Es war regnerisch draußen. Die Tropfen prasselten ans Fenster, ehe sie einzelne Spuren zogen die ineinander sich verwoben und am Ende eins bildeten. Da saß ein kleiner Junge auf dem Fenstersims, eine Hand am Fensterglas. Es war nicht so ganz klar, ob er nun da draußen bei dem unwirklichen Wetter etwas sah oder ob er die Tropfen zählte. Raus durfte er eh nicht, selbst wenn es gutes Wetter wäre, aber so war er wenigstens nicht allein im Haus, welches ihm viel zu groß vorkam für eine 6 köpfige Familie, von der 5 Mitglieder oft nicht zugegen waren.
Immerhin ging es ihm momentan gut genug, um Unterricht bekommen zu können. Lesen, schreiben, rechnen. Heute hatte der Privat- Dozent ihn vor allem mit Schreiben gequält. Eine schöne Schrift war wichtig und sollte von Anfang an geübt werden. Buchstabe für Buchstabe wurde geübt, bevor an Wörter gedacht wurde. Die letzten beiden Stunden waren die Grundrechenarten gewesen. Aus irgendeinem Grund fiel Ruki dies leichter, als sich in Schreiben zu üben. Dies war am Ende auch nur Beschäftigung für ein paar Stunden und war stets an das Durchhaltevermögen des Jungen angepasst. So ganz klar woher die Schübe kamen war es eben nicht, daher wurde fast schon porzellanartig mit ihm umgegangen, als ob ein Arm abbrechen würde, wenn man ihn zu grob anfasste. Mit Sicherheit machte der Arm, möge er noch so zierlich wirken, nicht einfach plöpp.
Dennoch, er kam sich selbst zwischendurch wie ein Porzellanpüppchen vor, welches ins Regal gesetzt wurde, damit da nichts passieren konnte. Bisher hatte keiner bemerkt, dass das Andauernde krank sein sich auch in seinen Haaren zeigte. Noch recht gut übersehbar, hatten einzelne Strähnen sich wohl überlegt keine Farbe mehr tragen zu wollen und ergrauten. Zwischen dem schönen dunklen caramel Blond blitzten nun also hellere Strähnchen, für Jene die einen Augenmerk darauf hatten.
Dann ging die Tür weiter auf und der älteste Bruder stand dort. Hochgewachsen, muskulöse Statur. Kurze dunkel blonde Haare, grau- grüne Augen wie die Mutter. Die hohen Wangenknochen ließen ihn ein wenig strenger aussehen. So beobachtete der Älteste, glatte 21 Jahre älter, den Jüngsten. Solange bis Ruki ihn als Spiegelbild im Fenster bemerkte. Der Kopf schnellte herum. „Bruder.“ Sofort drehte er sich auf dem Sims herum, stieg von dort wieder hinab und war auf kleinen Füßen doch ziemlich schnell an der Tür angekommen und drückte sich an den großen Bruder, den man eh viel zu selten zu Gesicht bekam. So weit die Arme herum kamen, wurde sich da auch Mühe gegeben.
Da hatte Will Jr. keine Chance mehr zu entkommen. Ob er dies vorgehabt hatte war eine ganz andere Frage. Die violetten Augen starrten ihn von unten bettelnd an. Er solle sich doch bitte ein bisschen mit ihm beschäftigen. Das Endresultat bestand darin, dass Will Jr. im Sessel saß, den kleinen Bruder auf dem Schoß und mit ihm ausgerechnet die Tageszeitung durchging, anstatt ein passendes Buch herauszusuchen. Ruki störte das nicht, solange er nicht wieder den größten Teil des Abends allein verbringen musste. Die Zofe, die extra angestellt wurde, war ja freundlich, aber eben nicht dasselbe. Es wurde nichts ausgelassen, nicht mal Gespräch darüber ob die dargestellten Personen nun gut getroffen waren oder nicht.
Zwischendurch kamen kleine Hustenanfälle, die ein wenig unterbrachen. Irgendwann aber…
Da war der 6jährige auf dem Schoß eingeschlafen. Der Kopf lehnte an der Brust, dennoch schien der Schlaf nicht tief genug zu sein. Es schien als würde Ruki bei größerer Bewegung sofort wieder wach werden. Dies konnte wohl noch einen Moment dauern bis genau Jener gekommen war, wo er ins Bett getragen werden konnte, um einfach weiter zu schlafen.