"Hmmm..." Der Laut klang traurig. Eine ganze Ballade über Melancholie entlud sich in nur einem seufzenden Klang.
Der glänzende Flintenlauf, über den er die Hirschkuh mit schlohweißem Fell beobachtete, lag wie schwere Sünde auf seinen Händen.
"Stell dich nicht so an. Das ist ein Fehler der Natur, eine Laune Melandrus, die erlegt werden muss, bevor sie sich fortpflanzen und ihre verdorbene Saat weitergeben kann."
Tumb und dumm wie Medardus war, schob er seine Unterlippe in übertriebener Mimik vor und sah aus zwei einfältigen Augen zu Darius. Dass diese Missgeburt eines Menschen sein Bruder war, konnte er trotz 17 Jahren in einem gebildeten Haus nicht verstehen. Und erst recht nicht akzeptieren.
"Hallo!" Die reich mit silbernen Ringen geschmückten Finger hob er vom eigenen Gewehr, um mit dem Knöchel des Mittelfingers gegen die flache Stirn zu schlagen. Medardus, groß und friedlich, zuckte und schaute noch betrübter drein. Für den Moment beobachtete er eine Ameise, die über das dunkle Nussbaumholz des Schafts krabbelte.
"Müssen wir?" Tief, bassdurchdrungen und niedergeschlagen.
"Ja, wir müssen. Denk daran, was Vater dir gesagt hat. Wenn du nicht einmal ein Vieh erlegen kannst, dann wirst du es in seinem Geschäft nicht weit schaffen. Und ich will ihm ungern berichten, dass du dich lieber mit dem Wild anfreundest, statt es als das zu sehen, was es ist."
"Mhmmh........." Seine dicken Lippen drückten Unzufriedenheit aus, bis er sich behäbig aus der von Gestrüpp und niedrigen Nadelästen getarnten Jagdstellung erhob. Darius setzte an, ihm energisch eine Hand auf die Schulter zu drücken, aber der Fleischkoloss war zu wuchtig und groß. Ungeachtet seines Bruders ging er ohne die Jagdflinte auf die Hirschherde zu.
Der blasse Aristokrat beobachtete ungläubig über das Korn Medardus. Ihm fiel keine andere Erklärung ein. Sein Bruder musste so bescheuert und zurückgebildet sein, dass die Tiere ihn nicht einmal als Menschen sahen. Zwar hoben sie die Köpfe, aber ihre Augen zeigten keine Nervosität. Es wäre ein Wunder, wäre es keine Tragödie. Medardus hielt unbeirrt auf die weiße Hirschkuh zu, die, wie ein Juwel in schützender Seide, von den restlichen Herdenmitgliedern in umschlossener Mitte graste. Ein kräftiger Hirsch mit wuchtigem Geweih drehte den Kopf mit dem einfachen Mann mit, doch die dunklen Augen beobachteten bloß, wie sich eine speckige Wursthand nach dem Kopf des weißen Wilds ausstreckte.
Doch in dem Moment war die Naivität im Begriff, gegen unmoralische Bosheit zu verlieren.
Das Flintenkorn lag auf dem kräftigen Hirsch, der die größte Gefahr für seinen Bruder wäre. Linksseitig kniff er sein Auge zusammen, das hautenge Lammleder knirschte, der Zeigefinger auf dem Abzug spannte. Eine kurze Krümmung und sein Bruder stünde neben einer deutlichen Lektion.
"Wenn er stirbt, endet die Zeit des Regenten ..."
Dieser Satz geisterte ihm durch den Kopf. Er lernte ihn in der letzten Politikwissenschaftsstunde bei einem Privatlehrer der Familie. Und er sollte sich als fruchtbar und furchtbar erweisen, denn seine Waffe schwenkte. Über die fleischige Gestalt seines Bruders, hin zum Rumpf der Missgestalt einer Hirschkuh.
"... aber wenn der Märtyrer stirbt, beginnt seine Zeit."
Seine Finger waren so kurz davor, diese flache und harte Stirn mit den weißen Härchen zu berühren. Doch in dem Moment, als die Kuppen erstes Fell striffen, schoss Darius. Ein blutunterlaufener Blattschuss. Zwischen den vielen Stämmen hallte der Knall der Kugel und schien es, dass im ersten Moment die Zeit für Tier, Mensch und Medardus still stand, so änderte es sich rasch mit dem Kollaps des Albinos.
Das war der Tag, an dem Medardus beinahe starb, aufgemischt durch ein wutgetränktes Hirschgeweih. Nach dieser Lehre, die jeden Jagderfolg übertraf, sollte er nicht mehr der friedliche und ruhige Mann sein, der gerne Frieden mit den Fehlern der Natur geschlossen hätte.
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