Widmung
Einem allseits bekannten Privatdetektiven gewidmet, dem leider nicht annähernd soviel Gutes widerfährt, wie ihm zusteht.
Das Büro sah jeden Tag gleich aus. Stapel von Schriftstücken, Aktenmappen, unbezahlte Rechnungen, ein überquellender Papierkorb, der Schreibtisch vollkommen überladen.
Sand, der wie Feinstaub von außen an den Fenstern klebte ließ das Licht im Inneren schmutziger und difuser wirken, als es eigentlich war. Ich hatte das putzen irgendwann aufgegeben. Spielte ohnehin keine Rolle. Interessierte niemanden. Das Leben als Privatdetektiv war nicht so glanzvoll, wie man gern behauptete.
Betrogene Ehefrauen, Erbschleicherei, verlorene Schmuckstücke und hin und wieder sogar ein vermisstes Haustier. Ob mich das erfüllte? Natürlich nicht. Es war ein lächerlich belangloses Leben. Undankbar. Die Fakten die ich überbrachte schlugen meist die größeren Wellen. Mich hingegen wollten sie schon eine Stunde später nichtmehr kennen. Ein ewig gleicher Trott mit weit mehr Tiefen als Höhen, aber ich machte weiter. Erledigte die Drecksarbeit und hatte mich allmählich damit abgefunden in den Augen der Passanten da draußen auf der Straße selbst nicht mehr zu sein als Dreck.
Diese und ähnliche trübe Gedanken beschäftigen meinen Kopf als die Glöckchen über der Tür einen Gast ankündigten. Mir stand nicht der Sinn nach einem Kunden. Der Widerwille ließ mich nach meinem Whiskeyglas greifen, eine Bewegung, die ich in letzter Zeit allzu oft ausführte. Das hielt Ordnung im Schädel, eine trügerische Klarheit, und half mir dabei ein halbwegs zuvorkommendes Lächeln auf die Lippen zu zwingen. Immerhin brauchte ich das Geld.
Auf diese oder ähnliche Weise desillusioniert lenkte ich meinen Blick auf die Tür ... und verlor jedes Gefühl für Zeit. Sie stand dort, wie vom Frühling hereingeweht, in diesem lächerlich kurzen Kleid. Rot. Natürlich musste es rot sein. Sie würde so tun, als hätte sie es nicht ausschließlich für mich angezogen. Nackte Beine endeten in bloßen, sandigen Füßen, die Schuhe baumelten an Riemchen locker von ihren Fingerkuppen und eine zu robuste Lederjacke sollte jeden Leichtgläubigen von der Vermutung abbringen, sie könnte jemandes kleines Mädchen sein.
Ich wusste es besser. Ich wusste auch, dass sie nicht makellos war. Hätte ich mich darum bemüht Schwächen an ihr zu finden, es hätte mich sicherlich nicht viel gekostet. Aber um sie ging es gar nicht. Sie war nur das Aushängeschild eines größeren, aufregenderen Lebens. Die Tür zu jemandem, der ich hätte sein können, hätte man mich in jüngeren Jahren mit weniger Anstand und Moral gefüttert. Ein Ausblick durch die Gitterstäbe hinaus in die Wildnis, in der jeder Tag ein Kampf war, in der Triumph und Niederlage etwas bedeuten. Und Götter, diese Lippen. Dieses spöttische Lächeln. Sie wusste es. Sie war Gift. Und sie wusste es ganz genau.
Wie üblich ließ sie die Begrüßung provokant klingen. Und wie üblich schritt sie durch mein Büro, als wäre es ihr eigenes. Den Stuhl auf der anderen Seite übersah sie großmütig. Genauso, wie sie großmütig die Unordnung auf dem Schreibtisch übersah, als sie diesen umrundete um sich neben mich an dessen Kante zu lehnen. Das Whiskeyglas nahm sie mir ab. Ihre Fingerkuppen hinterließen ein Prickeln, dort wo sie meine Hand berührt hatten und während ich zusah wie sie es austrank wurde mir bewusst wie trocken meine Kehle war.
Sie sprach über ein gesunkenes Schiff. Über einen verschwundenen Kapitän. Sie sprach von Schulden, die noch zu bezahlen wären. Ich schrieb mit, ganz als wäre sie die gewöhnliche Kundin. Ich tat es so konzentriert ich konnte. Es war nicht leicht. Ein verwegenerer Mann hätte nach der nackten Haut gegriffen, die mir hier so offen präsentiert wurde. Ein verlockendes Gedankenspiel, das ungnädig an den Fäden meiner Sehnsucht nach einem größeren, einem greifbareren Leben zupfte.
Und bei all dem wünschte ich, mir wäre ihr Ehering nicht ins Auge gesprungen. Der war neu. Und er versprach, dass es Ärger bedeutete ihr zu nahe zu kommen. Irgendwann einmal hatte ich gehofft, sie würde nach der angebotenen Hand greifen und mit mir durchbrennen. Sich fortbringen lassen, in ein sichereres und beschaulicheres Leben von dem mir nur allzu bewusst war, dass es ihr nichts zu bieten haben würde.
Nein, sie hatte lieber ihre Seele verkauft. Für Schmuck und teure Pelze, die sie im Winter spazieren führen konnte. Für Prestige. Manchmal überkam mich Wut. Ich hätte sie gern für ihren Lebenswandel verurteilt. Ich hatte mir oft ausgemalt sie aus den Fängen dieser Familie zu retten. Und jetzt? Ein Leben auf der Flucht? Verfolgt von einem rachsüchtigen Ehemann, der sein Eigentum zurück haben wollte?
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und sah zu ihr auf. Sie war stark. Selbstbewusst. Nein. Meine Illusionen hielten der Realität nicht stand. Diese Frau war niemandes Eigentum. Sie war es auch nicht, die gerettet werden musste. Und geradezu als spüre sie, dass ihre Nähe mich fühlen ließ wie ein Ertrinkender auf einem wellenlosen Meer, füllte sie mir das Whiskeyglas wieder auf und löste sich vom Schreibtisch. Mit nackten Füßen hielt sie auf einen meiner Aktenschränke zu, während die Unterhaltung belanglos vor sich hin plätscherte.
Ich folgte ihr nur in Gedanken. Sah wie sie die Arme nach mir austreckte. Ein Lächeln, das mehr war als inhaltlose Versprechungen. Ein berauschender Augenblick, in denen ich den würzigen Geschmack des Lebens von ihren Lippen kostete, sie auf den Schreibtisch niederdrückte und ihr, alle Konsequenzen in Kauf nehmend, bewies, dass ich mehr Mann war, als sie mir zugestehen wollte.
Und atmete...
Das Läuten der Glöckchen über der Tür weckte mich unsanft. Bas Büro war leer und plötzlich wieder trist und farblos. Zurück blieben nur ein zerbrochener Stift zwischen meinen Fingern, der Abdruck ihres Lippenstifts auf meinem Whiskeyglas und ein offenes Fach im Aktenschrank. Ich würde nicht nachsehen gehen, welche fehlte.
Und nachher... Nachher würde ich anfangen im Hafen ein paar unbequeme Fragen zu stellen damit sie einen Grund hatte wiederzukommen.
Götter, ich liebte sie. Irgendwann ist sie mein Tod.
Miststück.
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