Perspektiven

Damals


"Du wirst sehen, heute geschieht es."
"Bestimmt. Es ist der ideale Zeitpunkt. Und es wird auch wirklich langsam höchste Zeit."
Antonia Stanwick saß an ihrem Schminktisch. Als älteste Schwester hatte sie eigentlich das Privileg ihres eigenen Zimmers. Und dennoch konnte an Abenden wie diesen, wenn es galt, sich für einen Ball oder eine Gesellschaft vorzubereiten, auch dieses Privileg nichts dagegen ausrichten, dass ihre beiden kleinen Schwestern das Zimmer ebenso belagerten.
Mirabel, die Mittlere, lag quer über Antonias Bett gestreckt, hatte, wie üblich, ein Buch aufgeschlagen. Sie war, sah man von Ioan ab, die Stanwick mit dem geringsten Enthusiasmus für gesellschaftlichen Firlefanz. "Dann ist das Theater endlich vorbei und wir können anfangen, einen Ehemann für Poppy zu suchen."
"Nenn mich nicht mehr so! Ich habe vierzehn Pfund abgenommen, du Biest!" Isobel, die jüngste Stanwick, die eigentlich noch nie "Poppy" genannt werden wollte, warf ein Zierkissen nach ihrer Schwester. Dann wandte sie sich wieder Antonia zu, hinter der sie stand.
"Möchtest du nicht ausnahmsweise einmal etwas mit deinen Haaren machen? Herrje, Toni. Heute wird er dir schließlich einen Antrag machen." Aus Isobels Mund klang das Wörtchen "Antrag" nach einem Heiligtum, einer Kommunion mit dem Göttlichen, empfangen aus dem heiligsten aller Grale, so feierlich hauchend sprach sie es aus. "Lass dir doch wenigstens dafür einmal eine anständige Hochsteckfrisur machen. Schau, ich kann..."
"Nein, bitte. Liebes. Lass es, wie es ist." Antonia Stanwick legte die Silberbürste beiseite. Hundert Striche brachten die silbernen Glanzlichter im Blond, das sich die ganze Familie teilte, zum Strahlen. Ihr reichte es als Schmuck. Sie hob die Rechte und legte sie auf die Hand ihrer jüngsten Schwester, die sich gerade am unkreativ offenen Haar zu schaffen machen wollte. Durch den Spiegel lächelte sie dem Mädchen zu. Isobel wirkte wesentlich aufgekratzter über die Möglichkeit dieses Heiratsantrages als dessen hypothetische Rezipientin. Vermutlich lag es daran, dass Poppy gerade erst Vierzehn geworden war.
"Schau, Pop....Isobel. Charles wird bis nach dem Sherry warten. Dann wird er sich räuspern, auf ein Knie gehen, den Ring zücken und vor allen um meine Hand anhalten. Es wird niemanden überraschen, er wird gut dabei aussehen und dann ist die Sache endlich vorangetrieben."
"Ja. Dafür braucht sie sich ihr Haar wirklich nicht hochzustecken." tönte es gelangweilt vom Bett. Mirabel hatte, wie immer, wenn sie las, nur halb zugehört.
Aber sie hatte recht.
Antonia Louise Stanwick, die Älteste, gesegnet mit dem Auftrag, sich als erste ihrer Geschwister zu vermählen, lächelte müde ihr Spiegelbild an.
Nein. Dafür brauche ich mich wirklich nicht mühen.


Heute


"...du hast was? Das ist ja großartig."
"Das ist doch nicht dein Ernst! Toni! Antonia! Sag, dass das nicht dein Ernst ist!"
Antonia Stanwick saß wieder an einem Schminktisch. Heute war es nicht mehr der ihre. Isobel hatte das Zimmer geerbt und im Gegensatz zu ihrer großen Schwester einen anständigen Eitelkeitsarbeitsplatz aus dem alten Schminktisch gemacht. Vor lauter Töpfchen und Tiegelchen, Bürsten und Kämmen, Schnickes und Schnackes erkannte man das alte Ding gar nicht mehr.
"Poppy, bitte beruhig dich. Wenn du noch schriller sprichst, platzen deine Parfumflakons. Außerdem finde ich das eine großartige Entscheidung von Antonia. Sehr mutig. Großpapa hatte von Anfang an kein Recht, solchen Unsinn von ihr zu verlangen." Wieder warf Antonia einen Blick durch den Spiegel und diesmal fand er Mirabel. Dankbarkeit lag darin.
"Aber solange sie nicht heiratet, kann ich es doch auch nicht! Das gehört sich doch nicht! Was sollen die Leute denn denken? Es ist so typisch! Antonia war schon IMMER die Egoistischste von uns!" Isobel hatte sich in Rage geredet. Auch, wenn ihre Züge mehr Fülle hatten als die ihrer Schwestern, so war auch sie eine ausnehmend hübsche, junge Frau geworden. Sogar jetzt, wo sie zornrot ihre Hände rang. "Das verzeihe ich dir nie! Nie!" gab sie noch schrill zum Abschied, ehe sie aus ihrem eigenen Zimmer stürmte.
Dem Krachen der Türe folgte eine längere Stille. Um ihre Hände beschäftigt zu halten, schob Antonia Isobels Schönheitsfläschchen vor dem Spiegel hin und her.
"Hast du dir das auch gut überlegt, Toni?" Mirabel klang überlegt, nicht kritisch. So war sie immer.
"Nein."
"Ach, herrje. Spielt Ioan denn mit?"
"Ja. Ich weiß aber nicht, warum."
"Ach, Liebes." Mirabel Stanwick schob mit der Hüfte ihre große Schwester auf dem Schminkhocker ein wenig beiseite, nahm neben ihr Platz. Sie legte einen Arm um die zierliche Taille Antonias und legte den Kopf auf deren schmale Schulter. "Weil er dich liebt, du Kuh. Und weil das heißt, dass du ihm bis in alle Ewigkeit den Haushalt machen wirst. Du alte Jungfer."
Antonia lächelte auf. Es wurde zu einem Kichern, das ansteckend zur Schwester hinübersprang.
Für ein paar Momente waren sie wieder Kinder.

Kommentare 10

  • Toll, dank dem Faceclaimthread und Hannahs Montagebildern seh ich da einen Schwarm Cate Blanchettes in verschiedenen Größen und Formen! xD


    • I google "cateception". Was not disappointed. :D

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  • Das ist schön. Ich mag deine Darstellung der Charaktere. Ich sympathisiere mit Mirabel auf dem Bett XD
    Sehr lustig ist auch der Abgang im zweiten Teil.


    Ahne ich da, worum es geht? =D

    • Ja, ich denke schon. Ich weiß noch nicht, wie ich Antonia nun tatsächlich dazu kriege, gegen Jennah zu putschen und den Thron zu erobern, aber, well. Besser als heiraten!


      (Danke. :) )

  • Arme Poppy... Das kann Antonia doch nicht machen.


    Eine schöne Geschichte aus damals und heute. :)

    • Ja, so egoistisch. Wirklich.
      Danke. :)

  • Ich liebe es <3