I
In eine Taverne gehen. Unter Leute mischen. Emilie wusste nicht, wie ihr Vater sich das vorstellte.
Sie hatte es versucht. Im Ossa-Viertel hatte sie versucht mit Leuten vor
der "Wunderlampe" zu reden, doch die waren alle etwas seltsam. Und dann
war da dieses seltsame Mädchen mit blasser Haut, die ganz in schwarz
gekleidet war. Ihre Eltern schienen nicht das gelbe vom Ei, also wagte
Emilie sich, sie anzusprechen da sie sich ihr vielleicht verbunden
fühlen könnte. Sie begann mit dem einfachsten und offensichtlichen und
sprach sie auf ihre schwarze Kleidung an.
"Ich mag eben Schwarz." hatte das Mädchen nur entgegnet, als Emilie sie darauf hinwies dass mehr Farbe ihr gut tun würde.
"Ach, nur emotional minderbemittelte Kinder die sich in Mutti's
Badezimmer die Adern aufritzen mögen Schwarz" entgegnete Emilie und
hielt sich damit für sehr geistvoll. Das andere Mädchen fand das
allerdings gar nicht so witzig, im Gegenteil sie wurde sogar sauer und
fing an zu weinen und zu schubsen, bevor sie heulend davonrannte.
Da hatte Emilie wohl voll ins Schwarze getroffen. Noch dazu fanden die
Freunde des Mädchens das offenbar ebensowenig lustig, eine drückte
Emilie sogar an die Wand, bis dieser Freiherr kam um Emlie von dem
"wütenden Mob" zu befreien und sie zum Essen einzuladen - nur um ihr
dann einen Moralvortrag zu halten.
Der Tag war auf jeden Fall gelaufen. Nein, Emilie musste das ganze
irgendwie anders angehen. Und wer kannte sich bestens damit aus, wie man
mit Leuten in Tavernen am besten umgeht? Juliana. Ihre Mutter. Sie war
schließlich Schankmaid. Es graute ihr davor ihre Mutter erneut
aufzusuchen, aber sie hatte keine bessere Idee. Also schnappte sie sich
ihren neuen Umhang und reiste am nächsten Tag nach Beetletun.
Am frühen Abend kam sie dort an, die Sonne schien noch in einem warmen
Gelb und das Häuschen in dem ihre Mutter wohnte hatte jetzt einen
hübschen kleinen Vorgarten und war offenbar renoviert worden. Emilie
dachte erst es wäre das falsche Haus, doch an dem Türschild stand "J.
Robins". Juliana Robins. Der Mädchenname ihrer Mutter.
Sie hob die Hand um zu klopfen und machte sich innerlich auf das
folgende Gespräch gefasst, als sie von drinnen Stimmen hörte und
stockte. Jemand war bei ihr. Emilie wollte mit ihr reden, aber sie
überkam die Neugier, mit wem Juliana Victor diesmal ersetzt hatte.
Bestimmt ein Botenjunge oder ein Knecht vom Land. Sie schlich um das
Haus herum bis sie ein Fenster fand durch das sie etwas sehen konnte. Es
war das Küchenfenster, Juliana stand gerade in der Küche und schien das
Abendessen zu machen, Rührei und Speck wies aussah, als ein Mann
hereinkam und sie lachend in die Arme schloss.
"Wie war dein Tag, Schatz?" hörte sie Juliana dumpf durch das Fenster fragen.
"Anstrengend, zwei bei Gendarran konnten nicht zahlen, wir mussten alles räumen."
Als sie die männliche Stimme hörte runzelte Emilie die Stirn. Sie hatte
nur den Hinterkopf des Mannes gesehen aber die Stimme kam ihr bekannt
vor. Sie duckte sich zur Seite um mehr zu erkennen und sah dann etwas,
was ihr das Innerste bis auf die Knochen gefror.
Es war Victor.
Emilies Vater.
Und er schien glücklich bei Juliana zu sein und die Art wie sie sich
begrüßten wirkte gewöhnlich, alltäglich, es musste also eine ganze Weile
schon so gehen.
Emilie beobachtete weiter, wie Victor sich an den Tisch setzte,
aufschrack weil ihn etwas auf dem Sitz zu stören schien, es anhob und
auf den Tisch legte. Ein Holzpferdchen. Ein Kinderspielzeug. Emilie
schlich weiter um das Haus und spähte durch andere Fenster. Und
tatsächlich zeigte das Fenster im Hinterhof ein Kinderzimmer. Rosa
gestrichene Wände mit einfachen Pferdesilhouetten in rot, ein Bettchen
mit warmer Seidenbettwäsche und Haufenweise Spielzeug. Kein teures
Spielzeug, sondern einfaches. Und mitten drin saß ein kleines Mädchen
von vielleicht 2 Jahren.
Emilie spürte wie sich die Kälte von ihrem Herzen durch ihre Brust bohrte und sich langsam bis in ihre Gliedmaßen ausbreitete.
Nicht nur dass ihr Vater Emilie im Stich und sich selbst überließ. Nicht
nur, dass er sich wieder mit Juliana traf, die er eigens aus der
Familie verbannt hatte. Nein, sie hatten auch noch eine Tochter. Eine
Schwester, von der Emilie nie etwas hätte erfahren sollen.
Als hätten beide einstimmig beschlossen, dass Emilie das Problem gewesen
ist, und sie wurde nun abgeschoben während ihre Eltern mit ihrem neuen,
"besseren" Kind ein neues Leben begannen.
Emilie fühlte sich mieserabel. Verraten. Weggeworfen. Sie knurrte leise und ballte die Fäuste. Nicht mit ihr!
Amy war ein glückliches Kind. Ihr Vater war oft lange arbeiten und wenn
er heimkam musste Mutter schon bald mit ihrer Abendschicht in der
Taverne beginnen, aber das störte Amy nicht, denn es war immer jemand
da, der sich um sie kümmerte. Sie war erst 2 und begriff nicht so viel
von allem was um sie herum geschah, aber sie konnte schon selbst laufen,
sich verständlich machen und eigens aufs Töpfchen gehen. Und sie hatte
die tollsten Spielsachen von allen Kindern im Dorf und ihre Eltern
liebten sie über alles. Sie hatte die Kastanienbraunen Haare ihres
Vaters, und auch seine strahlend blauen Augen, aber der Rest war ganz
die Mama.
Sie spielte gerade mit ihren Lieblingspferdchen Wulli und Deg, zwei
Holzpferdchen die schon einiges miterlebt hatten. Als etwas sie aus
ihrer Beschäftigung riss. Sie sah einen glänzenden, leuchtenden
violetten Schmetterling, hübscher als alles was sie je gesehen hatte,
der durch ihr Zimmer flatterte als hätte er keine Sorgen der Welt. Amy
lachte begeistert, krabbelte erst hinterher, bevor sie ihren Hindern
langsam hochschob und sich auf die tappsigen Beinchen stellte. Sie
klatschte fröhlich in die Hände und folgte dem Schmetterling durchs
Haus, sich an der Wand abstützend. Sie hörte ihre Eltern in der Küche
reden und wusste, solange ihre Eltern in Hörweite waren konnte ihr
nichts etwas anhaben. Der Schmetterling saß auf der Klinke der
Hintertür. Amy wusste die Tür war verboten wenn Mama oder Papa nicht da
waren. Aber sie kam ja sowieso nicht an den Griff heran. Sie stand eine
Weile vor der Tür und betrachtete die hübschen, zierlichen Flügel des
Schmetterlings. Und dann, wie von Zauberhand, machte es "klick", die Tür
öffnete sich und glitt langsam auf, weit genug dass Amy hindurch
konnte. Sie starrte einen Moment überrascht und unschlüssig. Sie sah wie
der Schmetterling abhob und in den Garten flog, langsam und tänzelnd,
so dass Amy problemlos würde folgen können. Mit offenem Mund schaute sie
zur Küche. Sie hörte ihre Eltern noch. Also war doch alles okay. Sie
sah wieder zum Schmetterling, kicherte als der vor ihrer Nase tanzte und
streckte die Fingerchen um ihn zu fangen. Doch er flatterte wieder raus
und Amy folgte ihm. Er flog durch den Garten und um einen Baum herum.
Als Amy ihm folgte, rannte sie fast gegen die Beine einer Frau die dort
stand.
Sie blickte zu ihr auf.
Die Frau war jung und wunderschön. Violette Schmetterlinge tanzten in
ihrem Platinblonden, langen Haar, ihr Kleid schien aus Licht und
Schmetterlingen zu bestehen. Sie bewegte sich anmutig und zeitweise
glaubte Amy glatt, dort wären zwei Frauen statt nur einer. Sie starrte
mit großen Augen. Es war das schönste Geschöpf das sie je gesehen hatte.
Dass sie verblüffende Ähnlichkeit mit ihrer lieben Mutter hatte, kam
noch hinzu.
"Hey mein kleines" sagte die Frau in einer sanften Stimme. Amy fühlte sich ihr sofort hingezogen. "Wie heißt du?"
Verlegen kaute Amy an ihrem Finger und musterte das Kleid der Frau, das
ein Eigenleben zu führen schien. "Amy" sagte sie leise und ehrfürchtig.
Die Frau lächelte und beugte sich herab, strich Amy sacht über die
Wange. Die Berührung war elektrisierend, sanft und warm. Amy lächelte
instinktiv. Außerdem roch sie nach Süßigkeiten.
"Wie alt bist du, Amy?"
Amy konnte nicht anders als zwei Finger hochzuhalten. Die Frau lächelte. Sie lächelte genau so wie ihre Mutter.
"Zwei. Ein richtig großes Mädchen." sagte die Frau sanft und Amy wurde
noch verlegener. "Kannst du etwas für mich tun, kleine Amy?"
Amy nickte nur und streckte dann die Arme aus. Sie wollte diese
unglaublich schöne Frau, das Kleid, die Frau die ihrer Mutter ähnelte,
anfassen. Die Frau lächelte verzückt, kniete sich hin und nahm Amy sacht
in die Arme. Wogen von violetten Schmetterlingen tanzten um sie und Amy
war als würde sie träumen. Dann spürte sie, wie die Frau etwas in ihre
kleine Hand legte. Ein silberfarbener Ring.
"Kannst du das hier deiner lieben Mutter von ihr geben? Und deinem Vater sagen, dass Emilie ihn sprechen will?"
Amy sah die Frau an und nickte, drückte den Ring an sich wie einen
kleinen Schatz. Diese Frau war wie eine magische Zauberfee und Amy war
sich ziemlich sicher, dass es Lyssa
persönlich war, die vor ihr stand. Die Frau küsste sie sacht auf den
Kopf und erhob sich. "Du bist ein braves Kind. Mach deinen Eltern keinen
Kummer."
Amy nickte wieder und sah mit großen Augen auf. "Sei gesegnet" sagte die
Frau und eine Welle von Schmetterlingen erhob sich, flog an Amy vorbei
und löste sich in der Ferne auf. Die Frau war fort.
Emilie beobachtete aus der Ferne wie Amy wieder ins Haus zurückrannte.
Die Illusion war ihr wirklich gelungen. Es bestand kein Zweifel, Amy war
ihre Schwester. Mit Genugtuung hörte sie Juliana kurze Zeit später
aufschreien und einen aufgebrachten Victor in den Garten rennen, wo er
sich umsah.
Emile stand auf und ging. Sie wusste Victor würde bald bei ihr auftauchen und sie musste darauf vorbereitet sein.
Wenn er sich von ihr loslösen wollte, konnte er es haben.
"Rück raus mit deiner Kohle Süße!"
Emilie blickte auf und sah den hageren Kerl vor sich, der mit dem Dolch
in seiner Hand rumfuchtelte. Sie spürte, dass auch andere in der Nähe
waren. Doch sie hob den Mundwinkel und schlug die Kapuze zurück. Der
Kerl weitete die Augen und machte einen Schritt zurück.
"Ach du Scheiße... du bist die Kleine die Big Jim kaltgemacht hat!"
Emilie lächelte.
"Ja. Und wenn du ihm nicht folgen willst, schlage ich vor du nimmst die
Beine in die Hand. Ich bin gerade nicht in bester Stimmung."
Der Kerl war nicht so kräftig wie der Schrank den er "Big Jimmy" nannte.
Und auch nicht so clever. Nun, vielleicht war er cleverer. Denn er
schaute kurz zu den anderen, senkte den Dolch wieder und machte sich
daran zu flüchten.
"Weise Entscheidung" meinte Emilie. "Hey" fügte sie hinzu und der Kerl
blieb verdutzt stehen. Emilie warf ihm eine Silbermünze zu. "Kauf dir
und deinen Kumpels was zu Essen, geht auf mich."
Verdutzt fing der Kerl die Münze, zeigte seine faulen Zähne was wohl ein dankbares Grinsen sein sollte, und verschwand.
Emilie ging weiter. Mit Victor würde sie nicht so gnädig sein, dachte sie sich.
II
Victor ließ den Greifenkopfförmigen Türklopfer an Emilie's Haustür
stürmisch niederfahren. Er war außer sich. Emilie hatte eindeutig
Grenzen überschritten, als sie die kleine Amy aus dem Haus lockte, ihr
weißmachte Lyssa stünde vor ihr und sie auch noch für ihre Botschaft
missbrauchte. Ein kleines Kind! Ein Kind das nun glaubte Lyssa
persönlich habe sie gesegnet. Er würde seiner missratenen Tochter so
gehörig die Leviten lesen wie noch nie.
Sebastian öffnete die Tür und blickte ihn an. "Milord, Willkommen zu.."
Weiter kam Sebastian nicht, bevor Victor ihm mit einem "Wo ist sie?!"
das Wort abschnitt und sich an ihm vorbeischob. Verstört über diesen
Bruch der Etikette blickte Sebastian ihm nach. "Wohnzimmer, Sir." meinte
er dann und schloss die Tür, seinem Herren folgend.
Victor rauschte durch den Flur und kam ins Wohnzimmer, steuerte direkt
auf die Sitzecke zu wo er schon den platinblonden Kopf seiner Tochter
sah, doch stockte, als er mitbekam dass dort noch jemand saß. Niemand
den er kannte. Es war ein Mann, vielleicht mitte dreißig, mit kurzem,
schwarzen Haar und adrettem Aussehen. Er und Emilie schienen gerade Tee
zu trinken. Er wollte Emilie anschreien, doch die Normalität der
Situation nahm ihm den Wind aus den Segeln. Er wusste nicht was er
erwartet hatte, womöglich dass Emilie auf einer Art dunklen Thron des
Bösen saß um über ihn zu lachen oder so, aber hier saß sie, artig mit
geradem Rücken, ein sanftes Lächeln auf den Lippen, zusammen mit einem
Kerl der wie die Ehrlichkeit in Person wirkte. Eigentlich wäre ihm der
Thron lieber gewesen.
"Was..." brachte er hervor bevor Emilie zu ihm aufsah und ihn
liebreizend anlächelte. Er kannte dieses Lächeln. Früher hielt er es
immer für das sanfte, liebevolle Lächeln eines Engels. Jetzt wusste er,
es war das triumphierende Lächeln einer Katze, die eine Maus in die Ecke
getrieben hatte und sich darüber freute sie gleich zu verspeisen.
"Victor. Schön dass du gekommen bist. Du kommst genau richtig." sagte Emilie. Victor. Was war aus "Vater" geworden?
"Darf ich vorstellen, das ist Cyrus McGillan. Cyrus, mein werter Herr Vater, Victor LaBlanche, Edler von Götterfels."
"Es ist mir eine Ehre, Milord." Cyrus erhob sich, verneigte sich leicht
und bot Victor die Hand an. Noch etwas verstört und verdutzt drückte er
sie kurz und brachte ein "Angenehm" hervor.
"Setz dich doch." meinte Emilie und verwies auf den Sessel gegenüber.
Der Höflichkeit halber blieb Victor nichts weiter übrig. Er würde seiner
Tochter die Meinung geigen, sobald dieser Cyrus gegangen war.
"Cyrus ist Notar, spezialisiert auf Erbrecht und Adligenrechte. Ein mir bekannter Anwalt hat mich an ihn verwiesen."
Victor hob die Brauen. Emilie bemühte sich um Anwälte. Das konnte nichts gutes bedeuten.
"Cyrus, seid doch so nett und erläutert meinem Vater seine rechtliche Situation."
Emilie schmunzelte wieder und hob ihre Teetasse an die Lippen. Cyrus
schob sich in Victors Sichtfeld und sprach mit einem möglichst neutral
wirkendem Gesichtsausdruck.
"Milord, das Adligenrecht sieht für Familienmitglieder, die dem Ansehen
der Familie schaden, seien es Verwandte oder Angeheiratete, das Recht
vor sich von ihnen loszusagen und sie der Familie zu verweisen. Dies
darf das Familienoberhaupt, in dem Falle Ihr, beschließen und daraufhin
werden die betreffenden Personen des Familienbesitzes entledigt, des
Titels und Namens enthoben und dürfen forthin weder im Namen der Familie
sprechen, noch Kontakt zu der Familie aufnehmen oder sich ihr auf 15
Schritt nähern. Den Akten zu Folge habt Ihr, Milord, vor ein paar Jahren
eben dieses Recht gebraucht um euch von Miss Juliana Robins, Eurer
damaligen Ehegattin, loszusagen da ihr Ehebruch die Familie entehrt hat.
Ist dies soweit korrekt?"
Victor sah Cyrus verdattert an und räusperte sich. "Ja... Ja das ist korrekt, aber was..."
"Miss Emilie LaBlanche hat mich darüber informiert, dass diese Regelung
mehrfach gebrochen wurde. Und das nicht nur von Miss Robins aus, was
eine Mindeststrafe von 5 Jahren Verliesaufenthalt für sie nach sich
ziehen würde, sondern auch willentlich von Euch selbst, was nach dem
Adelsrecht als ein Eidbruch Eurerseits angesehen würde. Und ein
eidbrüchiger Adliger verliert jegliches Ansehen, seinen Titel und würde
enteignet werden."
Victor wurde blass. "Ich habe keine Ahnung wovon Ihr da sprecht." log
er. Er war im Gegensatz zu Emilie kein besonders guter Lügner.
"Miss Emilie erwähnte ein Kind, eine Tochter, zwei Jahre alt, Namens Amy
Robins, deren Abstammung eindeutig auf Euch hinweist. Würde man dies
überprüfen und sich herausstellen dass Amy tatsächlich Euer - verzeiht
den Ausdruck - Bastardkind wäre, würde dies als unwiderlegbarer Beweis
für Eure und für Miss Robins Schuld ausgelegt werden können. Für solch
eine Überprüfung müsste allerdings offiziell Anzeige wegen Eidbruchs
gegen Euch erhoben werden, wozu allein Miss Emilie das Recht hat.
Glücklicherweise ist Miss Emilie dazu bereit, darauf zu verzichten."
Entgeistert blickte Victor zu Emilie.
"So ist sie das..." sagte Victor tonlos. "... ich bin mir sicher, nicht umsonst..."
Emilie lächelte verzückt. Die Maus hatte erkannt dass sie in der Falle sitzt.
"Nun, eine klitzekleine Bedinungen hätte ich, ja."
Victor sah sie zornig an. Wut kochte in ihm hoch und er presste zwischen den Zähnen hervor: "Was wäre das?"
Emilie lächelte weiter und legte eine kleine Aktenmappe vor ihm auf den
Tisch, schlug sie auf. Darin waren Papiere zu erkennen, die wie ein
Vertrag aussahen.
"Du unterschreibst das hier."
"Was ist das?" wollte Victor wissen, bangend davor was darin stehen möge.
"Oh nur ein paar kleine Regelungen." meinte Emilie. "Zum einen trittst
du jedweden Liegenschaftsbesitz innerhalb der Stadt an mich ab."
"Meine Immobilien in Götterfels? Bist du irre, das sind über 30% meiner
Einnahmen!" Victor war außer sich. Emilie blieb ganz ruhig.
"38,6 % genau, wie Cyrus es ausgerechnet hat. Genug für mich um bequem
zu leben und die Unannehmlichkeit, dass ich eine kleine Schwester habe
die du mir vorenthalten wolltest, zu vergessen. Und dir bleibt immernoch
genug um deine kleine Scheinfamilie unten bei Beetletun all die Liebe
zu schenken die du mir nicht geben konntest."
Emilie klang verbittert. Victor musste einen dicken Kloß in seinem Hals
herunterschlucken. Sah Emilie es tatsächlich auf diese Art?
"Außerdem sind darin noch ein paar andere Dinge geregelt. Du gestattest
mir zum einen, im Namen der Familie LaBlanche zu handeln und zu
sprechen, volle Handlungsfreiheit also, und du trittst Sebastian und
Marla an mich ab. Sie dienen ja sowieso hauptsächlich mir, daher möchte
ich mit ihnen auch volle Handlungsfreiheit. Keine Briefe mehr von
Sebastian an dich, keine schiefen Seitenblicke, kein "Oh da müssen wir
Milord erst fragen", ich will Herrin in meinem eigenen Haus sein, nicht
Gefangene."
Victor schnaubte. "Fein... was noch?" Victor glaubte kaum, dass das alles war.
"Erbschaft. Im Falle deines Todes bin ich die Alleinerbin deines
Besitzes, deiner Titel und deines Namens. Weder Juliana noch ihr Bastard
sollen auch nur einen müden Heller davon sehen."
"Du hast doch den Verstand verloren. Wenn ich dann sterbe haben die
beiden gar nichts. Auch das Grundstück wird von mir verwaltet, sie
würden alles verlieren bis auf das was sie am Leib tragen! Sie wären auf
deine Gnade angewiesen!" entgegnete Victor entrüstet.
"Tja, dann solltest du wohl besser am Leben bleiben, mh?" meinte Emilie kalt.
"Vergiss es. Das unterschreib ich nicht."
Emilie hob einen Mundwinkel. "Das wäre wirklich schade. Wenn du es nicht
unterschreibst, erstatte ich offiziell Anzeige. Cyrus ist mein Zeuge.
Er wird Amy überprüfen. Die Ministerialwache wird in euer kleines
Häuschen kommen, eure süßen kleinen Blümchen zertrampeln, Juliana und
das Balg auf die Straße zerren und sie von Ärzten durchprüfen lassen so
wie du es mit mir gemacht hast. Und dann werden sie Juliana ins
Gefängnis stecken und dich entehren und enteignen."
"Das würdest du nicht wagen. Wenn ich untergehe zieht dich das mit in
den Abgrund. Wenn ich alles verliere, verlierst auch du alles!"
Emilie hob eine Braue und sah zu Cyrus. Dieser räusperte sich wieder und blickte Victor an.
"Das ist nicht ganz korrekt, Milord. In dem Falle, dass sich das
Familienoberhaupt selbst entehrt, gestattet das Adligenrecht dem
nächsten in der Erbfolge, sich offiziell von ihm zu distanzieren. In
diesem Falle würde Miss Emilie das Recht haben, sich von Euch
loszusagen. Sie dürfte ihre Titel behalten. Ihr würdet enteignet werden
und Euer gesamter Besitz würde an sie übergehen. Auch der Vormund von
Amy Robins würde dann an sie übergehen, da Miss Juliana keine sonstige
Verwandtschaft hat."
Triumphierend blickte Emilie zu Victor.
"Keine Sorge, ich werde sie gut behandeln. Du siehst also, ich gewinne.
So oder so. Aber ich bin ja kein Unmensch. Ich gestatte dir dein kleines
Möchtegernidyll mit dieser Schlampe und ihrem Rotzbalg weiterzuführen.
Alles was ich will ist Absicherung, und die Freiheit selbst
Entscheidungen zu treffen."
Victor starrte die beiden eine Weile ungläubig an. Wie hatte es nur soweit kommen können?
"Wer sagt mir, dass du mich nicht einfach umbringen lässt sobald ich das unterschrieben hab?" meinte er knurrig.
Entrüstet sah Emilie ihm entgegen.
"Victor! Du bist immerhin trotz all dem noch mein Vater! Ich würde dich
doch niemals töten lassen! Für was für ein Monster hältst du mich?"
"Für eben genau das, was du bist." entgegnete er kalt.
Emilie verlor das selbstgefällige Lächeln aus dem Gesicht. Und blickte
Victor genauso kalt entgegen, wie er sie betrachtete. Sämtliche Liebe
war entgültig aus diesem Raum verflogen.
"Fein. Denk was du willst. Unterschreib, und ich lasse dich mit Juliana
tun und lassen was du willst. Ich werde euch weder behelligen, noch
jemals wieder aufsuchen. Ich brauche niemanden in meinem Leben, der mich
im Stich lässt und lieber ein neues Leben beginnt, statt zu versuchen
das was im alten kaputt ist, zu fixen. Oder unterschreib nicht und ich
nehme dir dein Haus, deine kleine Familie, deine Frau und deine
ach-so-tolle neue Tochter weg. Deine Entscheidung."
Emilie lehnte sich zurück. Victor starrte sie an.
Cyrus sah zwischen beiden hin und her und hielt Victor schließlich die
Schreibfeder entgegen. In diesem Augenblick hasste er seinen Job.
Victor riss ihm die Feder aus der Hand und unterschrieb. Er gab sich
geschlagen. Was blieb ihm anderes übrig? Er war Emilie direkt in die
Falle gelaufen. Mechanisch nahm er das Kerzenwachs, das Sebastian wie so
altgewohnt auf den Vertrag tropfen ließ, und drückte seinen Siegelring
hinein. Stumm sah er zu, wie Cyrus das Papier an sich nahm, ebenfalls
unterschrieb und mit seinem Stempel notariell beglaubigte. Er wartete
bis Tinte und Wachs trocken waren, schloss die Mappe und schob eine
Kopie zu Emilie.
"Vielen Dank, Cyrus" sagte Emilie, als er aufstand und sich von Sebastian zur Tür bringen ließ.
"Milady. Milord. Es war mir eine Ehre." log er. Er brauchte jetzt erstmal einen Whiskey.
Victor beobachtete Emilie. Er fragte sich was er nur alles falsch
gemacht hatte. Wie sein kleiner süßer blonder Engel nur so verdorben
sein konnte. Vielleicht kamen manche Kinder einfach schon böse auf die
Welt? Nein. Das konnte nicht sein. Daran wollte er nicht glauben.
Vielleicht hätte er sich weniger auf seine Arbeit konzentrieren sollen
und Emilie mehr Liebe schenken, auch wenn das Umsatzeinbrüche bedeutet
hätte. Mit Amy erkannte Victor nun, was wichtig an einer Familie war.
Bei Amy würde er nicht die gleichen Fehler machen. Und vielleicht war
Emilie auch noch nicht verloren?
"Emilie... Emi, hör zu, ich..." begann er. Er wollte ihr sagen wie sehr
es ihm leidtat. Dass er nicht für sie da war. Dass er sie liebte, dass
er versuchen würde ihr ein besserer Vater zu sein. Doch Emilie
unterbrach ihn.
"Spar dir das. Wir sind fertig. Noch ein schönes Leben." sagte sie
schnippisch, stand auf und verließ das Zimmer. Er hörte sie noch rufen.
"Sebastian, zeig seiner Hochwohlgeboren die Tür!"
Als Sebastian ihn zur Tür begleitete wurde ihm klar, dass es zu spät war.
Er hatte die Saat des Bösen in die Welt gesetzt, da war er sich sicher.
III
Emilie schloss die Tür hinter sich. Sie hatte versucht sich mit
Flötenspiel abzulenken. Sie hatte fleißig geübt und war sich ziemlich
sicher, die Tonleiter nun zu beherrschen. Sebastian hatte ihr Bücher
über Musiktheorie besorgt. Sie hatte in letzter Zeit oft Menschen
verletzt oder enttäuscht. Vahlyena wollte sie nicht auch noch
enttäuschen. Die Karten, die Schnodder ihr gelegt hatte, gingen ihr
nicht mehr aus dem Kopf. Was mochten sie nur bedeuten?
Sie musste einen klaren Kopf bekommen. Flötenübungen halfen ihr nicht.
Und es war erst ein paar Tage her, seit sie ihre unechten Freundinnen
Milly und Stella in die Wüste geschickt hatte. Sie war allein mit sich
und ihren Gedanken, Sebastian und Marla waren dabei auch keine
großartige Hilfe.
Also entschloss sie sich zu einem Spaziergang in der kühlen Morgenluft.
Das würde sie auf andere Gedanken bringen. Sie atmete tief die kühle
Luft ein und beobachtete die kleinen weißen Wölkchen die ihr warmer Atem
produzierte. Sie zog ihren Mantel enger und machte sich auf den Weg.
Grüblerisch verließ sie die Oberstadt und bog an der Lyssa-Niederstraße
in eine der zahlreichen Nebengassen ein die nach Rurikstadt führten.
Eine kleine Schlenderrunde über den Platz wäre vielleicht genau das
richtige.
"Sieh mal einer an, welches Vögelchen sich aus ihrem Goldkäfig wagt!"
Emilie hob den Blick. Die Stimme kam von irgendwo aus der Gasse, sie
konnte aber nicht genauer ausmachen, wo. Sie kniff die Augen leicht
zusammen um besser zu sehen und bemerkte dann plötzlich einen dunklen
Schatten der sich auf sie zu bewegte. Hatte Rani sich etwa
umentschieden? Wollte sie es nun zuende bringen? Nein, Rani's Stimme
klang anders. Und Rani würde sich nicht ankündigen. Sie würde einfach
hinter ihr auftauchen und bevor Emilie den kalten Stahl an ihrer Kehle
bemerken würde, wäre es schon vorbei. Nein, das war jemand anderes. Die
Stimme kannte sie noch nicht. Sie legte die Hand an den Griff ihres
Rapiers und machte sich bereit, auch wenn sie wüsste dass sie in dieser
schmalen Gasse nur wenig Bewegungsfreiheit hatte. Sie saß mehr oder
weniger in der Falle. Und dann schälte sich eine Gestalt aus den
Schatten, als würde die Dunkelheit einen Menschen gebären.
"Lass es bleiben." Fiann's Worte hallten in Heathers Kopf nach. Dass sie
es nur schlimmer machen würde. Dass diese eingebildete Blondine es
längst bereuen würde. Doch Heather war nicht gewillt, es auf sich
beruhen zu lassen. Annah, ihre Tochter, als geisteskrank zu bezeichnen,
das ging zu weit. Heather hatte beobachtet wie das Mädchen aus ihrem
Haus gekommen und in die Gasse eingebogen war. Oh ja, sie kannte diese
Art von Personen. Viel zu viel erinnerte sie an Gina, die sich nur mit
übertriebener Gewalt von ihrer Peinigungs-Sucht heilen ließ. So jemandem
musste man gehörig den Kopf waschen, damit er es kapierte. Aber Heather
war auch gewillt, auf die Ratschläge ihrer Freunde zu hören und nicht
noch mehr Gewalt zu provozieren. Sie wollte nur einmal in Ruhe mit
dieser Emilie reden. Die Sache klären. Und ihr das Versprechen abnehmen,
nie wieder ein böses Wort über Annah fallen zu lassen.
Sie verfolgte Emilie in die Seitengasse und verschwand in der spektralen Ebene, wurde eins mit der Dunkelheit.
Die Gestalt, die sich aus den Schatten schälte war etwas größer als
Emilie, aber schlank gebaut. Sie trug ein ziemlich extravagantes Kleid
in schwarz, rot und silber, sowie einen hohen Federkragen und ihr
pechschwarzes Haar zu zwei Zöpfchen gebunden, die zu den Seiten
abstanden. Ihr Gesicht war stark geschminkt, wie das eines Clowns. Und
Emilie war sich sicher, Konfetti rieseln zu sehen als sie so aus der
Dunkelheit auftauchte.
"Hey Goldlöckchen!" meinte die bunte Frau grinsend.
Emilie betrachtete sie einen Moment lang. Dann griff sie in ihre Tasche,
warf der Frau eine 10-Kupfer-Münze zu und wollte sich an ihr
vorbeischieben.
"Netter Auftritt du Clown, aber ich bin nicht in der Stimmung für Späße."
Heather fing die Münze und blinzelte einen Augenblick verwirrt. Das
brachte sie einen Moment lang aus dem Konzept. "Das... also..." sie
streckte Emilie die Münze erst wieder hin, zuckte dann aber die
Schultern und steckte sie ein. "Das war nicht der Grund, warum ich dich
gesucht hab. Bleib gefälligst stehn!" Sie holte Emilie wieder ein und
stellte sich ihr in den Weg. Emilie blieb stehen und rollte mit den
Augen. "Was?"
"Ich bin hier um mit dir zu reden. Darüber, was du meiner Tochter angetan hast."
Emilie hob die Brauen. "Ein bisschen mehr musst du mir schon sagen."
Heather blinzelte. Die kühle Art, wie Emilie das sagte verstörte sie ein
wenig, ebenso wie die Tatsache, dass Annah wohl nicht die einzige
Tochter war der Emilie etwas angetan hatte. Sie zog die Brauen zusammen
und verengte die Augen.
"Es geht um Annah..."
Da machte es offenbar Klick. Emilie verdrehte die Augen und nickte leicht.
"Verstehe, verstehe. Dann musst du diese Heather sein."
"Verdammt richtig! Du hast gesagt Annah wäre geisteskrank."
Emilie zog den Kopf zurück und musterte Heather abschätzig.
"Ja... und ich sehe schon, von wem sie das hat..."
Heather knurrte leicht. "Halt von mir was du willst, aber lass Annah aus
dem Spiel. Sie ist ein liebes, gescheites Mädchen, aber sie kann Streit
nicht ausstehen und auch nicht wenn einer erst nett ist und dann sowas
sagt."
"Dann solltest du vielleicht aufhören sie nach Strich und Faden zu verhätscheln wie ein kleines Kind."
"Ouh wag es nicht mir zu sagen wie ich sie behandeln soll."
Heather wedelte drohend mit dem Zeigefinger vor Emilie's Gesicht. In
ihrem Kostüm sah das schon irgendwie witzig aus. Emilie lachte leicht.
"Warum schickt diese Schlampe eigentlich ihren Freak von
Clown-Liebhaberin vor mh? Ist das ihre "großartige Rache" vor der sie
mich gewarnt hat? Willst du mich mit Spritzblumen zu Tode spritzen und
mit Kuchen bewerfen?" fragte Emilie, abfällig grinsend.
"Wäre eine Verschwendung von schönem Kuchen." entgegnete Heather. "Und wenn du Feli noch einmal als Schlampe bezeichnest..."
"... was dann? Setzt du dir deine rote Nase auf und versuchst dich selbst zu fangen?"
"Ich bin ein Harlekin, kein Clown."
"So wie ich das sehe bist du beides. Du kommst hierher, quatscht mich
auf offener Straße an und laberst mich zu mit Dingen, die ich schon
längst weiß. Könntest du bitte endlich sagen, was du von mir willst? Mir wird das nämlich langsam zu blöd."
"Oh, ich kenne Mädchen wie dich, ihr glaubt euch würde die Welt gehören
und ihr könntet tun und lassen was ihr wollt, aber eins versprech ich
dir. Wenn du Annah auch nur noch einmal verstörst, beschimpfst, über sie
herziehst oder auch nur ein schlechtes Wort über sie verlierst, dann
finde ich dich, häute dich und werf dich an den Strand wo Möwen und
Krabben sich an deinem blutigen Leib güttlich tun."
Emilie brachte ihr Gesicht ganz nah an das von Heather. Eine Position,
in der Heather normalerweise mit dem Mund nach vorn prescht und ihr
Gegenüber küsst um sie zu verwirren, aber bei Emilie stand ihr ganz und
gar nicht der Sinn danach.
"Glaub ja nicht du würdest mich kennen. Du kennst mich überhaupt nicht.
Aber keine Sorge!" Emilie streckte sich und lächelte selbstgefällig.
"Deine kleine Annah ist vor mir sicher. Ich halte sie ohnehin für die
klügste in eurer.... ja... nennen wir es mal "Familie". Diese Tomarez
dagegen... ein selbstgefälligeres kleines Flittchen wie sie ist mir noch
nie untergekommen. Ich wette beim Sex liegt sie immer oben mh?"
Heather knurrte wieder. "Sprich nicht so über sie!"
Emilie lächelte und tätschelte Heather sogar den Kopf, was sie zunächst verwirrte.
"Felicia ist reich. Stinkreich. Reicher als meine Familie vermutlich,
sie glaubt sie hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen. Und sie macht
keinen Hehl daraus es alle wissen zu lassen. Lass mich raten, sie liebt
dich, weil du sie so schön zum Lachen bringst, mh?"
Heather hob die Brauen, zog sie dann aber gleich wieder zusammen und starrte Emilie an. "Was geht dich das an?"
Emilie lachte heiter auf.
"Ich habe Neuigkeiten für dich. Sie lässt dich bei sich wohnen, lässt
dich in ihrem kleinen Varieté auftreten und führt dich allen vor, behält
dich weil du sie amüsierst, spendiert dir gerne mal etwas, kauft dir
sicher auch Spielzeug und hat dich am liebsten immer bei sich."
Heather blinzelte. Worauf wollte sie hinaus?
"Du bist nicht ihre Geliebte, Heather." Emilie lachte erneut auf und
brachte ihr Gesicht grinsend wieder auf Kussreichweite. "Du bist ihr
Haustier."
Das reichte. Heather entglitt ihre Hand und sie scheuerte Emilie eine,
so kräftig dass es knallte. Doch die Antwort ließ nicht lange auf sich
warten. Emilie war nicht wie erwartet erst benommen, sie hatte das wohl
kommen sehen und antwortete mit gleicher Münze. Was Heather nur noch
wütender machte. Sie schrie wütend auf und ging der Blondine an die
Kehle, drückte sie an die Wand.
Emilie keuchte auf und streckte den Arm aus, um Heather an der freien Schulter zu berühren.
Zuerst dachte sie daran, Heather wie Rani imaginär in Flammen aufgehen
zu lassen. Doch Rani hatte darauf nicht sonderlich gut reagiert und war
fast bereit dazu, Emilie zu töten. Allein ihr Mitgefühl hatte sie daran
gehindert, und bei diesem Harlekin war sie sich nicht sicher ob sie auch
Mitgefühl zeigen würde. Sie entschied sich für etwas subtileres. Sie
schloss die Augen und schickte Heather ein Gefühl, eine Emotion, die
eine Erinnerung auslösen sollte. Statt sich ihrer Erinnerungen zu
bedienen, wollte Emilie Heathers eigene Erinnerungen gegen sie einsetzen
und beschwor durch das Gefühl eine Erinnerung an Furcht, Trauer, ja
Todesangst hervor.
Heather blinzelte, schüttelte den Kopf, ließ Emilie los und rang um
Fassung, als Bilder von ihrer Vergangenheit aufblitzten. Irgendwas an
Emilies Berührung hatte sie an früher erinnert. Sie saß mit ihren
Brüdern und ihrer Mutter wieder am Tisch und alle aßen Suppe... Nein!
Heather hob den Kopf und sah Emilie an, noch entschlossener als vorher.
Emilie schien nicht damit gerechnet zu haben, dass Heather nicht
wimmernd und zitternd am Boden lag. Dieser Harlekin musste mutiger sein
als sie es gedacht hatte.
"Ich habe diese Albträume längst hinter mir gelassen, Blondchen! Aber zu
unfairen Mitteln greifen kann ich auch. Ich weiß genau was so eine
elende Göre wie du braucht."
Heather hob die Hand und zeichnete ein Siegel in die Luft, das all ihren
Frust und ihren Zorn auf Emilie lenkte. Das Siegel der Bosheit. Das war
die übertriebene Gewalt, mit der sie dieses überhebliche, arrogante,
jämmerliche kleine Ding in seine Schranken weisen würde.
Emilie sackte zusammen und ihr stockte der Atem. Ihre blauen Augen
wurden grau und verloren den Fokus, Blut rann aus Mund und Nase und sie
konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Alles tat so entsetzlich
weh.
"Jetzt bist du nicht mehr so vorlaut, mh?" brachte Heather hervor, doch
schon im nächsten Moment bereute sie ihre Tat. Emilie war
zusammengesackt und schien die Situation nicht mehr zu verstehen. Ihr
Mund war geöffnet, die blinden Augen weit aufgerissen und schienen
verzweifelt nach Hilfe zu suchen. Und letztendlich war sie auch noch ein
Kind. Was Heather nun umso mehr bewusst wurde, da der arrogante
Ausdruck aus Emilies Gesicht gewichen war und nun erschien sie wie ein
verängstigtes kleines Mädchen. "Scheiße..." murmelte Heather kleinlaut
und beugte sich zu Emilie runter. "Tut mir leid"
Sie schloss Emilie in die Arme um sie zu trösten. Und bemerkte dabei nicht, dass ihre Augen violett aufleuchteten.
Emilie legte ihre Hand an Heathers Gesicht und lächelte. Dann gab es ein
kurzes Blitzen und die Magie des arkanen Diebstahls ließ die Effekte
des Siegels der Bosheit von Emilie weichen... und übrtrug sie auf
Heather zurück.
Heather stockte der Atem, als sie die Auswirkungen ihres eigenen Zaubers zu spüren bekam.
Emilie stieß Heather von sich und schob sich an der Häuserwand hoch,
während Heather sich auf den Boden rollte und blind in den Himmel
starrte, Ohren, Mund und Nase bluteten und sie fühlte sich so schwach
und hilflos wie nie zuvor. Sie hörte am Rande wie Emilie aufstand. "Das
Problem... mit ... mächtigen Magiern ist.... sie haben selten ein...
wirksames Mittel... gegen ihre eignen stärksten Zauber." brachte Emilie
keuchend hervor während sie sich über Heather beugte.
"Und nur dass dus weißt... da dein kleines Frauchen es offenbar versäumt
hat dir zu sagen. Ich habe mich bei ihr bereits für meine Worte über
Annah entschuldigt. Und hatte auch vor das bei ihr selbst zu tun."
Heather spürte wie Emilie sie am Kragen packte und zu sich hochzog.
"Und wenn du noch einmal so einen Zauber auf mich wirkst... dann
schleudere ich ihn nicht nur zurück. Nutz deine Kräfte lieber für was
konstruktives, statt dich irgendwo einzumischen wo es gar nicht nötig
ist."
Emilie schnaufte und ließ von Heather ab. Sie taumelte den Weg zurück,
denn auch sie hatte der kleine Kampf angestrengt. Sie blieb stehen und
blickte nochmal zurück. Erneut schnaufte sie und hob die Hand, um die
Magie aufzuheben. Sie konnte diesen komischen Harlekin nicht ausstehen,
aber allein und wehrlos in einer Gasse liegen lassen wollte sie sie auch
nicht. Dann trat sie den Heimweg an, der zum Glück nicht weit war.
Heather lag noch eine ganze Weile, nachdem der Zauber abgeklungen war, auf dem Boden und starrte Luftlöcher.
Sie hatte es tatsächlich nur schlimmer gemacht. Sie hasste es, wenn andere Recht behielten.
Schließlich trommelte sie wütend mit Händen und Füßen auf den Boden, aus
Wut auf sich selbst und auf Emilie, und gab dabei ein entnervtes,
frustriertes knurren von sich.
Denn eine Sache war noch viel viel schlimmer.
Sie hatte verloren.