Nachtbesuch oder: Warum man Freunde und Mütter stets trennt

„Scheint eine ruhige Nacht zu werden“, brummte Egor zu Beginn seiner Nachtschicht.
Er erwartete keine Antwort von Gunther, dem anderen Söldner. Und er hatte mit beiden Vermutungen Recht. Der Zamonplatz erstreckte sich friedvoll vor ihnen. Nur ein junger Mann stieg die Treppen hoch, um einen Besuch bei ihrer beider Herrin, Helena Iorga, anzumelden.
Gunther klopfte dreimal fest gegen die Tür. Wenig später öffnete ein blonder Mann mit erschöpften Augen.
„He“, grüßte er, als er zur Seite trat. „Guten Abend. Ich nehme an, du willst nicht zu mir? Komm doch rein.“
„Ja. Und Danke. Helena ist in ihrem Zimmer, ja?“
„Nein.“ Narcis wies durch den Flur. „Wohnzimmer.“
Er ging voraus, durchquerte den Raum mit der großen Tafel in der Mitte und ließ gegenüber seiner Cousine nur die kurze Information fallen, „Ven ist zu Besuch“, bevor er Anstalten machte, im Keller zu verschwinden.
„Warte, Narcis“, hielt sie ihn auf. Von der kleinen Anrichtezeile, an der sie stand, reichte sie ihm ein Holztablett. „Nimm das mit.“
Ven Fiorell war Narcis gefolgt. Er lehnte sich an eine der Ecken in ihrer Nähe und wartete, bis er fort war.
„Abend, Helena“, grüßte er mit scharfer Betonung.
Bis gerade eben war die junge Frau beschäftigt gewesen, Brotscheiben und andere Happen für die Arbeiter im Untergeschoss zu schneiden. Sie trug noch die Klamotten des Tages und einen sehr unordentlichen Zopf, der vor Stunden sorgfältig geflochten worden war und ihr jetzt nächtlich verwüstet über die dunkle Lederjacke fiel. Der Raum war beheizt und gut beleuchtet, doch durch die Tür zum Garten, die einen Spalt breit offen stand, drang kalte Luft.
„Guten Abend, Ven.“ Vielleicht war sie überrascht gewesen, als Narcis den Gast angekündigt hatte. Sie zeigte aber nichts davon. „Setz dich doch. Was zu trinken?“ Beiläufig holte sie Narcis' Versäumnis nach, die Kellertür zu schließen. Mit dem Augenblick war das Gerumpel von unten gedämpft. Es klang tief und grob, als fertige jemand Statuetten an.
„Nein danke.“ Ven winkte das Angebot mit der rechten Hand ab, in der er einen gefalteten Zettel hielt. Er bewegte sich kein Stück von der Wand weg. „Was meinst du damit?“
Als Helena sich ihm näherte, fiel ihr Blick auf die Tür zum Garten, darin kurz der innige Wunsch, auch diese zu schließen. Stattdessen nahm sie ihm den Zettel ab, um ihn zu lesen. Es war ihre Schrift.
Warum sagen die Leute, dass du Eloner versteckst?
„Du hast es nicht mitbekommen...“, schloss sie. „Es gibt Gerede über dich.“
Ein paar seiner Gesichtsmuskeln zuckten, ohne Aufschluss über seine Gedanken zu geben.
„Ja? Gibt es?“ Ven hatte ihr den Schrieb überlassen.
Er umrundete den Tisch, folgte Helenas vorigem Blick und schloss die Tür zum Garten.
„Hast du wirklich nichts davon gehört? Oh nicht-...“ Helena zog ihren kurzen Mund in die Breite, als die Tür ins Schloss fiel.
Doch nichts geschah.
„Nein? Was ist denn? Das ist eine vollkommen lächerliche Vermutung, die da verbreitet wird.“ Er sprach ruhig und aufrecht, als er aber ihre Reaktion sah, wunderte er sich. „Was? Wieso? Sollte ich nicht?“
„Das finde ich auch“, erwiderte Helena. Er hatte Recht. Die Vorwürfe, die umgingen, waren absurd. „Es ist so fernliegend, dass...aber es kursieren ständig Gerüchte. Meist gibt es irgendeinen Zusammenhang, irgendeinen Aufhänger. Du kommst mit dem Zettel hierher, als wolltest du mich zur Rede stellen. Ich hab die Gerüchte nicht in die Welt gesetzt. Das denkst du doch nicht, oder?“
„LENOCHKA!“, drang da ein dumpfer Empörungsruf durch die geschlossene Tür in Vens Rücken, gegen die im gleichen Moment jemand mit der Faust schlug. „Was soll denn das?“
„Du hast meine Mutter ausgesperrt“, erklärte Helena leise.
„Nein, nei-“ Ven verharrte eine Sekunde lang mit lose geöffnetem Mund. Auf der Stelle wandte er sich um und öffnete die Tür, während er sich bereits blindlings entschuldigte: „Entschuldigt, das war nicht beabsichtigt, ich hatte nicht raus geschaut.“
Hinter der Tür erschien das anklagende Gesicht Ligia Iorgas unter ausgewaschen rotem Haar. Sowie ihr Blick auf Ven fiel, trat Schock in ihren Ausdruck, lichtete sich dann und ging auf in einer hellen Freude. Sie drängte sich in den Raum hinein und dem Baron entgegen.
„Ach, Ihr seid das! Ihr seid das gewesen. Das macht nichts, mein Guter! Macht euch keine Gedanken. Ich habe nämlich auch nicht geschaut. Und Helena hat natürlich nicht Bescheid gesagt! Also!“ Mit einem Mal gebührte ihr gesamter Tadel nur noch ihrer Tochter, die am Rande stand und das Geschehen mitverfolgte, unfähig, das Schicksal aufzuhalten, das über sie hinweg gerollt war.
„Mama...“
„Ich bin Ligia. Ich bin Helenas Mutter“, verkündete sie eifrig, woran es von vornherein nie einen Zweifel gegeben hatte.
„Ich bin unangemeldet gekommen“, entschuldigte sich Ven abermals und lächelte aufgrund seines Malheurs nur halb überzeugt. „Guten Abend. Sechs mit Euch, im Übrigen.“ Er trat rasch zur Seite und warf Helena einen Blick zu. Ein Blick, den Helena unglücklich erwiderte, indes ihre Mutter die Gartentür schloss und fröhlich vor sich hin parlierte.
„Das macht nichts. Es ist schön, wenn Freunde meine Tochter besuchen. Gäste sind hier ja immer willkommen. Warum habt Ihr denn noch kein Getränk? Also Helena!“
„Mama, ist gut. Er hat abgelehnt. Sollen wir dich allein lassen? Du willst dich bestimmt ausruhen.“
„Ich bin sicher, dass der Tag anstrengend war“, pflichtete Ven diplomatisch-fromm bei.
Ligia Iorga war älter, aber nicht von gestern. Sie hatte drei Kinder aufgezogen, zeitweilig vier. Sie erkannte den Abschiebungsversuch. Sie ignorierte den Abschiebungsversuch.
„Dass Ihr aber nicht gleich wieder geht, ohne wenigstens einen Kartoffelschnaps von Alesha probiert zu haben. Unser Alexej macht den besten Schnaps!“
„Er ist Whiskytrinker, Mama.“
„Na sowas.“ Ligia unterzog den Baron einer strengen Musterung. „Na, jeder hat seine Schwächen.“
Nur wenige Augenblicke später hatte Ven ein volles Glas in der Hand.
„Ich störe euch nicht. Natürlich nicht“, schnappte Ligia, die es vehement gegen seine Brust gedrückt hatte, bis er es genommen hatte. „Ich weiß genau, dass zwei junge Leute keine plappernde Alte brauchen." Sie sah dem Baron ins Gesicht. "Verheiratet seid Ihr nicht, wie?“
„Mutter, du bist entschieden indiskret!“
Ven lächelte verschoben und in sich selbst hinein.
„Nein, bin ich nicht“, antwortete er ohne Betonung.
„Na“, schnappte Ligia abermals auf eine pragmatische und wohlwollende Weise. „Ich weiß genau, dass ihr mich nicht dabei haben braucht. Ich gehe auch gleich. Aber ich weiß, dass Ihr ein Freund von Helena seid. Und diese Gelegenheit muss ich nutzen. Wir haben nämlich einen Streitpunkt, meine Tochter und ich. Und wer, wenn nicht ihre Freunde, könnten ihr ins Gewissen reden? Und Ihr seid doch ein vernünftiger junger Mann. Also bitte sagt mir: Findet Ihr nicht auch, dass es für eine junge Frau in ihrem Alter langsam Zeit wird, sich nach einem Ehemann umzuschauen bevor sie nicht mehr jung ist?“
Das Thema war Ligia Iorga so ein brennendes Anliegen, dass sie vom Ton gleich eine Grundsatzdebatte daraus machte. Helena, die stier durch das Gespräch hindurch gestarrt hatte, schnaufte jetzt, weil sie die Unangebrachtheit nicht zu ertragen glaubte.
„Ich bin sicher, dass Eure Tochter in guten Händen sein wird. Früher oder später.“ Ven nippte unbewusst an seinem Glas, so unbewusst, wie er es angenommen hatte, und wiederholte: „Ich bin mir sicher.“
„Ihr jungen Menschen glaubt immer, ihr hättet alle Zeit der Welt. Aber die Zeit geht schneller um, als ihr denkt. Irgendwann passt ihr einen Moment nicht auf und steht im Herbst.“
Immer wieder schielte Ligia, während sie sprach, zu dem jungen Mann.
„Was meine Mutter nicht versteht, ist, dass man nicht einfach so heiraten kann“, mischte Helena sich ein, ehe die wilden Vermutungen und gesponnenen Pläne ihrer Mutter zu weit gingen.
„Das ist Unfug, das weiß sie sehr genau“, sprach Ligia fest zum Baron. „Aber jede gute Partie auszuschlagen, macht einen auch nicht glücklicher. Man muss Zugeständnisse machen, junger Mann.“
Vens Lächeln hatte an Ehrlichkeit und Anmut verloren. Noch einmal nippte er vom Glasrand. Er schwieg.
„Ich wünsche mir doch nur“, fuhr Ligia fort, wobei sie sich selbst ein Glas für den Weg eingoss, „dass meine Kinder nicht ihre besten Jahre verwarten. Im Geschäft verstehen sie es alle, zuzuschlagen. Aber die Liebe ist kein Geschäft, da haben sie Recht.“ Einen Moment stand Ligia seufzend da. Ihr Blick verlor sich leer auf der geschlossenen Tür zum Garten. „Aber manchmal ist sie eben doch ein Geschäft.“
Ihr Gedankenfaden riss. Sie schüttelte den Kopf und schenkte Ven ihr tröstliches Lachen.
„Jetzt schaut nicht so erstarrt, mein Lieber. Ich habe Euren Rat erfragt, als Helenas Freund. Ich habe nicht vor, Euch zu verheiraten.“
Sie gab ihrer Tochter einen Wangenkuss.
Helena schüttelte den Kopf und erkannte die Lüge ihrer Mutter, neigte sich ihr aber entgegen.
Vens Gesicht war in diesem Moment nicht zu erkennen. Er verdeckte es, fuhr sich getarnt über sein schmales Nasenbein.
„Eine angenehme Nacht“, wünschte er.
„Herrje, jetzt hab ich ihn verschreckt, deinen Freund“, murmelte Ligia Helena noch zu, als sie mit einem traurigen und schlauen Blick die Jacke der Tochter richtete, ohne dadurch etwas daran zu verändern. „Es hat mich sehr gefreut, lieber Ven Fiorell. Endlich sehe ich Euch mal“, sprach sie mütterlich nach hinten. Aber dann ging sie.
Helena sah ihr nach. Als sich ihr Blick zurück auf den Baron richtete, war ihr Mund ein gerader Strich.




Kommentare 8

  • Fleißige Tipperin, gut gemacht :)

  • <3 Die Mama. Deine Dialoge les ich ja am liebsten.


    Und im Keller fälschen sie Kunst, 30 Gold Statuetten, ye?

  • „Na, jeder hat seine Schwächen.“ XD


    Lauf, Ven, lauf. Lauf!

    • Hm, sprichst da du, oder... ist das ein Plan des HEIMTÜCKISCHEN HARRYS einen Nebenbuhler zu vertreiben?
      Durchschaut, möchte ich meinen!

    • Die Flucht vor dem Ehebund ist ein Marathon, kein Sprint. Das muss man erst lernen.

    • Ahhh, ja? :D