„Ich frage dich noch ein einziges Mal.“
Das Bürschchen stand mit dem Rücken zur Wand. Sein selbstgefälliges Lächeln war ihm schon lange vom Gesicht gewischt. Er wollte etwas sagen, aber die Hand um seinen Hals hielt ihn ab. Wenn er das Falsche sagte, das verstand er wohl, drückte die Hand zu.
„Wer hat euch beauftragt? Und wo sind die Sachen?“
Ihm gegenüber stand ein blonder Mann, ein charismatischer Schönling, der sich binnen Sekunden in einen gefährlichen Nihilisten verwandelt hatte. Primitivität und Gewalt stachen ihm aus den Augen. Es waren helle Augen, aber das machte sie nicht freundlich. Kurz vorher waren sie es noch gewesen. Da hatte der Blonde noch gelächelt und sich unbedarft mit dem Bürschchen unterhalten. Aus dem Nichts hatte sich sein Ausdruck dann gewandelt. Und jetzt presste er den Jungen an die Wand, und als der nicht antwortete, holte der Blonde aus und schlug ihm in den Magen.
„Ah! Hab ich vergessen!“, würgte das Bürschchen vor. Er konnte nicht zusammensacken. Der Körper des Anderen ließ ihm keinen Raum.
„Hast du vergessen!“ Narcis Iorga war der blonde Mann. Das Bürschchen hatte auch einen Namen, aber er verriet ihn nicht. Er sagte gar nichts. Deshalb schlug Narcis noch mal auf ihn ein, zweimal ins Gesicht. Danach packte er ihn am Kragen und warf ihn durch den Raum. Kisten rumpelten. Er setzte dem Burschen nach. Er half ihm beim Aufstehen, indem er ihn am Hemd hochriss und gleich gegen die nächste Wand knallen ließ. Der Hinterkopf des jungen Menschen schlug gegen die Bretter und machte ihn einen Moment orientierungslos. Dann wollte er sich wehren. Er wollte nach vorn schnellen, aber Narcis' Unterarm hatte sich wie eine Sperre vor die Kehle des Bürschchens geschoben. Mit der anderen riss er ihn am Haar zurück.
„Nochmal“, sagte der Iorga ruhig. „Allerletzte Chance.“
Eigentlich wollte Narcis nicht weitergehen. Es war ein Knabe. Vielleicht war er sogar schon über zwanzig. Aber er hatte etwas Schwächliches an sich, etwas, das ihn chancenlos machte. Der Kampf war so unausgeglichen, dass es nicht einmal ein Kampf war. Es war eine Farce. Nur tat ihm der Wicht nicht den Gefallen, zu reden. Stattdessen gurgelte er und schlug nach Narcis' Brust, er traf sie auch, und der Iorga drückte seinen Arm etwas fester gegen den Burschen, der nach ein paar Sekunden rot anlief.
„In Ordnung“, befand Narcis, zwang den Jungen am Haar in die Knie und schnappte seinen Arm. Er verdrehte ihn in einem Winkel, der nicht gut aussah. Sicher fühlte er sich auch nicht gut an. Der Junge schrie auf. Das würde jetzt eine Weile so weitergehen. Man konnte ihm nicht vorwerfen, dass er es nicht mit reden versucht hatte.
Weil Narcis mit dem Rücken zur Hüttentür stand, sah er nicht, wie sie von außen geöffnet wurde. Wie sich drei Schatten hinein schoben. Er hörte es auch nicht, gerade stand er über das Bürschchen gebeugt und ließ dessen Handgelenk knacken. Das Bürschchen schrie Tränen heraus. Es war ein poetischer Gedanke, dass die Tränen vom Schreien kamen. Selbst, wenn das höchstens über Umwege stimmte.
„Wer“, fragte Narcis noch einmal in aller Ruhe, aller Kälte.
Eine Hand schloss sich um seine Schulter.
„Das waren wir.“
Als er sich umdrehte, sah er in die derben Gesichter von zwei Männern und einer Frau. Alle drei überragten ihn in jegliche Richtung. Sogar die Frau.
Das Bürschchen am Boden krümmte sich. Es verzog das Gesicht unter Schmerz. Und es grinste. Aus seinem Grinsen lief Gafer und Blut und Schadenfreude.
„Jetzt bist du fällig, Iorga...“
Die Worte des Knaben spiegelten sich in den Gesichtern der drei fetten Pakete wieder, die einen halben Kreis um ihn bildeten, ein gruseliger Ringelreihen, bei dem sie ihre Hände nicht aneinander, sondern an ihn legten. Das nächste was er merkte, war, wie vom Boden abhob. Er flog jetzt selbst ein Stück und bekam die Kante einer Kiste in die Seite, als er landete. Aufrichten, abhauen. Vielleicht, wenn es gut geht, einem der Typen noch eine mitgeben.
Die Frau war bei ihm, da war er noch nicht mal auf den Beinen. Sein Haar war kräftig, was ihr zugute kam, als sie ihre Finger reinwühlte und ihr Knie gegen sein Gesicht fahren ließ. Sie wollte seine Nase treffen, aber verfehlte.
„Nicht ins Gesicht“, rief er.
Die Männer lachten.
„Nicht ins Gesicht“, wiederholte einer. Seine Stimme klang als wäre er schon drei Wochen lang tot. Als hätten die Stimmbänder eigentlich schon begonnen, sich aufzulösen. „Ganz schön eitel, Bürschchen.“
Plötzlich war er das Bürschchen. Lustig. Wie sich die Dinge wandeln konnten, wenn man nicht aufpasste. Ein neuer Tritt warf ihn um. Jemand setzte noch ein paar Tritte hinterher. Narcis hatte verstanden, dass er das mit dem Aufstehen vergessen konnte. Jetzt ging es nur noch darum, seinen Kopf und seine Organe zu schützen.
„Nicht ins Gesicht“, lachte der mit den toten Stimmbändern.
Die Typen glaubten, er hätte das aus Eitelkeit gesagt. Die Wahrheit hatte nichts mit Eitelkeit zu tun. Er war ängstlich, dass man ihm die Spuren dieses Kampfes hinterher ansah. Wenn er mit einem geschwollenen Gesicht heimkäme, wüsste Helena Bescheid. Und dann gäbe es Krieg.
Krieg, wegen einer Kleinigkeit. Ein paar Uhren, die nicht mehr gingen, und ein paar Orden für tote Leute.
Narcis bekam eine Tracht Prügel, die sich gewaschen hatte. Der Kampf war so unausgeglichen, dass es nicht einmal ein Kampf war. Es war eine Farce. Aber irgendwie mussten die Kerle ihn verstanden haben. Sie verschonten seinen Kopf. Dafür verschonten sie nichts anderes. Am Ende spuckte ihm der Knabe, dem er das Handgelenk gebrochen hatte, in sein goldenes Haar.
„Warte...“, sagte die Frau und hob den Iorga an. Selbst hätte er sich nicht aufraffen können. Der Schmerz war überall. Er gab keinen Ton von sich. Den Gefallen tat er ihnen nicht. Mit einer zärtlichen Geste strich die Frau ihm Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Nochmal.“
„Haha...“, lachte der Tote. „Nicht ins Gesicht.“
Der Knabe spuckte ihm ins Gesicht.
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