❀ Die Stille der Nacht ❀

Charakter: ❀ Chinoha ❀


Es musste schon nach Mitternacht gewesen sein, als sie aus dem Schlaf schreckte. Drinnen im ganzen Lazarett war es so still, dass man das flackern der wenigen Öllampen hören konnte. Chinoha musste sich nicht umsehen, um zu wissen das dennoch genug Leute wach waren. Vor allem Wachen. Warum sie auf einmal wach wurde, das wusste sie nicht mehr, kaum dass sie die Augen geöffnet hatte. Aber ihr Kopf begann langsam wieder zu dröhnen. Das Gesicht in den eigenen Händen vergraben, drehte sie sich auf die linke Seite und kauerte sie sich unter der Decke zusammen. Die Heiler und Pfleger im Lazarett waren fähig. Daran bestand für sie kein Zweifel. Sie wollte nur gerade keine Hilfe. Nicht dafür. Sie konnten das Körperliche behandeln und Wunden schließen. Gift reinigen und allerlei anderes. Aber weder die Seele, noch die Emotionen heilen.

Ashoka und Janna hatten Recht. Sie hätte die ganze Sache auch anders angehen können.

Aber wie?

Cygall war der fähige Magier, der mit dem Zugriff auf all das Wissen der Abtei. Sie nur ein einfacher magieschwacher Ingenieur der sich auf Bomben spezialisiert hatte.

Mit einem Tiefen schnaufen drehte sie sich zurück auf den Rücken, ließ die Arme neben sich fallen und starrte im halbdunkeln an die Decke. Nach dem Verhör hatten ihre Gedanken angefangen sich zu überschlagen. Haben Fragen aufgeworfen und in Fetzen gerissene Bilder aus der Vergangenheit hochgewühlt.

Warum hast du mich nicht gehört?

Warum hast du mich ignoriert?

Sie konnte sich kaum an das erinnern was passiert war, seit man sie aus dem Hafenbecken gefischt hatte. Die Stimmen verzerrt, die Bilder vernebelt und scheinbar zusammenhanglos. Ihre Fasern vom Meerwasser so unterkühlt, das sie kaum seine Wärme wahrgenommen hatte, geschweige denn das man sie anhob und quer durch Löwenstein getragen hatte.

War er wirklich so bitterböse auf sie?

Oder enttäuscht?

Weil sie den Bohrer und die dritte Probe auf dem Grund zurückgelassen hatte?

Oder war es, weil er glaubte seine Ohnmacht war ihre Absicht gewesen?

War es der Kuss oder das Gegenmittel?

Wegen des erneuter Hitzeausbruch?

Alles was sie wollte war helfen. Ihm helfen und dass er die Sache überlebt. Ganz gleich ob er sie nun hasste und verachtete, sie machte sich Sorgen um ihn. Für einen Moment schloss sie die Augen und versuchte ihn zu erreichen. Aber egal wie sehr sie sich konzentrierte, entweder fand sie ihn nicht, weil er längst nicht mehr in der Nähe war oder er wollte es nicht.

“Das ist kein Spiel! Du bist nicht geschaffen für die Front! Geh zurück in den Hain, das ist nichts für dich!”

“Warum lässt du mich nicht helfen?”

“Verschwinde Chino!”

Wieder schreckte sie auf.

Die Worte taten weh. Nicht so sehr wie damals, aber auch nicht viel weniger. Er war immer streng zu ihr gewesen, aber nur dieses eine Mal so sehr. Auch Cygall hatte sich gegen sie entschieden, als sie anbot ihn nach Orr zu begleiten. So wie er damals, nur mit anderen Worten.

Nur starre Äste brechen im Sturm.

Die Worte auf dem Zettel der Sternenlaube gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Chinoha fühlte sich wie ein starrer Ast. Unfähig sich mit dem Wind zu beugen. Als wüsste sie, dass der große Sturm naht, der sie zu brechen bringen würde. Aber alles was sie konnte, war auf das Urteil warten und es akzeptieren.