Der gute Zweck
„Es ist nur ein kleiner Schnitt. Du wirst ihn kaum spüren.“
Alexander Beaufort, seines Zeichens zuerst Arzt, dann Drittgeborener des Barons zu Hainwacht, lächelte das dunkelhaarige Mädchen aufmunternd an. Er schätzte sie auf etwa zwölf, doch sicher war er sich nicht. Die weite, plumpe Kleidung konnte auch einen schon erblühteren Körper verbergen. Am dürren Arm, den er nun in der Hand hielt und über dessen Elle er sich beugte, vermochte er es nicht ausmachen.
Das Mädchen nickte tapfer und Alexander setzte sein Messer an. Nur am Rande nahm er wahr, wie der blonde Mann von der Brücke - Levi war sein Name; Alexander vergaß so etwas schnell - sich mit der Mutter der Kleinen unterhielt.
„...ist neu in der Stadt.“
„So ein fein gekleideter Herr. Ob er weiß, was er tut?“
„Aber ja. Er ist ein studierter Arzt. Er möchte den Menschen hier helfen.“
Die Stimme des Iorgas hatte etwas Beruhigendes, das selbst auf das Mädchen übergriff, doch in Alexanders Mund breitete sich ein schaler Geschmack aus. Es lag nicht am Eiter, den er aus dem mirabellengroßen Abszess des Mädchens - auch ihren Namen hatte er vergessen – drückte. Das, was der Iorga hier als großen Dienst an der Menschheit verkaufte, war in Wahrheit Eigennutz in seiner reinsten Form.
Der junge Arzt griff nach seiner Pinzette und hielt den Arm des Mädchens näher an die einzige Lichtquelle des ärmlichen Hauses. Das würde nun weh tun, deshalb unterließ er es, sie darauf hinzuweisen. Stattdessen sagte er: „Ich muss nun alle Reste des Eitersacks entfernen, sonst kommt es immer wieder. Dazu musst du den Arm ganz ruhig halten, schaffst du das?“ Das Mädchen – Mira könnte ihr Name gewesen sein – nickte tapfer. Sie war so viel zäher, als so mancher Erwachsene. Trotzdem fiel der große Schatten des Iorgas auf sie, der sich bereit hielt, im Zweifelsfalle zuzugreifen, sollte sie fort zucken, denn Alexander brauchte nun beide Hände. Menschen, die mitdachten, gefielen ihm. Sie waren selten.
In einer Hand das Operationsmesser, in der anderen die Pinzette, machte er sich ans Werk. Zog an zu entfernenden Resten, schnitt sie fort und ignorierte dabei die stillen Tränen des Mädchens, dessen Blut er hier angeblich für den guten Zweck vergoss.
Kommentare 14