Am Morgen des 184. Steckling 1327
Ein gesondertes Morgenmahl, einzig für Novizen und Anwärter. In den Gängen der Tempelanlage und der Unterkünfte um den Schrein des Prinzen des Todes und der Kälte schwelte die Neugierde. Welcher Verdienst war dafür verantwortlich? Gab es einen Anlass, der dies forderte? Novizin Thondaiguns anstehende Priesterweihe könnte einer sein, doch solch eine rahmenlose Sonderbehandlung stand in keinerlei Bezug dazu. Außer natürlich, die Novizin hätte etwas zu sagen und sollte dies einzig an die Anwesenden Mitlehrlinge und die Neuen im Klerus richten. Vielleicht aufmunternde Worte oder Ratschläge zur Wegbereitung auf dem steinigen Pfad der nächsten Dekade? Sie war nicht wirklich bekannt dafür gerne vor großen Ansammlungen von Personen zu sprechen und sowieso war sie für manch einen die Zweitseltsamste nebst dem Mädchen, das sich unter Blestems Fittiche gemogelt hatte. Kleine Schlange. Am Ende eines der langen Holztische fiel genau dieser Ausspruch unter flüsternden Lästermäulern dreier Novizen. Einzig bei den Neuaufnahmen unter den Wachen war es still. Die Handvoll disziplinierter Männer und und Frauen war auch im Schnitt weit über dem Alter der anderen und hatte mehr oder minder nur einen direkten Rauswurf zu befürchten, wenn sie in der kurzen Probezeit einen wirklich gravierenden Fehler begingen. Ein lockeres Leben, wenn man sich anpasste und sich dementsprechend angemessen im Dienst und innerhalb der Räumlichkeiten verhielt. Die Wachen waren auch die ersten, die sich vom Wasser aus den hohen Krügen einschenkten und das Brot brachen, das alleinig in Körben verteilt auf den Tischen stand. Sie erwarteten nicht mehr, auch wenn sie wussten, dass es sonst auch Beilagen und Aufstrich gab. Die Novizen und Anwärter hingegen liebäugelten größtenteils noch mit der Tür zur Speisebereitung, die wenige Stufen abwärts nebst dem erhöhten Absatz vor der nur mannshohen Statuette des Dunklen gelegen war. Da kam bestimmt noch mehr als nur Brot und Wasser. Es war ja ein gesondertes Morgenmahl und ausgeschrieben noch dazu.
Die Kerzenflammen um das Abbild Grenths flackerten, als sich die Tür öffnete. Die Falsche, wohlgemerkt. Häupter ruckten herum und hier und dort hörte man das Rattern eines Stuhles auf dem steinernen Boden, der zurecht gerückt wurde. Das allgemeine Geplauder und Geschnatter verstummte fließend, als Priester Blestem im leichten Nekromantenstreiterornat mit festem Schritt vom Gang her eintrat und nur mehr das Hallen der beschlagenen Stiefel erfüllte den Raum. Den Wachen nickte er im Vorübergehen zu. Sie waren auch die einzigen, die zuerst einen Gruß erhielten. Die schmiedeeiserne Kette am Gurt schlug mit jedem zweiten Schritt gegen die Nieten, die den Gefechtsrock nebst dem Abbild einer Schlange und der Maske des Totengottes zierten. Am Ausdruck im halb durch die Strähnen verhüllten Gesicht des Mannes, erkannten bereits einige den Ernst der Lage. Das war kein Anstandsbesuch und schon gar kein freudiger Anlass, wie man ihn zumeist vermutet hatte. Ein leises Husten in die geballte, mit Leder und Eisen geschützte Rechte war das erste, was man von der Stimme des Geweihten mit dem allseits bekannten Mal an der Schläfe unter dem pechschwarzen Haar vernehmen konnte. Er musste sich erkältet haben. Sowieso fehlte er in den letzten Tagen zumeist bei den einfachen Aufgaben, die er sich sonst nicht nehmen ließ. Priester Blestem baute sich vor dem Abbild des Dunklen auf und legte die Rechte an die schmiedeeiserne Kette um den Daumen einzuhaken, während die linke Hand sich unnötigerweise um Aufmerksamkeit buhlend erhob. Sowieso sahen bereits alle gespannten und angespannten Augenpaare auf den Mann von mittlerem Wuchs und wenn er es nur im Ansatz wie in den Lehrstunden hielt, sollte man nun von jedweden Worten absehen.
„Aufgepasst!“ Samuel ließ den Arm wieder sinken und stemmte die Hand in die Hüfte. „Wie ihr ja offensichtlich bemerkt habt, seid ihr heute, bis auf wenige Ausnahmen ferner des gewohnten, gemeinsamen Mahls geladen. Das hat auch einen Grund.“ Der rechte Zeigefinger unterstrich vor seiner Brust noch ein mal die feste Stimme, die um unbedingte Aufmerksamkeit gebeten hatte, ehe der Priester wieder nach der Kette fasste. „Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, behauptet manch einer oder eine, dass wir hier schlecht mit den Anwärtern und Novizen umgehen würden. Wir würden sie schlagen, wir würden sie einsperren oder auf seelische Art und Weise misshandeln.“ Ein ehrliches Kopfschütteln, zumindest unter jenen, die noch nicht lange im Orden waren entkam durch die Bank als einzige Antwort darauf hin. Ehrliches Unverständnis. Samuel fuhr fort. „Ich hoffe, dass ihr uns helft, diesen Missstand aus der Welt zu schaffen. Ein jeder von euch, der derartig erfährt, sollte sich bei einem Priester seines Vertrauens melden. Schwarze Schafe dulden wir hier nicht. Ich hoffe, das ist angekommen.“ Die Allgemeinheit im Raum atmete tiefer durch und hier und da hob sich ein Lächeln von den Lippen. Darum ging es also, bis zum laut ausgesprochenem, „Aber, das heißt nicht, dass ihr hier tun und lassen könnt, was ihr wollt.“ Priester Blestems Miene wurde eisern. Die Brauen zogen sich zusammen und kräuselten den Nasenrücken, während der Mund zwischen den Worten zum schmalen Strich wurde. Ein schlaksiger Anwärter mit kurz geschorenen Haaren direkt vor Blestem schluckte sichtlich. Der schlimmste Sitzplatz aller Zeiten, ganz wunderbar. Es brauchte kein Wirken von Kältezaubern, die sowieso nicht Blestems Steckenpferd waren um die Temperatur im Raum zu senken. Ein paar Schritte im Schweigen nach links, ein paar der Schritte nach rechts und dann wieder zur Mitte hin. Der Mann verströmte bedrückende Ruhe, bis die Stimme wieder erklang. „Glaubt ihr, ich bin vergesslich? Glaubt ihr, Scherze und Streiche gehören hier zum guten Ton?“ Irgendwo ein leises Schnauben. Erheitert um vielleicht genau solch einen Vorfall. Die bewehrten Finger zogen die Lasche des Lederbandes, die Kette fiel in die Hand und es dauerte nur einen Lidschlag, da schlug das Schmiedewerk auf die Oberkante des nächsten, freien Stuhles am Kopfende des Tisches vor dem Priester und wickelte sich zweimalig um die Rückenlehne. Ein einziger, fester Ruck und das Sitzmöbel preschte fort vom Tisch, fiel über die Stufen und landete mit gebrochenem Aufbau neben dem schweren Kerzenständer, der die Statuette ausleuchtete. Der Mann der dies zu verantworten hatte wurde lauter, ja, gar wütend um die Regung unter den Zuhörern. „Das ist kein Tollhaus!“ Samuel schnaubte und musste sich räuspern. Die Anwärter und Novizen hielten für den Moment den Atem an. Auch wenn die Wachen verwundert waren, wurde ihnen wohl schnell klar, dass es sie nicht weiter betraf. Dementsprechend locker war die Haltung der bereits Gerüsteten vor dem Morgenlauf. „Wenn ihr glaubt, dass ihr hier ungestraft derart mit anderen umgehen könnt, dann irrt ihr euch und ihr irrt euch gewaltig!“ Priester Blestem verschränkt die Hände hinter dem Steiß und hebt das Kinn ein wenig an. Die beiden Stufen ließen ihn größer wirken, was durchaus von Vorteil bei Ansprachen wie dieser war.
„Die Tugenden, Anwärter.“ Samuel schloss nach der Aufforderung die Lider, nachdem die eisblauen Iriden auf jemand bestimmten gezielt hatten. Der schlaksige Bursche direkt vor Samuels Stiefeln erhob sich rasch und selbst als er nach dem Stuhl fassen musste, damit er nicht rückwärts umfiel, lachte keiner über das Malheur. „Priester Blestem, Gehorsam und Treue, Wahrhaftigkeit, Furchtlosigkeit, Disziplin, Respekt und Verantwortungsbewusstsein, Entschlossenheit und Gnadenlosigkeit.“ Die Hand des Priester hob sich nach den unsicheren, aber wohl durchaus richtigen Worten des jungen Mannes und legte sich auf die schmale Schulter. „Danke, setzen.“ Den Nachdruck der Finger hätte es gar nicht erst gebraucht. Samuel ging nun langsam um die Tische, den langen Weg zum Ausgang hin, während er seine Worte weiter ausführte. „Treue ist wichtig. Disziplin ist auch darunter. Ebenso Respekt. Wenn ich noch ein mal jemanden dabei erwischen sollte, dass er oder sie gegen diese Tugenden verstößt, irgendjemandem damit Leid zufügt, werde ich mein eigenes Wort brechen und diese Kreatur, die in meinen Augen nicht mehr sein wird, eigenhändig vor die Tür werfen. Und wenn ich dazu die Hände benutze, habt ihr Glück gehabt.“ Der Priester hält inne und lässt sein Augenmerk über all die anderen schweifen, bis er sachte nickt. „Wir werden nicht zulassen, dass sich hier Missstände einnisten, wie sie in manch anderer Priesterschaft allgegenwärtig sind. Wir halten zusammen. Wir stehen zusammen. Wir sind loyal und respektvoll voreinander. Wer sich heraus nimmt, der hat bald keine Freunde mehr und schlimmer noch, mich zum Feind. Das wäre wirklich, wirklich bedauerlich.“ Das Augenmerk des Geweihten fällt auf die Fliesen, während er mit angeschrägtem Haupt für sich nickt. Eine Novizin der drei Plappermäuler am Eck will sich erheben, erntet dafür aber nur einen direkten Fingerzeig des Mannes, den sie sonst so gut sprach und dem sie zuletzt gar einen klischeebehafteten Apfel zum Unterricht schenkte. „Setzen, Novizin Breight. Genießt euer Brot, wie alle anderen. Und gewöhnt euch gleich an derartige Verköstigung, wenn sich eure Mitnovizen nicht im Griff haben.“ Das Mädchen setzte sich mit offenem Mund und neigte ergeben das Kinn vor Blestem. Die lauten Stiefelschritte hallten noch ein mal energisch über die Bodenkacheln, bis Samuel hinter sich die Tür zu schlug und Stille hinterließ. Blicke wurden getauscht, dann zum Brot gegriffen. Zumindest jene, die noch Hunger hatten.
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