Eine Winternachtsmäre III - Der Goldjunge und Regenbögen

Gestalten ziehen am Lichtblick der Tür vorbei. Fremde, Freunde, Feinde und körperlose Wesen. All das können sie sein, bis man nachsieht. Vorher entscheidet die Erfahrung, gemeinsam mit Wünschen, Sehnsüchten und Befürchtungen im großen Rat der Fragen und Unsicherheiten, was man von einer Silhouette halten soll. Der kaltweiße Ausblick am dunkleren Ende des langen Museums voller skurriler Kunststückchen lässt sie Schnee fühlen, wo keiner fällt, während orangerote Zungen über die Dielen kriechen und warm nach ihren Beinen lecken. Nach einem Laut des ohnmächtigen Schmerzempfindens findet sich Fiona im wahren Moment wieder und ringt um den klaren Verstand. Es war die Formulierung ihres Gastgebers, die sie scheuen und zurückblicken ließ. Im zweiten Gedankenansatz beruhigt sie die Erkenntnis, dass in seiner Stimme kein einziger unheilverheißender Klang mitschwingt. Der Fremde erhebt sich ohne Blickkontakt herzustellen. Sein schulterlanges, wallendes Haar verliert sich im dunklen Mantel und sein Schatten stiehlt Fiona für einen Moment das wärmende Licht, als er voran tritt um das Feuer mit gesenktem Kinn zu betrachten und dabei am Branntwein zu nippen. Es ist nicht Digsby, erkennt der Gast nun ein mal mehr. Oder ist das nur wieder eine Täuschung? Täuscht sie sich? Er sie? Täuscht er sich am Ende in ihr?


„Nehmt den Sessel. Den Schemel scheint ihr nicht zu wollen und ihr fallt am Ende noch. Ich habe euch eine Tinktur aus der Essenz von nachgezüchtetem, canthanischem Rosinenbaum auf die Zunge geträufelt. Die Halluzinationen werden stärker, dafür ist der Rausch schneller vergangen.“ Ein nüchternes Geständnis des Gesichtslosen, das dafür sorgt, dass Fiona unbewusst die Lippen benetzt. Ihr Verstand gaukelt ihr ein taubes Kribbeln am Gaumen vor und der trockene Mund ist auf ein mal kein Zeichen mehr für bloßen Durst. Was hatte er noch getan, als sie auf dem lange toten Bären mit seelenlosen Augen lag? Berührt hatte er sie und das ist Grund genug zur Abscheu, die stetig und unnachgiebig Funken in das verdrängte Nest ihrer verborgenen und verbannten Wut schlägt. Für das, was in Fionas Herzen am tiefsten Grund Löcher in die Wände frisst kann der Mann hier nichts. Oder etwa doch? Sicherheit fühlt sich anders an. Zögernd reicht ihre Rechte an die Lehne und vorsichtige Schritte umrunden den Beistelltisch. Das Rahmenholz des Sessels ist glatt, fein poliert und eingelassen. Ein edles Meisterwerk aus rotem Samtbrokat. „Ich weiß nicht was ihr von mir wollt,“ gibt ein gerade noch hörbares Flüstern zu. Achtsam fallen ihre Fingerkuppen auf die Stickereien zwischen den Polsternägeln. Wesen, die man kennt und doch nie sah winden sich im wilden Tanz zwischen floralen Mustern. Ein Versteckspiel, das erst begreifbar wird, wenn man nahe an das Möbelstück heran tritt. Die Fäden fühlen sich rau unter empfindsamen Frauenhänden an und könnten einem Blinden von den Bestien dieser Welt berichten. „Deine traurigste Geschichte,“ ist seine verzögerte Antwort, weil der Branntwein noch das Lied vom Feuer in der Kehle sang, das ihn erschuf. Ein Aroma, dem man keine Zeit stehlen möchte, denn davon scheint der geduldige Herr viel zu haben. „Vor drei Jahren, am selben Tag des Kolosses saß ein Mann hier auf dem Boden vor dem Feuer. Er schilderte seine Reise und ich lauschte ihm gebannt.“ Die freigiebige und unerwartete Erzählung des vermeintlichen Entführers lässt Fiona abermals stumm über die Schulter zu ihm aufsehen. Wollte er nicht eben noch etwas hören? Einen ganzen Kopf größer ist er, wenn nicht sogar mehr noch, lässt man ihr Kupferhaar außer acht. „Seine Bestimmung, so sagte er, wäre es die Frau zu finden, die Regenbögen machen konnte. Ich fragte ihn, warum er an Geister glaubte und wollte ihn dann auch schon, wie zuvor zum Tausch für seine Geschichte vereinbart nach Ebonfalke geleiten, weil er sich das Portal nicht leisten konnte.“ Der Fremde schüttelt das Haupt. „Er verstand die Frage nicht.“ Fiona senkt den Blick in die knisternde, vernichtende Pracht im Ziegelgefängnis und rezitiert eine Geschichte, die sie einst hörte mit wirklichkeitsferner Stimmfarbe. „Der, der Regenbögen macht, kennt dein innerstes Verlangen und alles, was dich glücklich, traurig und nach dem Tode, sowie dem Leben sehnend macht.“ „Marc Balch,“ merkt der Genießer nahe des Kamins an. Anerkennend vor ihrer Belesenheit. „Sein Buch steht in dritter Reihe neben der Tür.“


Theodore wagt sich mit seiner Beute ans Licht. Eine Maus. Grau, blutig gebissen und mit ebenso leblosen Augen, wie der Bär, der wild die Wälder durchstreift hatte, bis man einen Teppich aus ihm machte. Es war kein schlechtes Gewissen, das den Kater in die andere Richtung drängte, als das Scherbenlied erklang, sondern der Jagdtrieb. Der erhobene Katzenschwanz formt ein Fragezeichen und wohlgemuter Stolz auf kleinen Pfoten wandert durch die Szenerie, völlig unbeeindruckt von Gefühlen und der Nachdenklichkeit. „Er selbst kannte das Buch nicht, sagte sogar, er hätte noch nie eines gelesen. Darum erklärte sich auch seine ganz eigene Absicht hinter dem langen Pfad ohne nennenswerte Aussicht auf Erfolg. Nicht die Sehnsucht nach Erkenntnis und Einsicht leitete ihn, obwohl wir doch alle den Sinn hinter unserem Leben suchen sollten. Die, die Regenbögen machen konnte, sollte nur sechs Worte von ihm empfangen und dann tun, was sie wolle. Ein eitler Umgang mit dem Sein oder ist das eine eigen Leichtigkeit, das Leben so zu nehmen, wie es einem entgegen kommt? Ist man arrogant, wenn man eine Sage wie die des Regenbogenkindes einfach verändert, ohne den Federführenden um Erlaubnis zu bitten? Ich weiß nicht ob er sie fand. Ich werde es nie erfahren.“ Fiona erblickt zum ersten Mal das Profil des Erzählenden, als in ihr die Frage nach den sechs magischen Worten keimt. Ebenmäßig mit geradem Nasenrücken, Strähnen, die sich rebellisch über die Stirn hinab stürzen und eine gerade, scharfe Kinnlinie unter ausdruckslosen Lippen. Feine Stoppel missen die Klinge seit zumindest zwei Tagen. Er erinnert sie an jemanden.


Als Fiona sich niederlässt, versinkt sie förmlich zwischen den Armlehnen und spürt die Wärme des anderen Leibes, der zuvor hier ausharrte, bis sie erwachte. Die junge Frau schließt die Lider, als ein Teil der Anspannung in das weiche Polster sickert, will sich wehren und erlebt doch den nächsten Tagtraum, der die Wahrheit, das hier und jetzt wie ein Wellenschlag am Strand der Zeit kaschiert. Ihr entflieht ein Seufzen vor Anstrengung beim Versuch sich selbst zu besinnen und wach zu rütteln. Die Knöchel weiß, vom Griff nach den Schneckenhäusern aus Holz am Ende der Handauflagen, die Beine noch immer Taub. „Entschuldigt,“ bürdet sich Fiona mit einem Wort die Schuld am Zustand selbst auf. „Wo wart ihr?“ hakt der Mann nach, wendet sich wieder gänzlich dem Flammentheater zu und hält sich das Branntweinglas unter die Nase. Auch sie erhascht einen Eindruck vom Duft des Alkohols aus der Flasche neben ihr. Etwas, das den Ausflug in die Illusion der Erinnerung auslöste. Keine drängenden Blicke und keine weitere Aufforderungen folgen, bis Fiona sich nach tiefen Atemzügen gefangen hat und willens zu Antworten mit angestrengt geengten Lidern antworten kann. „Auf einem anderen Sessel im weiten Raum, in dem eine Frau im Sternenkleid tanzte, dabei Violine spielte und lächelte. Man hatte den Eindruck, sie blicke in die Nebel und weiter hindurch in die Schöpfung aller Welten, die darin existieren, weil sie glücklich ist. Baren Fußes unter fliehendem Saum, als bewege sie sich in einem stillen See ohne Strömung.“ Der Fremde hebt das Kinn. „Noch etwas?“ „Der Goldjunge lachte, das Hemd unverschämt offen und der Wein rann in roten Bahnen vom Kragen über die Knopflöcher, während die Hexe auch lachte und ihm mit ihrem Ärmel das Kinn tupfte. Es war der Tag einer Geburt, an dem Schönheiten zu tanzen haben.“


Theodore lässt immer die Galle übrig. Eine Eigenart des kleinen Jägers. Geschmack oder die Erfahrung, dass ihm übel wird. Streunern macht das meistens nichts. „Und warum habt ihr nicht getanzt?“ Die Frage an sie fällt ohne betontes Kompliment aus. Fiona krampft der Magen für die Dauer eines Herzschlages und die eigene Antwort treibt einen Sprühregen aus Salz über grüngesprenkelte Wiesen zwischen den Wimpern. Der Nährgrund für Bäume, die lange gewuchert mit Wurzeln Kanäle graben können, im Sturm ausreißen, fallen und Überschwemmungen verursachen, wenn man sie nicht zeitig fällt.


„Weil ich weinte und keiner hat es gemerkt.“


Fortsetzung folgt...

Kommentare 2

  • Theodore hat's einfach raus, da können diese Menschlein noch so sehr philosophieren.

  • Aasim.. wie lange habe ich nicht von ihm gelesen und nun ist er hier versteckt. Wie auch noch ein anderer Charakter, den ich nun einfach mal nicht benenne. Ich freue mich auf die Fortsetzung, bin sehr gespannt wie es weitergeht. <3