Tagesanbruch



OOC: Inspiriert von zwei Songs, die mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen.

Lost a couple of pieces when I carried it home

I hope you know we had everything


~*~


Für einen Moment konnte ich sie sehen, die Schatten der Vergangenheit, ausgebreitet wie Flügel in meinem Rücken.

Das Klopfen hatte mich aus meinem traumlosen Schlaf gerissen. Es war immer dieselbe Stille, ruhelose Stille gefüllt mit stummen Stimmen und blinden Bildern die mir zeugten was ich nicht sehen konnte. Mir war als wäre die Materie der nebel nicht dieselbe Materie aus der diese Welt besteht, ein Medium aus Licht und Zeichen, die das Auge Tyrias nicht zu erkennen vermag. Und ich und alles was mit mir gekommen war, war sowie ich mich ihrem Einfluss entrissen hatte, kein Teil mehr davon, unfähig zu erkennen, was noch vor Momenten vor meinen Augen lag.


Kurz lag ich wach, mit dem Gefühl als hätte ich nie geschlafen, die augen weit, in den Himmel aus Holz und grünem Samt gerichtet. Ich war mir selbst noch nie so fern und doch hatte ich das Gefühl, dem was ich jagte näher zu sein als je zuvor.


Der Morgenhimmel hinter dem Glas war noch dunkel und doch war die Luft erfüllt von einem unheimlichen Glühen, das aus den steinernen Gedärmen des Labyrinths aufstieg wie ein unheilverkündendes Miasma. Ich konnte nicht sagen was es war, aber seine Existenz kam mir nicht richtig vor. Dabei musste ein Labyrinth in diesen Kreisen etwas durchaus übliches sein, um sich die Langeweile seiner obsolet gewordenen Existenz mit dem Lustwandeln zu versüßen. Und dennoch…


Ich schritt vorbei an kunstvoll geschreinertem Mobiliar und Rankengeflechten. Auf dem Tisch lagen fein säuberlich gefaltet die reinweißen Stoffbahnen, aber sie mussten warten, denn heute gab es weit bedeutungsvolleres zu tun. So schloss ich schließlich die Flügeltür hinter mir, die mich mit dem Badezimmer allein ließ.


Stille.


Ruhelose Stille.


Du weißt, dass wir alles hatten. Alles was wir uns je hätten wünschen können.


Ich hatte nicht vor in ihr zu vergehen, also trat ich vor und erfüllte den Raum mit den Stimmen tausender fallender Wassertropfen. Die Dusche tat gut, auch wenn es nichts gab, was sie hätte fortwaschen müssen. Es war weniger ein Akt der Reinigung, dem ich mich hingab, als viel mehr des Trinkens. Des Betrinkens in einer fremden Wärme die doch so vertraut in meine Fasern sickerte, eines Ertränkens der sich windenden Gedanken in einem weißen Rauschen aus Tönen und Empfindungen, dem endlosen Trommeln amorpher Perlen auf meiner Epidermis, die spurlos von ihr glitten.


Nichts weiter als mein eigenes Licht erhellte den gläsernen Raum. Ich hatte meine Stirn gegen die kühlen Fliesen gelehnt, in deren Glasur sich meine leuchtenden Augen widerspiegelten. Mir war, als gehörte nichts davon wirklich mir. Weder der giftgrüne Blick noch die dürren Hände die ihn wie zwei große schwarze Spinnen an der Wand flankierten.


Du bist es, der uns gebrochen hat. Und all diese Scherben hinterlassen.


Nichts war mehr wie es sein sollte.

Die Nebel waren wie eine Säure, die alles löst, in der alles zergeht, zerfließt in seine Einzelteile. Ich mochte mich aus ihnen herausgekämpft haben. Mich. Einen Teil von mir, der dem Ich das Tyria einst kannte vage ähnelte. Ein Teil der glaubte, sich daran zu erinnern, einst Cygall gewesen zu sein, ohne zu wissen ob er je wirklich Cygall war, ob er jemals irgendetwas war. Ich war zu einem Scherbenhaufen geworden, in dem kein Teil mehr zum anderen passen wollte, in dem selbst die Erinnerungen stumpf und farblos waren.


Ich hatte noch nie etwas vergessen.

Jede Sekunde meiner Existenz seit meines Erwachens, eingebrannt in meinen Verstand, so klar und scharf wie frische Tinte auf Papier. Ich konnte die Stacheln in Amarylles’ Gesicht zählen als sie zum ersten Mal die Augen aufschlug, ich konnte die Zeilen in den Büchern lesen, die Kahedins uns mitgebracht hatte. Alles war noch da und doch wieder nicht. Alle Bilder klar und gleichzeitig unklar, unecht…falsch. Sie fühlen sich so falsch an. Sie fühlen sich gar nicht an.


Ein zerbrochenes Herz ist alles was von uns geblieben ist. Und jetzt versuche ich die Teile wieder zusammenzufügen.


Ich drehte das Wasser ab, trat aus der Dusche während die letzten Tropfen von mir perlten. Kalte Füße auf kaltem Stein. Die Wärme des Wassers verlor sich viel zu schnell in der feuchten Luft.

Ich trat vor den Spiegel, so groß und lang wie ich. Und so dünn, wie ich mich fühlte. Dieser Körper war ein Trümmerhaufen, Staub in dieser Welt, gerade verdichtet genug um eine Vage Form zu behalten und nicht vom Wind hinfortgetragen zu werden. Ich streckte die kühlen Finger aus und ließ sie über das Glas gleiten, befreite mein Spiegelbild von dem matten Schleier der es verbarg.


Wir haben ein paar Teile verloren auf dem Weg zurück nach Hause.


Ich sah mich an, sah mir in die Augen, durch diesen schmalen Spalt aus glasklarer Sicht und für einen Moment konnte ich sie sehen, die Schatten der Vergangenheit, ausgebreitet wie Flügel in meinem Rücken.

Mit einem Mal wurde mir bewusst, wie viel Furcht ich verspürte. Furcht vor dem, was ich geworden war. Vor den fremden Landen zu denen mein Verstand verkommen war, wie die Ruinen einer Stadt die sich der primitive Wald bis zur Unkenntlichkeit zurückgeholt hatte, ohne dass ich etwas dagegen hätte tun können.

Ich hatte die Kontrolle verloren, die Kontrolle über alles.

Meine Familie, nicht auffindbar.

Meine Erinnerungen, unleserlich.

Meine Magie…


Ich trat aus dem Badezimmer, es wurde Zeit. Der leichte Stoff der Baderobe flatterte als ich sie mir umwarf und legte sich um meinen Körper. Ich war bereit und ich war fest entschlossen:


Ich werde all die versprengten Scherben finden und wieder zusammensetzen, bis ich wieder der bin, der ich einst war.

Kommentare 6

  • Die Worte sind dermaßen klar und poetisch, dass ich beim Lesen eine Gänsehaut hatte.


    Ich könnte noch so viel mehr dazu schreiben, aber ich will nicht schwafeln. Danke für die Einblicke in diesen außergewöhnlichen Charakter.

    • Fühl dich frei eine ausführliche Facharbeit dazu in meinen PNs einzureichen.

      Ich könnte aber kaum glücklicher darüber sein, tatsächlich nach all der Zeit etwas geschaffen zu haben, das sowohl mich als auch andere begeistern kann!

  • Wirklich sehr gut. Kann man sehr gut nachfühlen.
    Gerne mehr davon

    • Ein erster Versuch, wieder etwas längeres zu schreiben und auch ein erster Versuch, mich der Ich-Perspektive zu bemächtigen. Es freut mich, dass es den gewünschten Effekt erzielen konnte! ;D

  • Richtig schön geschrieben. Liest sich sehr toll!