Bäuchlings liegt ein junger, etwas chaotischer Rotschopf vor einem kleinen Zelt etwas außerhalb von Shaemoor auf einer Decke. Es ist ein kühler, windiger Tag und die junge Frau hat sich dick eingepackt gegen das ungemütliche Wetter. Der Wind übernimmt es heute, Kendra immer wieder das ungebändigte Haar aus dem Gesicht zu wehen, während sie nichtsdestoweniger immer wieder in eben jene Richtung pustet. Aus schierer Gewohnheit und Reflex, wann immer ein paar der Strähnen ihre vorwitzige, markante Nase kitzeln. Das Kinn hat sie schwer auf ihrer rechten Hand abgestützt und betrachtet in anschaulicher Überlegung eine Ansammlung von Metall-Kleinteilen, die sie vor sich in einer flachen Kiste ausgebreitet hat.
Die Decke unter ihr ist ein überaus hässliches Exemplar ihrer Art. Einstmals mochte sie kuschelig und von einem warmen Orangeton gewesen sein - inzwischen bedeckt sie ein ungleichmäßiges Muster von Flecken und Flicken der unterschiedlichsten Art und das Gewebe ist starr und verklebt. Eine Ecke ist vollständig verbrannt und verkohlt. Schmiere ist an unzähligen Stellen zu größeren und kleineren Flecken tief in das Gewebe eingedrungen und hat sich entschieden zu bleiben. Reinigung zwecklos. Grobe, lieblos aufgenähte und in ihrem Material völlig unpassende Stofffetzen bedecken Risse und Brandlöcher - mal von der einen, mal von der anderen Seite.
Das Zelt übertrifft diese eher scheußliche Farbenpracht bestimmt in seiner Ästhetik, die aber auch ganz bestimmt Geschmackssache ist. Umgearbeitet aus Material, welches einstmals in einem Zirkus Verwendung gefunden haben dürfte, hat auch dieses seine besten Tage längst hinter sich... oder vielmehr niemals solche gehabt. Schön ist es nicht. Aber sehr bunt. Sehr zweckmäßig. Sehr robust.
Ihr Zimmer in der Pension hat Kendra nach einem kleinen Zwischenfall und sich anschließender Meinungsverschiedenheit mit der Wirtin aufgeben müssen. Angeblich hätte sie die anderen Gäste gestört. Angeblich würden die anderen Gäste sich nicht mehr sicher fühlen - besonders die in den zu ihr benachbarten Zimmern. Angeblich. Dabei ist noch nicht einmal wirklich etwas kaputt gegangen. Nur das Bett ein bisschen... und ein paar tiefe Schrammen auf dem Fußboden... aber den Schaden hat sie bezahlt und Schuld war sie eigentlich auch nicht daran. Ihre Experimente hat sie immer artig im Freien ausgeführt. Die meisten jedenfalls. Einige. Also zumindest die Gefährlichen. Der plötzliche Krach hatte nur daher gerührt, dass das dumme Bett seinen Geist aufgegeben hatte und komplett zusammengekracht war. Aber das war kein Experiment gewesen, sondern nur ein bisschen Wiedersehensfreude. Es war eh schon ein ganz altersschwaches, klappriges Modell gewesen. Was konnte Kendra denn dafür, dass man ihr kein besseres Material zur Verfügung stellte? Leider hatte die Wirtin sie jedoch schon länger auf dem Kieker gehabt und daher musste sie das Feld oder vielmehr das Zimmer räumen.
Ihre Wohnungslosigkeit ist jedoch ein Umstand, der Kendra gerade wenig kümmert. In ihrem guten alten Zelt hat sie schon manche Reise durchgestanden. Schon unter ganz anderen und schwierigeren Umständen im Freien genächtigt. Auch wenn allmählich der Winter kommt und die Nächte kälter werden, so hat sie noch nicht einen einzigen Gedanken geschweige denn eine Sorge darauf verwendet. Ohnehin hat sie neben ihrer Arbeit in der Apotheke weitaus wichtigeres und interessanteres zu tun. So viel zu tun. So wenig Zeit. Und dann wird es auch noch immer früher dunkel... Sehr lästig.
Manches Mal denkt sie noch an das schöne, große Teil vom Boss. Die Chefin darf nichts davon erfahren und Kendra ist fest entschlossen, den Boss nicht zu enttäuschen. Langsam und nachdenklich paddeln ihre emporgereckten Füße durch die Luft. Sie reicht mit der freien Linken in die Kiste und fischt den Lauf der zerlegten Pistole heraus, ihn sich grübelnd von allen Seiten zu besehen. Ihr bislang wohl größtes und am besten gelungenes Werk ist das heißgeliebte Gewehr, dessen Lauf aus dem Zelteingang um einige Handbreit herausragt. Viel Arbeit hat sie darin investiert - sowohl in die Konstruktion, als auch die Beschaffung der einzelnen Teile. Bis ganz nach Ascalon war sie dafür gezogen und hatte im Zuge des ganzen Prozesses sehr viel gelernt. Dieses Gelernte anzuwenden hat sich die junge Frau Anfang Zwanzig jetzt in den Kopf gesetzt.
Bei ihrer Pistole handelt es sich ohnehin um ein schon viel zu antiquiertes, langweiliges Teil. Sicherlich soetwas wie ein Erbstück von ihrem Ziehvater. Aber auch sein Leben war es gewesen, Dinge zu flicken und zu reparieren... während Kendra sich dahingehend weiterentwickelt hatte, sie auch verbessern zu wollen. Jedenfalls wäre das bestimmt auch in seinem Sinn gewesen. Ihre waghalsigen Experimente mit Hebeln und Federn hat sie für dieses neue Projekt zu den nicht vorhandenen Akten gelegt. Für den spaßigeren Umgang mit explosivem Material eignen sich ohnehin die trockeneren Sommermonate besser. Also brütet sie seit Tagen über dem Waffenbau.
Ein paar Mal dreht und wendet sie den verschlissenen Lauf vor ihrem Gesicht, schürzt die Lippen und verdreht ihre hellbraunen Augen in Richtung des blauen, von einzelnen weißen Wolkentupfern gezeichneten Himmels. Plötzlich richtet sie sich abrupt auf und knallt das Pistolenfragment zurück in die Kiste, wodurch all die anderen Kleinteile einmal gefährlich hoch aufhüpfen. Kendra hat jedoch keinen Blick dafür. Auf allen Vieren krabbelt sie in ihr Zelt, verschwindet taillenaufwärts darin und kramt engagiert. Mit einem zerknitterten, schwer mitgenommenen Block kommt sie Minuten später wieder heraus. Ein breites, fast schon manisches Grinsen auf den Gesichtszügen. Alsdann verhakt sie die Beine auf der geschundenen Decke in einen Schneidersitz und beginnt eine Liste aufzuschreiben. Für den sonstig hinterlassenen Eindruck mitunter überraschend ordentlich und sortiert. Die Buchstaben sind etwas kantig und nicht sonderlich hübsch anzuschauen, aber sehr gut lesbar.
"Hm-hm-hm... Mhh-hm-mhhh... Hm-hm-mhh... Hm-hmmm..."
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