Fieberworte

Fieberworte


Irgendetwas stimmte so gar nicht, aber ich wusste nicht was. Meine Hand schmerzte und mir war abwechselnd heiß und kalt. Ich sprang von einer Emotion in die Nächste. Gerade noch schmunzelte ich über einen Eiszapfen, da er eine lustige Form hatte und im nächsten Moment schleuderte ich einen Stein dem Eiszapfen entgegen, weil er mich wütend machte.


Ich wusste, dass ich die Anderen heute meiden sollte, da ich nur Ärger verursachen würde, aber ich wollte mich aufwärmen und etwas essen und so tapste ich in die Baracke zum Feuer. Weit kam ich allerdings nicht, da dort zwei der Gruppenmitglieder eng umschlungen saßen. Zumindest sah es im ersten Moment so aus. Anscheinend hatten die Beiden geredet, aber das sah ich in dem Moment nicht. Ich sah einen Mann und eine Frau...eine Frau die eigentlich in einer Partnerschaft war, aber mit einem anderen kuschelte. Der Anblick machte mich so sauer, dass ich meine Hände zu Fäusten ballte und schon schoss der Schmerz meinen Arm hinauf und ich zog die Luft scharf zwischen meinen Zähnen ein. Dieses Geräusch machte auf mich aufmerksam und so tapste ich zu der noch freien Bank und ließ mich drauf fallen, dabei starrten helle, blaue Augen zu Norn und Mensch. „Sucht euch eine einsame Ecke, wenn ihr knutschen wollt. Es gibt Leute hier, die alleine sind und so etwas nicht sehen wollen.“ Fuhr ich die Beiden an. Eigentlich wusste ich, dass es ein dämlicher Satz war, aber ich war schon wieder sauer und ich wollte den Streit und es sah so aus als ob ich ihn auch bekommen würde, denn die Norn stand auf und trat vor mich. „Niemand ist hier alleine, Sienna.“ Die Norn wirkte ruhig und das machte mich nur noch wütender, obwohl ich keine Ahnung hatte warum. „Jeder ist auf seine Art nützlich, das macht ihn aber noch lange nicht zu einem guten Kameraden und erst recht nicht zu einem Freund.“ Da war er, der Satz auf den ich gewartet hatte und ich sah zu der Norn auf, während sie ihre Hände links und rechts neben meinem Kopf, auf die Rückenlehne der Bank stützt und sich so über mich beugte. Es wirkte für mich bedrohlich und das stachelte meinen unerklärlichen Zorn an. „Na los, sprich dich aus. Das ich für dich keine gute Kameradin bin, hast du mir ja schon klar und deutlich gesagt. Gibt's da noch mehr?“ Die Worte trieften nur so von unterdrückter Wut und meine Hände öffneten und schlossen sich die ganze Zeit. Für den Moment war der Schmerz der Verbrennung vergessen. „Oder bist du zu feige? Du lässt die Drecksarbeit wieder jemanden anderen erledigen. Wie die andere Norn, hinter der du dich versteckt hast, oder hinter unserem Vorgesetzten. Weil du schwach bist.“ Ich ignorierte die scharfen Worte des Mannes, der versuchte uns auseinander zu bringen und starrte die Norn an. Irgendwann bin ich auf die Bank gestiegen, damit ich der Norn in die Augen sehen konnte, während ich sie weiter mit Worten bombardierte. „Du drückst auf die Tränendrüse und bist die arme Norn, wenn du mal was falsch gemacht hast. Anstatt deine Fehler einzugestehen und dich zu entschuldigen. Du versuchst dich immer raus zureden und redest andere schlecht, wenn sie Fehler machen...machst aber dann die selben. Weißt du was? Du verdienst es nicht, eine Norn genannt zu werden. Du bist schwach und hast rein gar nichts von der Stärke, die dieses Volk in sich trägt.“ Mir wurde heißer, je mehr ich die Norn anfauchte, aber meine Worte schienen sie heute gar nicht zu beeindrucken. Ruhig sprach sie weiter mit mir, bis sie sich schließlich umdrehte und ging. Der Mann war irgendwann mitten im Gespräch gegangen, als ich auch ihn beleidigte und so sank ich alleine gelassen auf die Bank zurück und zog die Beine an meinen Körper und versteckte das Gesicht an meinen Knien.


Ich wollte mich streiten, wollte zeigen, dass ich mich nicht unter kriegen lassen würde, egal wie hart die vorherigen Worte mir gegenüber waren. Aber ich fühlte mich kein bisschen besser und so liefen mir die Tränen über die Wangen. Am liebsten hätte ich mich in diesem Moment selbst geschlagen und dachte auch, ich bekomme die Standpauke meines Lebens, als ich hörte, wie sich jemand neben mich auf die Bank setzte. Aber alles was der Mann machte, war mir eine Hand auf die Stirn zu legen, als ich ihn anblinzelte und mich ins Lazarett zu tragen. Ich sagte noch, dass es mir gut ging und das ich selbst laufen könnte, aber meine Worte wurden ignoriert und als ein Heiler mir vorsichtig den Verband von der Hand schälte, zeigte sich die Entzündung. Das Säubern der Wunde war die reinste Folter, aber ich biss mir auf die Unterlippe, da kein Laut über meine Lippen kommen sollte, obwohl ich fluchen, schreien, weinen und jammern wollte. Aber ich wollte auch nicht zeigen, wie Schwach ich in diesem Moment war und so ertrug ich die Prozedur mehr oder weniger ohne einen Laut. Als der hübsch blaue Sylvari der Gruppe dazu kam und ich den Blick spürte und die kalten Worte hörte, war es, als würde man mir noch eine Wunde zufügen. „Ich hatte es ja gestern schon gesagt, aber auf mich hört man scheinbar im Moment sowieso nicht.“ So kannte ich ihn überhaupt nicht...eher als warme, geduldige Person und umso mehr schmerzten die Worte. Nicht der Inhalt des Satzes, eher wie er mir gegenüber rüber gebracht wurde. „Die Wunden der Anderen waren schlimmer und gestern war alles in Ordnung.“ Hielt ich stur, wenn auch kleinlaut, dagegen. 'War nicht er es, der mir meine allererste Stunde in Selbstverteidigung gab? Damals in Löwenstein, als ich einfach nur ziellos rumlief? Als ich das erste Mal auf die Gruppe stieß...Auch ohne Worte brachte er mich damals zum Lächeln. So ausdrucksstark und selbstbewusst.' Ich kniff die Augen zusammen, um wieder ins Hier und Jetzt zu kommen. Der andere Heiler verschwand und überließ mich der Obhut meiner Gruppe und so wurde meine Hand richtig behandelt. Am Vorabend sagte der Sylvari noch, er wäre zu nichts nütze...irgendwie sagen das hier viele, so auch ich, doch gestern Abend hielt ich auch gegen diese Worte und heute bewies er es. Seine Fähigkeiten waren unglaublich und er zog fast die Entzündung aus meiner Hand. Es stank, aber während der Behandlung spürte ich meine Hand nicht. 'Vielleicht ist sie ja schon ab. Vielleicht lohnt es sich nicht, diese zu retten, oder dich zu retten, deswegen hat er sie einfach ab gemacht.' Der Gedanke machte mir Angst, wollte nicht hinschauen, wollte es nicht sehen. Als der Sylvari fertig war, kam der Schmerz zurück, die Hand war also noch dran und irgendwie war ich erleichtert, den Schmerz zu spüren. 'Du hast ihn verdient!' An vieles konnte ich mich nicht mehr erinnern, nur an die Präsenz des Mannes, der mich schon in das Krankenzimmer brachte, wie er neben mir wachte. Ich wusste, dass ich und auch die Anderen im Raum viel geredet haben, doch was... Der Schmerz beherrschte meine Gedanken und auf diesen war ich fixiert.
'Du verdienst es zu leiden, du bist nicht gut für die Gruppe.' Immer und immer wieder durchbrach dieser Satz meine fiebrigen Gedanken, bis ich alleine auf der Liege lag. Schließlich ging mein Heiler, der Mann blieb und unterhielt sich weiter mit mir. Er stütze mich und half mir den Tee zu trinken, der mein Fieber senken sollte. Nur war ich mir nicht so sicher, ob der mich nicht viel eher umbringen sollte. Er schmeckte widerlich, aber nur einmal wollte ich hören, wollte das machen, was man mir sagte und so wurde die Tasse geleert.


Es dauerte, bis meine wirren Gedankengänge wieder klarer wurden und ich merkte, dass er noch immer bei mir sah's.
'Warum hast du so viel Geduld mit mir? Siehst du nicht, was ich den Anderen antue?' Ich wollte ihn anschreien, wollte das er mich hasst, wollte ihn von mir stoßen...wie ich es gerade bei vielen machte. 'Was bringt es, sich auf jemanden einzulassen, ihm zu vertrauen, mein wahres Ich zu zeigen, wenn er mich irgendwann genauso anschaut? Jeder wendet sich von mir ab...immer. Irgendwann passe ich nicht mehr ins Bild und werde weg geworfen, warum also nicht jeden gleich von mir stoßen?' Auch diese Worte wurden von mir nicht laut ausgesprochen, sie in meinem Kopf zu hören war schmerzvoll genug.
Wir redeten, normal, wie man es unter Kameraden tat, bis ich ihn irgendwann fragte, ob er mir etwas zum über ziehen aus meinem Rucksack im Schlafsaal bringen könnte. Er stimmte zu und ich war stolz, dass es geklappt hatte. Sobald der Mann weg war, rutschte ich an den Rand der Liege, um mir die Waden-Wickel abzustreifen und in meine Stiefel zu schlüpfen. Kurz legte sich meine Stirn in Falten. 'Hier kannst du nicht abhauen, das ist dir klar oder?' Ich schüttelte den Gedanken ab und wankte zur Türe. Heute wollte mein Körper nicht wie ich, dennoch schaffte ich es bis zu dem Holz der Türe. Ich lauschte, hörte aber keine Schritt und so trat ich hinaus, nur um gleich wie angewurzelt stehen zu bleiben, als ich direkt in das Gesicht des Mannes sah. Und wo willst du hin?“ Innerlich tobte ich. Ich war doch keine Gefangene, ich brauchte doch nur...Zeit für mich und meine Gedanken. „Pullern...“ war alles was ich hervor brachte und er holte doch tatsächlich die Charrdame der Gruppe, damit sie mich begleiten konnte. 'Das ist doch die Höhe! Ich bin doch kein Kind mehr! Ich will pinkeln und schaffe das auch alleine!' Ich wollte schon wieder schreien, fügte mich dann aber meinem Schicksal und ging mit meiner neuen persönlichen Pinkel-Begleitung, so wie ich sie jetzt nannte.


Als ich wieder auf der Liege im Lazarett lag...nein, auf der Liege in meinem Gefängnis, hatte ich nichts zu tun, außer die Decke anzustarren und mich mit meinen zwei Wärtern zu unterhalten. Irgendwie fand ich es lustig, dass ich...eine 1,64 große, verletzte und vom Fieber geschwächte Frau, gleich zwei Wärter brauchte. Dann verwandelte sich aber die Belustigung in Sorge, Unsicherheit, Angst...


'War wirklich ich das? Habe wirklich ich einem Gruppenmitglied solche Sätze an den Kopf geworfen? Ich bin doch nicht so... Vielleicht werde ich ja doch verrückt und deswegen bewachen sie mich. Die Norn wird mich hassen und ich könnte es ihr nicht mal übel nehmen. Ich würde ein solches Miststück, wie ich es gerade bin auch hassen.' Als ob ich sie mit meinen Gedanken beschworen hätte, kam in diesem Augenblick die Norn ins Lazarett, doch sie beachtete uns gar nicht und lief an uns vorbei um etwas auf einen Tisch zu legen. Mein Herz raste und ich sprang auf. Vergessen war der Schmerz, nur die Angst war gerade da. Wie ein Reh, das vor einem Wolf flüchtete, lief ich aus dem Lazarett, aber ich kam nicht wirklich weit und so wurde ich wieder zurück in mein Gefängnis gebracht. Zurück auf die Liege, zurück in einem Raum, der mich zu viel denken ließ... Die Norn war weg, der Mann schlief, nur die Charr-Wärterin achtete darauf, dass ich nicht wieder entkam. In der dämmrigen Dunkelheit starrte ich sie an und wollte sauer sein, doch das leise geflüsterte „Tut mir leid...“ hielt mich davon ab, auch sie anzuschreien. Lange sagte ich gar nichts, doch schließlich kamen die Worte. Leise, genau wie sie. „Bin doch selber schuld. An allem.“ Sie stimmte mir nicht zu, sagte Worte, die mich aufbauen sollten...aber sie war nicht dabei. Sie hatte nicht gesehen, was ich für ein Monster war. „Nein, dem ist nicht so. Du gibst immer so viel Energie bei allem, da ist es nicht deine Schuld.“...“Vielleicht manchmal zu viel...“ Das Bild der Norn blitze vor meinen Augen auf, wie sie mir den Rücken zudrehte und davon lief. „Das macht uns doch lebendig. Das macht dich lebendig. Ein bisschen zu viel – das ist es, was den Drachen fehlt. Ein bisschen zu viel Gefühl, zu viel Freude oder zu viel Trauer...man sollte es nicht bereuen, denn manchmal, ohne es zu wissen, ist dieses 'zu viel' genau richtig.“ Ich schloss die Augen und dachte an die Worte der Norn. „Du bist Sienna, ein Mensch, der mit seinen eigenen Geistern kämpft. Du bist wie ich, stets in der Prüfung des Selbst und du fällst Urteile, die dein Selbstvertrauen ins wanken bringen. Du bist Sienna, ein Mensch der viel erreichen kann, wenn er diese Selbstzweifel ablegt. Und du wirst viele Freunde haben, wenn du deinen Weg gefunden hast.“ Obwohl ich ihr die schlimmsten Dinge an den Kopf geworfen hatte, blieb sie ruhig und war nett. „Ich mag dich.“ Die Stimme der Norn. „Du bist eine Freundin...“ Die Stimme des Mannes. „Du hast wertvolle Fähigkeiten. Deine Neugier zeigt dein Interesse.“ Die anderen Mitglieder. „Du gehörst zu uns.“ Die Stimme meines Vorgesetzten.


Mit diesen Worten in meinem Kopf fiel ich endlich in den Schlaf.

Kommentare 12

  • Warum eigentlich niemand liegen bleiben will xD
    So viele Gedanken kreisen nicht mal Fraja durch den Kopf :) Dass dieses Wirrwarr belastet kann man sich nur zu gut vorstellen, zusammen mit dem bedrückenden Norden.
    Schön geschrieben in jedem Fall :)

    • Dankeschön^^
      Sienna ist eben niemand, der gerne lange still sitzen oder liegen kann. Naja außer... *schweigt sich mal aus* :P

  • Kampfzwerg.

  • Mir fehlen die Worte, um ehrlich zu sein, aber es soll dennoch betont werden, wie hier die eigentliche Charaktertiefe herauskommt. Wundervoll, zu lesen, auch wenn man nur noch mehr den Drang bekommt, Sienna zu knuddeln! Andererseits freu ich mich umso mehr jetzt aufs weitere RP, danke dir. uwu

  • Man merkt wie sehr die Reise sie belastet. Es ist für niemanden einfach das merkt man im RP, aber viele der Einblicke bekommt man erst, wenn man die Geschichten ließt. Danke für den Einblick! :D

    • Dankeschön =)
      Ich glaube auch, dass es für niemanden einfach ist. Für Sienna ist der größte Feind im Moment, die eigenen Gedanken und ihre Wahrnehmung^^

    • Eben das ist der interessante Part an Jormag. Du kannst nicht nur gegen ihn kämpfen. Du musst auch gegen dich selbst kämpfen.