wollte, dass er beim Anblick eines sterbenden anderen Menschen vom Helden zum speienden Wicht wird. Helden übergaben sich nie. Helden in seinen Büchern becherten sich aber auch nicht ständig durch die Nacht, sondern sahen in Sehnsucht ertrunken auf zum Sternenzelt. Nicht besoffen zum Portrait einer dunklen Schönheit, die an jedem Tag, an dem sie auf seine Taten wartete Qualen erleiden musste, die keine Frau erleben sollte. Helden weinten nicht. Robin weinte. Manchmal, wenn die Verzweiflung um die eigene Nichtigkeit gewann, weil er nicht an den Bösewicht der Geschichte des echten Lebens heran reichte. Dann, wenn keiner hin sah.
Robin schnaufte schwer. Er nahm die Pistole, einst Lucinda, jetzt eben Pistole in beide Handflächen und betrachtete sie aus anderen Augen. Damals, als er sie in Löwenstein erwarb, mit Mantel und Degen, der noch nie jemanden stach dort hin reiste, hielt er sich für furchtbar verwegen. Damit würde er diesen widerlichen, arroganten Tunichtgut von dieser Welt tilgen und seine Liebste befreien. Sie würde ihm um den Hals fallen und sich einem Kuss hingeben und doch kannte er seine Herzenswärme zu gut um diesen Gedanken in ehrlichen Momenten wie diesen wieder zu verwerfen. Aber was blieb ihm übrig? Er konnte sich an niemanden wenden, sich nie sicher sein, wessen Leben ein falscher Schritt beendete und das Schlimmste daran war, dass es in keinem erdachten Falle das eigene war. Außer in diesem. In der direkten Konfrontation, für die er nicht geschaffen war. Selbst wenn dieser Mann, Vater, Peiniger, Ehegatte, Schänder und Münzenhorter die Herausforderung annehmen würde, ehrlich und ohne Magie gegen Robin antreten würde, würde er den Schriftsteller vermutlich ohne mit der Wimper zu zucken über den Haufen schießen. Und sie, sie würde weinen. Salzige Tränen um die Dummheit und Einfalt seiner selbst. Der Mann erhob sich in den geprügelt schlaffen Stand, ging zur Flasche und griff nach dem Hals um sie im Sonnenlicht zu betrachten. Das Etikett verriet unter fiesem Blick, dass sie einst lieblichen Herbstwein inne hatte. Nun war sie leer, Robin zum Glück nicht durstig und in einem Anfall von verzweifelter Wut schleuderte er sie im Affekt mit einer üblen Beschimpfungen im rotierenden Flug über den Grenzstein des Ackers hinweg in morgenfeuchte Erde. Nicht ein mal diesen verdammten Stein traf er.
Es war nicht so, dass er keine anderen Wege gesucht und bereits beschritten hatte. Ihm fiel nur nichts besseres mehr ein, als den Mann zu stellen, der seine Liebste schlug und ihn umzubringen. Drohen reichte nicht aus. Er würde wiederum eigene Drohungen wahr machen. Der weiße Mantel sorgte dafür, dass selbst der letzte Ausweichplan des kreativen Schreibers fehl schlug, indem er durch den Angriff alles zu Nichte machte, was Robin vorbereitet hatte. Er wollte mit Eimern voller Roter und weißer Farbe dafür sorgen, dass der Tyrann für einen Mantler gehalten und hoch genommen wird. Fast hätte man dies und weitere Utensilien bei Robin zu Hause entdeckt. Sein letzter potentieller Geldgeber musste dank der ganzen Aufruhr warten. Dieser Asura, der Magister hätte ihm so leichte Münzen beschert und er hatte es schleifen lassen, weil er an manchem Morgen wie ein nasser Sack im eigenen Bett versauerte oder gegenteilig auf der Straße tat, was die angebetete Schönheit sonst übernahm und die Kinder umsorgte, die kein Heim hatten. Stiefelwachs mit der Maske war unterwegs gewesen und verteilte nebst Brot und Speck auch Geschichten. Und dann, allein, war der Held aus eigener Feder wieder Robin Firth und trank, wie er es Ophelia einst ausredete. Sie würde ihm die Ohren lang ziehen. Beide. Und sie verknoten. Auf dem Hinterkopf. Selbst dieses Gedankenspiel brachte ihm gerade keine Freude. Der blaue Himmel zog zu. Nur für ihn. Graue Wolken, aus denen Tropfen fielen und jeder zeigte ihm eine andere Wahrheit hinter der gewölbten Wasserwand. In einer kam er nicht ein mal dazu auf den Mann zu zielen. In der anderen tat er es und wurde erstochen. In der nächsten lachte dieser Mistkerl über Robins Zeilen und erschien schlicht nicht, weil er ihr wieder ein mal oder gerade deshalb weh tat und den Schreiber mit seiner befremdlichen Pistole auf irgend einem Feld warten ließ. Was bildete sich der Tintenkleckser eigentlich ein? Jeden Abend, jede Nacht sinnierte er darum, was er noch tun könnte, wen er um Rat fragen sollte. Erfolglos. Hunderte, nein tausende Seiten schrieb er manchmal im Jahr. Ferne Länder, unbarmherzige Gefahren, schwärzeste Seelen und verführerischste Leiber. Alles aus seinem Haupt. Aber nichts, was ihm die Liebe näher brachte und sie erlöste.
Robin steckte die Steinschlosspistole unter den Hosenbund und schlug den Mantel darüber. Der Zopf verfing sich im Kragen und die hohe, aber schmale Gestalt verließ das Schlachtfeld, geschlagen von einer Flasche Wein, eben so, wie der ganze Einfall entstanden war. Von mehr als einer Flasche Wein an jenem Abend, zugegeben. Aber was war deren Inhalt gegenüber dem Meer an Dächern, das zwischen ihnen lag, wenn er ihr geheime Botschaften über Wäscheleinen zukommen ließ? Gerade war sie noch weiter fort. Wegen dem Mantel. Mit dieser Ausgeburt des Bösen. Ein Meer mitten in der Stadt, jedenfalls, das andere nicht verstehen konnten, die ihr Geheimnis nicht kannten und das unüberwindbar wurde, sobald die Türen des Heimes zu fielen, in das sie nicht wollte. Dann stand er auf seinem Balkon und wollte die Welt verfluchen, nur mehr lächeln, wenn sie es tat und wenn er in das Meer im Weinglas fiel um einen Namen zu rufen, ehe er versank, kamen solche Dinge in den Sinn. Ein Duell um ihre Freiheit. Lächerlich musste es wirken, war man nicht in dieser Lage. Sich eine andere suchen, fort sehen, riet man ihm schon ohne zu wissen wie funkelnd ihre Augen unter dem Schatten ihres traumhaften Mahagonihaares mit diesem Haselnussstich im Sonnenlicht aus tiefster Nacht blicken. Wie verführerisch die Locken über Schokoladenhaut fallen und wie lieblich ihre Stimme ganz ohne Magie die Sehnsüchte eines Mannes leiten wollen. Robin wusste es und kam nicht mehr aus diesem Labyrinth heraus. Aussichtslos, verloren und hoffnungslos verschossen um am Ende was zu sein? Aas unter der tyrianischen Sonne. Dann hoffentlich ohne ihr wissen. Er dachte sogar daran ihr einen Brief zu hinterlassen, der ihr erklärt, er wolle sie nicht mehr sehen, damit sie glaubt, er hätte sie sitzen lassen, weil dieser Schmerz weniger Tränen brachte als sein Tod. War es aber am Ende anders herum und dunkle, dumpfe Stimmen aus erster Zeit hatten recht damit, sie spiele all dies nur um einen Weg hinaus aus ihrem miserablen Leben zu finden? Robin rüttelte die ganze Zeit an diesem viel zu großen Tor, wie ein argloser Gossenlümmel an der Pforte zum Thronsaal. Was blieb ihm also anderes, als mit einer Kugel im Lauf um Audienz zu bitten?
Ein Auszug aus „Sand“, dem neuen, noch unveröffentlichtem Werk von Robin Firth:
„Nun lag sie seit acht Tagen unter diesem Stein unter sengender Sonne und grub sich ein Loch, so tief, dass das Wasser den Sand bereits dunkel färbte. Bald schon konnte sie trinken. Hoffnung hielt sie am Leben, Körner unter den Nägeln erinnerten an die leibliche Vergänglichkeit und quälten bei jedem Griff in das klamme Reich unter dem Felsen. Es war wohlig kühl, wenn man sich in der Vorstellung verlieren konnte, man wäre nicht noch immer unter sengender Sonne mit tageweitem Nichts um sich her. Wenn sie Wasser fände, dann tränke sie bis sie verhungerte und wenn sie ginge, weil sie des Trinkens müde war, erstach sie der heiße Blick der Himmelsscheibe binnen eines Tages und die einzigen, die sich den Magen füllten, waren die Geier, deren Rufe sie nur in der ersten und zweiten Nacht wach hielten. Was Layla sich dabei dachte? Sie dachte nicht. Ihr Gefühl sagte ihr, dass alles gut werden würde. Dass irgendwo in der Weite der Kristallwüste, diesem Meer aus Tod und Verderben eine Hand nach ihr greifen würde um sie aus der misslichen Lage zu befreien und dann wäre alles gut. Sie wusste, dass eines Nachts in einem Jahr der Regen kommen könnte und sie ertränken könnte. Sie wusste auch, dass sie beim Graben auf einen schlafenden Wüstenbasilisken treffen könnte, dem das Erwachen größeren Hunger bescherte als Layla ihn selbst erlitt und letztlich wusste sie auch, dass der edle Retter, der fremde Stern am dunkelblauen Morgenhimmel den Silberstreif entlang reiten und sie dabei übersehen könnte. Eines war sicher. Am Ende kam der Tod. Doch sie ging nicht fort von ihrem Stein um nach ihm zu suchen, weil er der einzige war, der sie zuletzt sowieso finden würde. Wenigstens einer, der sich um sie kümmern konnte, wenn alle Helden Elonas versagten. So lange grub sie, denn es war die einzige Möglichkeit, Aufschub vor den Göttern und den Geiern zu erbitten. Das nannte man dann Hoffnung.“
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